Schauprozesse im Iran: "Ausländische Architekten"
Durch die Schauprozesse gegen die Opposition wird das Mullah-Regime im Iran nun tatsächlich zu einer Militärdiktatur.
Mohammad Ali Abtahi machte einen angespannten Eindruck, als er am Nachmittag des 12. Juni die Hosseinije-Erschad-Moschee betrat. Humorvoll wie immer weigerte sich der frühere Stellvertreter des Reformpräsidenten Chatami, mit seiner Geburtsurkunde vor der Wahlurne zu posieren und verschwand schnell wieder durch einen Hinterausgang.
Zwei Tage später wurde er verhaftet. Bald schon wurden Spekulationen laut, die Regierung plane die Ausstrahlung unter Folter erzwungener Aussagen, in denen Reformer gestehen sollten, auf eine aus dem Ausland gesteuerte Revolution hingewirkt zu haben.
Mit dem an diesem Samstag begonnenen Schauprozess gegen rund einhundert Demonstranten und Politiker, von denen viele unter Chatami dienten, sind diese Spekulationen nun Realität geworden. Eine Realität, die dasselbe flaue Körpergefühl wie die Verkündung der Ergebnisse in der Wahlnacht hervorruft und - bei näherer Betrachtung der Anklageschrift - die schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
Die Islamische Republik steht in der Woche der Vereidigung ihres nichtgewählten Präsidenten unmittelbar davor, eine Militärdiktatur zu werden, in der die Religion lediglich dem Zweck dient, der Macht der Revolutionsgarden sakrale Legitimität zu verleihen. Damit strebt ein zehnjähriger antireformerischer Prozess dem Endziel entgegen, die Pluralität im Kräftespiel der Machtzentren so weit zu reduzieren, dass die größtmögliche politische, ökonomische und militärische Macht auf die kleinstmögliche Anzahl von Entscheidern verteilt wird.
Sofort nach dem Wahlsieg Chatamis im Mai 1997 hatten die Konservativen um Ali Chamenei zu einer Offensive angesetzt, bei der den Revolutionsgarden eine neue Rolle zukam. So drohte etwa deren damaliger Kommandant Jahja Rahim Safawi reformorientierten Klerikern bereits 1998 mit dem Tod, zu dem das Revolutionsgericht Abtahi nun schlimmstenfalls verurteilen könnte: "Ich habe den Führer darauf aufmerksam gemacht, dass sich unter dem Deckmäntelchen des Klerikertums eine neue Form der Heuchelei ausbreitet", sagte Rahim Safawi damals vor Offizieren. Und fügte hinzu: "Das sind Scheinheilige, die bloß vorgeben, das Recht anzuwenden. Manche müsste man köpfen oder ihnen die Zunge herausreißen."
Im Juli 1999 forderten dann 24 Generäle in einem offenen Brief an Chatami unverhohlen das Ende des Reformprozesses. Dieser knickte nach den Studentenunruhen des Sommers schließlich ein, als er sich demonstrativ Chamenei unterordnete und in den Augen vieler Studenten zum Verräter wurde, weil er nicht für sie Partei ergriff.
Erst im Kontext der Präsidentschaftswahlen vom Juni konnte die Reformbewegung jenes Momentum zurückgewinnen, das sie vor zehn Jahren eingebüßt hatte und welches brutal zu ersticken die Ultrakonservativen um Chamenei, Ahmadinedschad und Generalstabschef Hassan Firusabadi um jeden Preis entschlossen sind.
Es sind insofern nicht nur leidgeprüfte und entwürdigte Menschen, denen nun kollektiv und ohne Verteidigung der Prozess in Teheran gemacht wird; es ist auch der Reformismus als historische Entwicklung, der auf der Anklagebank sitzt und deren Ende vorbereitet werden soll.
Indem man Abtahi gezwungen hat, den Exstaatspräsidenten und aktuellen Vorsitzenden des Expertenrats, Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, in einem Atemzug mit Mir Hossein Mussawi und Mohammed Chatami zu nennen, vervollständigt sich die sonntägliche Titelzeile der radikalen Tageszeitung Keyhan zu einer Programmatik kommender Entwicklungen: "Bewegende Geständnisse der Aufrührer vor Gericht. Enthüllungen des Verrats Chatamis und Mussawis." Im Klartext: Es werden die Bedingungen geschaffen, um im Bedarfsfall auch Mussawi und Chatami vor Gericht zu stellen, notfalls sogar Rafsandschani, der sich zuletzt vergeblich um klerikale Allianzen gegen Chamenei bemüht haben soll.
Grundlegend für diese Bedingungen ist ein verschwörungstheoretisches Konstrukt, gemäß dem "ausländische Architekten" schon seit Jahren an einer schleichenden Revolution arbeiten sollen, die sich - so präzisierte die Anklageschrift - vermittels iranischer Konspiranten wohldefinierter Vorgehensweisen im Stile des Handbuchs "From Dictatorship to Democracy" des Theoretikers gewaltfreier Revolte, Gene Sharp, bediene, um eine Systemänderung herbeizuführen.
Die inhaltliche Konkretisierung der "konzeptionellen, operativen und medialen Instrumente der schleichenden Revolution" lässt keinen Zweifel daran, dass das Gericht den Auftrag hat, den gesamten emanzipatorischen Fortschritt seit 1997 - von der Lockerung der sittlichen Kontrolle des öffentlichen Raums und der Zensur, über die Erfolge der Frauenbewegung und die Stärkung der Zivilgesellschaft, bis hin zu Debatten zur Kompatibilität von Schiismus und Demokratie - als Gefährdung der islamischen Republik und ihrer nationalen Sicherheit zu verurteilen.
Abtahi im
Pyjama-Totenhemd
Und so bewirkt der Anblick Mohammad Ali Abtahis mit zerzaustem Haar im Pyjama-Totenhemd vor dem Teheraner "Gericht" dieselbe hilflose Wut, die zuletzt die Berichte von zu Tode gefolterten Inhaftierten auslösten. Mit dem einzigen Unterschied, dass dort Körper und Seele gequält wurden, hier aber der Geist des Reformismus geschunden und vernichtet wird.
ALESSANDRO TOPA
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