■ Schäubles Ernennung zum Kohl-Nachfolger ist nicht ohne Risiko: Zwei Kapitäne, nur welcher Kurs?
So viel Veränderung war noch nie in der CDU der auslaufenden Ära Kohl. Sie ist so groß, daß sie der Vorsitzende seiner Partei gar nicht so recht zumuten will. Erst nachdem sie die Leipziger Messehallen verlassen hatten und wieder ins heimische Sofa gesunken waren, sollten die Delegierten des Parteitages via Fernsehen erfahren, was sie während der ganzen dreitägigen Beratungen doch so gerne gewußt hätten und worüber sie in den Wandelhallen so trefflich wie danebenliegend spekulierten: Wie steht der mächtigste Mann der christdemokratischen Union zum zweitmächtigsten?
Nun wissen es die Delegierten. Doch warum wußten sie es nicht vorher? Warum wurde ihnen die Botschaft nicht auf dem Parteitag verkündet? In einer Demokratie gibt es keine Kronprinzen, sagt Schäuble. Deshalb verwies er pflichtgemäß auf die Beschlußrechte der zuständigen Parteigremien. Wenn es um die Thronfolge geht, könnte man Schäuble entgegnen, gibt es in der CDU keine Demokratie.
Es gibt keine Abstimmung, sondern Stimmung. Und die war für Kohl in der letzten Zeit immer schwerer zu fassen und, wie man jetzt vermuten kann, noch weniger zu steuern. Diese Stimmung in der Partei hatte ihn im Frühjahr gedrängt, vorfristig entgegen den eigenen Zeitplänen seine erneute Kanzlerkandidatur zu verkünden. Und sie ist, trotz dieses Schrittes, seitdem nicht wesentlich besser geworden. Dieser Stimmung wollte sich der Kanzler auf dem Parteitag nicht aussetzen. Die öffentliche Erörterung der Nachfolge hätte ihm womöglich das wahre Ausmaß seines Rückhaltes in der Partei offenbart. Und er wäre geringer, als der Applaus zu seiner Rede signalisierte.
Früher wurde gefragt, was macht Helmut Kohl, und die Antwort galt für die CDU gleichermaßen. Nun ist nicht mehr unbedingt gut für Kohl, was gut ist für die CDU. Schäuble wird vieles tun, die Differenz nicht über die Maßen spürbar zu machen. Aber er wird nicht alles tun. Denn sein Konzept ist auch auf die Zeit nach Kohl angelegt. Es erstreckt sich über die Jahrtausendwende hinweg, beinhaltet aber die Möglichkeit einer Großen Koalition und damit ein vorfristiges Ende der Ära Kohl gleichermaßen.
Die CDU wird also mit einer Doppelspitze in den Wahlkampf gehen. Kohl steht für Kontinuität, Schäuble für Veränderung. Die Arbeitsteilung war schon in ihren Parteitagsreden angelegt. Diese Arbeitsteilung berücksichtigt auch, was bei den internen Überlegungen womöglich nicht das Unwichtigste war: Der Kanzler ist mittlerweile ein alter Mann geworden, der sich das ein oder andere Mal verhaspelt, der Namen vergißt, der auf seine körperliche Verfaßtheit Rücksicht nehmen muß.
Doch fängt jetzt das Räsonieren über die Verfaßtheit seines Nachfolgers an. Es wird sich, so ist zu befürchten, nicht auf die bayerische Union beschränken. Deren Intervention macht deutlich, daß die Staffettenübergabe – so geräuschlos sie in die Wege geleitet wurde – so widerspruchslos nicht hingenommen wird. Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen, heißt es bei der CSU. Sie macht damit deutlich, daß sie nicht nur aus formalen Gründen ein Wörtchen mitreden will. Sie steht im Dissens zu Schäuble in einigen Sachpunkten, aber vor allem in dessen Haltung zu einer möglichen Koalition mit der SPD. Und Waigels öffentlich geäußerte Befürchtung, eine Große Koalition würde auch ein Ende der der eigenen Machtbeteiligung einläuten, ist von historischer Erfahrung gesättigt.
Die CSU treibt auch die Sorge um ihre Präsenz in der Bundesregierung um. Noch immer ist das Ausscheiden von Postminister Bötsch nicht kompensiert, noch immer ist Waigels Wunsch nach einem anderen Posten nicht befriedigt. Auch wenn Bauminister Töpfer jetzt das Kabinett verläßt, wird dadurch Waigel wohl keine Befriedigung verschafft werden. Denn die FDP wird sich sperren, einen ihrer drei Posten zu räumen. Töpfers Weggang wird bestenfalls den Platz schaffen, die christlich-soziale Minderpräsenz im Kabinett auszugleichen. Und wenn Kohl gut ist, geschieht dies in einer Weise, die gleichermaßen den Unmut der Bayern mit Schäubles Intronisation kompensiert. Dieter Rulff
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