: Schauspieler made in HB
Mit einer freien Bearbeitung von Brechts Baal beenden sechs Frauen ihre zweijährige Schauspielausbildung am Bremer Kolleg für dramatische Kunst
Wiebke und Annette liegen langgestreckt auf dem Boden des weiß gestrichenen Raumes. Langsam krabbelt Annettes Hand den Körper der Freundin entlang, legt sich auf ihre Brust. „Halt, stopp, bis hier“, unterbricht Markus Herlyn die vierte Wiederholung des kurzen Szenenanfangs. „Ihr seid auf dem richtigen Weg, aber irgendwie fehlt der Impuls. Was ihr da macht, ist so technisch.“
Markus Herlyn ist Leiter des Bremer „Kollegs für dramatische Kunst“, Wiebke und Annette sind zwei seiner Studentinnen. Die Inszenierung, die hier ihren letzten Schliff erhält, ist eine freie Bearbeitung von Brechts Künstlerdrama „Baal“, die in den letzten Monaten entwickelt wurde und am Samstag zur Aufführung kommen soll. Nicht nur die Inszenierung, auch die insgesamt sechs beteiligten Frauen befinden sich auf der Zielgeraden – noch wenige Wochen, dann ist ihre Schauspielausbildung beendet.
Schauspielausbildung? In Bremen? Das gibt es? Allerdings. Zwar ist das Abschlusszertifikat nicht staatlich anerkannt, doch hinter den Frauen liegen zwei Jahre, die sie mit der Arbeit in Projekten und Workshops, mit Unterricht in Körpertraining, Sprecherziehung und Rollenarbeit verbracht haben. Und das alles, wie Markus Herlyn betont, bei durchaus renommierten Dozenten aus Deutschland, Italien, Polen und Russland.
„Unser Ziel ist es, den Studenten des Kollegs internationale Schauspiel-Methoden zur Verfügung zu stellen“, beschreibt er einen der Schwerpunkte der Ausbildung. Ein anderer Aspekt ist die Selbstständigkeit des Schauspielers. „Wir möchten eine Abhängigkeit von der Regie vermeiden“, erklärt Herlyn. „Deswegen beginnt die Arbeit an einer Szene bei uns auch meistens mit einem Vorschlag des Schauspielers, den wir dann gemeinsam weiterentwickeln.“
Für die Studenten hat das alles – anders als an staatlichen Schauspielschulen – seinen Preis. 100 Euro zahlen sie im Monat, dazu kommen Kursgebühren für jedes belegte Projekt – zusätzlich etwa 200 Euro im Monat. Nicht ganz billig, doch schließlich finanziert sich das Kolleg ausschließlich über die Einnahmen.
„Wir wollen hier kein Geschäft machen“, versichert Herlyn mit durchaus glaubhafter Uneigennützigkeit. Finanzielle Unterstützung von der Stadt gibt es keine. „Für die Politiker haben wir ungefähr den gleichen Stellenwert wie moderne Musik – das interessiert vielleicht 200 Leute in Bremen, da lohnt es sich nicht, Geld hineinzuschießen.“ Der einzige Vorteil für die Studenten: Die Ausbildung am Kolleg ist „berufsfreundlich“ konzipiert – eine der Studentinnen führt nebenher ein Flamencostudio, eine andere arbeitet in der Kulturwerkstatt westend.
Im Moment bleibt jedoch kaum Zeit für etwas anderes als konzentrierte Proben. Während Markus Herlyn mit Annette und Wiebke an Text und Bewegungen feilt, hocken in jedem Winkel der umgebauten Privatwohnung am Breitenweg die anderen Darstellerinnen und arbeiten selbstständig an ihren Szenen, lernen Texte, diskutieren. „Hier schaffen es nur die, die unbedingt wollen“, behauptet Herlyn, und diese Motivation ist allen anzumerken. Ob es reicht, um auf dem hart umkämpften Schauspielermarkt zu überleben, wird sich zeigen.
Bodil Elstner
„Baalidea“ nach Bertolt Brecht wird am 06., 07., 10., 12. und 13. Juli jeweils um 20:00 in den Räumen des Kollegs am Breitenweg 13 gezeigt. Wer sich für die Teilnahme am Kolleg interessiert (der nächste Zyklus beginnt im Februar 2003), kann sich unter Tel. 0421-702354 mit Markus Herlyn in Verbindung setzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen