Schauspieler Andreas Schmidt: "Outsider mit Hang zur Gewalt"
"Ich würde gerne mal einen nicht mordenden Familienvater spielen", sagt Andreas Schmidt. Leider besetzt man ihn immer anders. Etwa als tragischen Aufreißer in "Fleisch ist mein Gemüse".
taz: Herr Schmidt, "Schuld und Sühne" von Dostojewski hat Ihr Leben gerettet. Warum?
Weil dieses Buch mir gezeigt hat, dass Kunst ein Ausweg aus einer negativen Gedankenwelt sein kann. Ich bin unter schwierigen sozialen Bedingungen aufgewachsen, und habe durch Bücher gemerkt, dass es Leute gibt, die in der Lage sind, sich aus vielleicht ähnlichen Nöten raus zu schreiben. Meine Gedanken in Büchern wiederzufinden, hat mich mit der Welt versöhnt.
Konnten Sie diese Begeisterung teilen?
Kaum. Ich hatte einen Freund, mit dem ich philosophische Gedanken ausgetauscht habe, aber das haben wir größtenteils aus uns selbst geschöpft und nicht aus Kant oder Nietzsche. Im Grunde habe ich - von wenigen Ausnahmen abgesehen - erst an der Uni Menschen kennengelernt, die Lesen auch als ein Muss für sich begriffen haben, die wie ich durch Bücher intime Freunde gefunden haben, die wir niemals gesehen haben.
Welcher dieser Freunde liegt Ihnen besonders am Herzen?
Philip Roth finde ich ganz großartig.
Warum?
Ich bin ein Fan von jüdischer amerikanischer Literatur, weil die so wenig ideologisch ist, so bodenständig und trotzdem unglaublich brillant und intellektuell auf hohem Niveau. Und besonders Roth traut sich so viel: "Sabbaths Theater" etwa, mein Lieblingsbuch von ihm, ist mir beim Lesen ein paar Mal aus der Hand gefallen, weil ich gedacht habe: So was darf man doch noch nicht mal denken. Und Roth schreibt das auf. Dieser Mut beeindruckt mich sehr.
Was für Sie in Ihrer Jugend die Literatur war, ein Mittel zur Emanzipation von Ihrer Umwelt, war für Heinz Strunk, den Autor von "Fleisch ist mein Gemüse", die Musik.
Stimmt. Ein Stück weit hat ihm wahrscheinlich diese ganze Schützenfestmuckerei mit den "Tiffanys" das Leben gerettet, aber wohl auch Literatur: Botho Strauß, zum Beispiel. Den würde ich allerdings für mich nicht in Anspruch nehmen wollen.
In der Verfilmung von "Fleisch ist mein Gemüse" spielen Sie Gurki, den Bandleader der Tanzkapelle "Tiffanys", den es wirklich gibt. Haben Sie Ihn kennengelernt?
Nein, aber ich habe ihn mal kurz gesehen. Er hat einen Musikwarenladen, an dem wir während der Aufnahmen vorbeigefahren sind.
Nur vorbeigefahren?
Ja, ich war mir nicht sicher, ob es förderlich gewesen wäre, ihm offiziell zu begegnen, weil ich nicht wusste, wie er Buch und Film gegenüber steht. Aber sehen wollte ich ihn, wo wir schon mal in der Nähe waren. Und er sah relativ normal aus.
Was man von der Figur in Buch und Film nicht unbedingt sagen kann. Dieser Gurki hält sich für den Allertollsten
...Gurki ist doch auch was ganz Tolles.
Nun ja, man könnte auch sagen, dass er an Selbstüberschätzung leidet und ziemlich prollig ist - wie die meisten Figuren, die Sie spielen. Warum werden Sie so gerne gegen Ihren Typ besetzt?
Aus Gewohnheit. Leute haben mich als Outsider mit Hang zur Gewalt gesehen und denken, das funktioniert, also machen wir das wieder. Die Identifikation mit diesen Typen ging manchmal so weit, dass Leute, die nur meine Rollen kannten, Angst hatten, sich mit mir zu treffen, weil sie nicht einschätzen konnten, wie ich bin - kein Scherz. Im Filmgeschäft allerdings ist es erst einmal gut, eine Ecke zu haben; später dann aber ist es auch gut, diese Ecke zu erweitern oder gar loszuwerden.
Was würden Sie gerne häufiger spielen?
Denkende Menschen. Rollen, in denen klar wird, dass ihr Werkzeug der Kopf ist und nicht die Faust. Gerne würde ich einen nicht mordenden Familienvater oder zum Beispiel auch einen Literaturprofessor spielen. Aber diese Art von Rollen können sich Caster oder Redakteure immer noch schwer in Verbindung mit mir vorstellen. Schade! Weeß jar nich, woran dit liegen könnte!
Dabei entsprechen Sie in Umgangsformen, Physis und Stimme doch eher dem Intellektuellen als dem Vorstadtrambo.
Dafür müsste man sich aber die Mühe machen, mich persönlich kennen zu lernen.
"Es gibt hin und wieder Momente, in denen ich mich mag", haben Sie in einem Interview gesagt - wirklich nur hin und wieder?
Das war als Witz gemeint, stimmt aber. Ruhe, Zufriedenheit und Ausgeglichenheit zu erreichen, ist Arbeit für mich. Wenn ich das schaffe, mag ich mich. Aber oft fühle ich mich getrieben, ich rase den Dingen hinterher.
Kein Wunder, Sie arbeiten ja nicht nur als Schauspieler, sondern schreiben und inszenieren auch für die Bühne. Lohnt sich der Stress?
Auf jeden Fall. Ich habe mit Mitte 20 am Off-Theater damit angefangen und es keinen Tag bereut. Alles, was ich tue, wenn ich Regie führe oder schreibe, ist Lernen. Deshalb mach ich das.
Sie beziehen die Schauspieler ungewöhnlich stark in den Entstehungsprozess Ihrer Inszenierungen ein. Warum?
Ich bin völlig fantasielos. Erst wenn ich die Schauspieler und deren Figuren auf der Bühne erlebe, setzt bei mir was ein, fängt es an, mir Spaß zu machen.
Gerade bei Uraufführungen muss man die Stücke diskutieren und immer wieder verbessern, sonst funktionieren sie nicht. Das hat Shakespeare so gemacht, das hat Tschechow so gemacht. Es gibt jedoch Theaterautoren, die glauben, sie könnten ganz alleine ein rundes Stück abliefern. Das ist aber Schwachsinn.
Wenn ich die Schauspieler nicht mit einbeziehen und deren Vertrauen gewinnen würde, wären meine Inszenierungen wahrscheinlich langweilig und tot. Erst mit dem Vertrauen kann etwas zwischen den Machern bei der Theaterarbeit passieren. Und nur so entstehen wertvolle Dinge. Wenn dem nicht so ware, würde mich schämen für so eine Arbeit. Und ich schäme mich so schon manchmal für Dinge, die mir nicht gelingen.
Warum haben sie eigentlich als Schauspieler seit Jahren auf keiner Bühne mehr gestanden?
Weil ich höllischen Respekt vor der Leistung meiner Kollegen habe, und je mehr ich inszeniere, desto größer wird die Angst, da nicht mithalten zu können. Um die endlich mal zu überwinden, überlege ich gerade, ob ich mir die Vorstellungen während der Tournee von "Und abends Gäste" mit einem der Schauspieler teile.
Woraus ziehen Sie Bestätigung?
Aus meiner Familie, meinen Freunden. Und manchmal auch aus Publikumsreaktionen, wenn ich merke, dass ich jemanden wirklich mit dem berühre, was ich mache.
Sind Sie bei der Premiere von "Fleisch ist mein Gemüse" auf Ihre Leistung angesprochen worden?
Ja, einige Male, aber das heißt nicht, dass ich meiner Arbeit gegenüber dann unkritisch werde.
Und dadurch wird es schwieriger, Lob anzunehmen?
Die Selbstkritik steht mir da oft im Weg.
Mögen Sie Ihre Stimme?
Ich muss damit leben. Haben Sie mal die Stimme von Marlon Brando gehört? "Die Faust im Nacken" fand ich einen tollen Film - und erst diese geile Stimme! Das war aber Harald Juhnke. Als ich diesen Film und Brando zum ersten Mal im Original gehört habe, war ich schockiert: Dieser Held meiner Jugend hat eine ähnlich quiekende Piepsestimme wie - nicht dass ich mich mit Brando vergleichen möchte, aber der hat vielleicht auch drunter gelitten.
Auch?
Ich weiß nicht so genau, ob ich drunter leide, dafür war die Resonanz auf meine "markante" Stimme immer zu positiv, aber es ist schon auffällig, dass ich umso tiefer spreche, je ruhiger und sicherer ich bin. Wenn ich aufgeregt bin, quäke ich eher. Das ist in den Rollen genau so: Gurki quäkt rum, weil er keinen Boden unter den Füßen hat. Das lege ich nicht bewusst so an, das passiert einfach.
Ronald wiederum, der Trucker aus "Sommer vorm Balkon", ist so bei sich ...
... glaubt er ...
... dass er tiefer spricht. Oder haben Sie sich bei den Dreharbeiten sicherer gefühlt?
Anfangs war ich sehr nervös. Da war dieses tolle Projekt, bei dem alles stimmte: das Buch, der Regisseur, die Kollegen. Man will gut sein und bekommt Panik, ob man das auch hinbekommt. Später habe ich mich dann aber sehr wohl gefühlt, und das obwohl ich mich sehr stark auf mich selber konzentrieren muss, um einen Typen zu verkörpern, der ganz gelassen Sätze sagt wie: "Wer auffährt, ist immer selber Schuld."
Warum?
Weil ich ein Leichtgewicht bin und schon früher beim Boxen immer schneller sein musste als die anderen, mich immer mehr bewegen musste. Deswegen fällt es mir leichter, wenn ich in Rollen rumzappeln kann.
Wenn das so ist, muss es für Sie ein Klacks gewesen sein, Gurki zu spielen.
Nein, sicher nicht. Es gibt nur eine Möglichkeit, so eine Rolle zu spielen: Du musst aufs Ganze gehen.
Wie meinen Sie das?
Das Schwierige ist, die Balance zu halten zwischen Karikatur und Wahrhaftigkeit. Die Zuschauer müssen die Figur akzeptieren oder sogar mögen, sonst lassen sie sich nicht an sich ran. Also muss man als Schauspieler versuchen, so einen Typen in seiner Not von innen her zu begreifen und nach Parallelen zu sich selbst suchen - auch wenn der Charakter noch so peinlich ist.
Welche Parallelen haben Sie gefunden?
Feigheit und Opportunismus sind auch mir nicht fremd.
Und sonst?
Wir sind beide Sexsymbole.
INTERVIEW DAVID DENK
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