Schalke 04 ist wieder erstklassig: Eine Herzensgeschichte

Schalke 04 gelingt nicht nur der direkte Wiederaufstieg, sondern auch die Neuaufstellung eines rundum heruntergewirtschafteten Vereins.

Ein Fan küsst Terodde nach dem Spiel auf den Hinterkopf

Echte Liebe auch auf Schalke: ein Fan zeigt seine Zuneigung zum zweifachen Torschützen Terodde Foto: Martin Meissner/ap

GELSENKIRCHEN taz | Die Angehörigen des FC Schalke 04 haben wahrlich wundersame Dinge hinbekommen während der vergangenen zwölf Monate, aber als sie ihr großes Ziel erreicht hatten, scheiterten sie krachend bei ihrer Suche nach Worten, die groß genug waren für diesen Moment. „Einfach Wahnsinn“ sei dieses Erlebnis, sagte Darko Churlinov, „galaktisch“ fand Sportdirektor Rouven Schröder die Augenblicke nach dem 3:2 (0:2) gegen den FC St. Pauli, als die Menschen vor Glück weinten, schrien, sangen und den Rasen stürmten.

„Boah, unfassbar“, entfuhr es Trainer Mike Büskens, und Vitctor Palsson stammelte: „I will never forget this day, I will never forget this day!“ Schalke 04 kehrt ein Jahr nach dem von Weltuntergangsgefühlen begleiteten Abstieg nicht einfach nur in die Bundesliga zurück, der Verein wird dort beflügelt von den Energien eines abenteuerlichen Saisonfinales ankommen. Und dieses 3:2 gegen die armen Hamburger, die nun keine realistische Chance mehr auf den Aufstieg haben, war ein würdiger Gipfel dieser Reise durch Liga zwei.

Schalke spielte und griff an, alleine Simon Terodde hatte in der ersten Halbzeit etliche riesige Chancen, doch in Führung lag zur Pause der FC St. Pauli. Zwei Mal hatte Igor Matanovic getroffen (7.). Doch irgendwie war in dem emotional überkochenden Tempel auf dem Berger Feld zu jeder Zeit ein tiefer Glaube spürbar, dass hier noch viel passieren würde. „Wir wussten: Ein Ding, und die Scheiße kippt“, sagte Büskens später, und genauso kam es. Zwei Terodde-Tore (47., 71.) wurden zum Vorspiel für die Explosion der Gefühle, die Rodrigo Zalazar schließlich mit seinem trotzig unter die Latte gedroschenen Ball zum 3:2 auslöste. Es war ein Moment, in dem viel mehr steckte als die Freude über ein mögliches Siegtor und den nun plötzlich ganz greifbaren Aufstieg.

Die Menschen brüllten sich all den Frust und Schmerz über den demütigenden Abstieg in der Vorsaison, die Entbehrungen der Pandemie und den Zusammenbruch jenes FC Schalke, der in den ersten 20 Jahren des Jahrhunderts zu den europäischen Topklubs zählen wollte, von der Seele. „Überlegt mal, was hier in den letzten zwei Jahren los war“, sagte Büskens, „du gewinnst 30 Spiele nicht, steigst sang- und klanglos ab, hast keine Mannschaft. Und dann entwickelt sich da so ein Haufen, wo jeder bereit ist, für den anderen zu laufen, Gas zu geben.“ Und als sich der allererste Überschwang gelegt hatte, warf auch der Trainer, der wieder in den Assistentenstab eines noch nicht feststehenden neuen Chef­coaches rücken wird, noch einen Blick auf die größeren Zusammenhänge.

Es ist ein Team voller Fußballer entstanden, die auch auf Schalke spielen, weil sie den Verein ins Herz geschlossen haben

Toxische Verbindung zu Gazprom gekappt

Man habe „den Reset-Knopf gedrückt“, sagte der Mann, der mehr und mehr zur größten Ikone der Schalker Gegenwart wird, und erklärte: „Wir haben ein Stück weit zu unseren Werten zurückgefunden.“ Die toxische Verbindung zum russischen Staatskonzern Gazprom wurde im März gekappt, als man noch auf einem Nichtaufstiegsplatz stand. Es ist ein Team voller Fußballer entstanden, die nicht zuallererst wegen der Gehälter hier spielen, sondern ganz im Ernst auch, weil sie Schalke ins Herz geschlossen haben. Terodde weinte nach dem Abpfiff, und der Mittelfeldspieler Florian Flick sagte: „Wir sind über die Saison wirklich richtig zusammengewachsen.“

Zudem ist der umstrittene Aufsichtsratschef Clemens Tönnies weg, der neue Vorstand agiert wirtschaftlich besonnen und investiert kein Geld mehr, das vielleicht einmal in einer herbeifantasierten Zukunft eingenommen wird. Es ist ein grundsätzlich neuer FC Schalke, den die Bundesliga in der kommenden Saison begrüßen kann.

Aber ganz ohne bedrückende Momente konnten diese seltsamen königsblauen Leute diesen zauberhaften Abend doch nicht zu Ende bringen. Während der zweiten Halbzeit drohte das Schiedsrichterteam mehrfach, die Partie abzubrechen, weil permanent Pyrotechnik abgefackelt wurde. Diese Sache ging noch gut, aber nach dem Abpfiff stürmten viele Anhänger auf den Rasen, und in einer Ecke der Nordkurve drückten so viele Menschen in Richtung Spielfeld, dass es extrem eng wurde.

Zwischenzeitlich lag die ernsthafte Sorge über der Party, dass es zu Schwerverletzten kommen würde. In einem Bericht der Polizei hieß es, „mehrere Personen“ seien verletzt worden. Dass es im 21. Jahr seit Eröffnung der Arena überhaupt zum ersten Mal zu einem Platzsturm kam, zeigt allerdings, was für einen besonderen Platz dieser Aufstieg in der Geschichte des FC Schalke einnimmt.

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