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Schärfere Flüchtlingspolitik in BerlinHauptsache, man sieht sie nicht

Der Senat setzt nur noch auf Großunterkünfte für Flüchtlinge und auch bei ihrer Beschulung geht der Trend zur Segregation. Kritiker sind entrüstet.

Untergebracht, aber von Wohnen weit entfernt: Geflüchtete in der Unterkunft im ehemaligen Flughafen Tegel Foto: Sabine Gudath/imago

Aus Berlin

Susanne Memarnia

Zur Zeit sieht es nicht gut aus für Flüchtlinge, auch nicht in Berlin. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit verabschiedet sich der Senat gerade scheibchenweise von lange hochgehaltenen Prinzipien. Etwa, dass Geflüchtete möglichst dezentral untergebracht werden und dass geflüchtete Kinder in Regelschulen gehen, um ihre Integration zu erleichtern. Stattdessen setzt die Koalition zunehmend auf Großunterkünfte – und plant dort „Flüchtlingsschulen" gleich mit.

Doch solche „Segregationsschulen" gefährdeten die Bildungschancen und die psychische Gesundheit geflüchteter Kinder und Jugendlicher, heißt es in einem offenen Brief, den 80 Berliner Organisationen an diesen Donnerstag – dem Internationalen Tag der Kinderrechte – an Bildungssenatorin Katharina Günther-Wunsch (CDU) überreichen. „Besonders für die große Zahl von Kindern und Jugendlichen mit Traumafolgestörungen ist eine isolierte Beschulung innerhalb von Großunterkünften hochgradig belastend", schreiben die Unterzeichner – darunter Flüchtlingsrat, Moabit hilft, Grips Theater und Terre des Hommes Deutschland.

Die erste „Flüchtlingsschule" direkt in einem Heim wurde Anfang 2024 in der Notunterkunft Tegel für rund 300 Kinder eröffnet. Begründung: In den Schulen der näheren Umgebung gebe es nicht genug Platz für weitere Willkommensklassen. Was zunächst als absolute Ausnahme verkauft wurde, wird offensichtlich zum neuen Normal. Laut Bildungsverwaltung eröffnete nach den Herbstferien im früheren City Hotel an der Landsberger Allee eine „Beschulung" für rund 70 Kinder, Anfang November startete zudem die „Willkommensschule THF" am Ex-Flughafen Tempelhof mit 50 Kindern. In der Notunterkunft Tegel, die bis Jahresende leer gezogen werden soll, gehen weiterhin 180 Kinder in die Flüchtlingsschule. Auch in der neuen Großunterkunft Hasenheide ist eine eigene Schule in den Räumen der Einrichtung geplant.

"Wie bekommen wir diese Kinder in den Regelbetrieb?"

Hans-Jürgen Kuhn, Schöneberg hilf

Diese Praxis der Segregation stehe in eklatantem Widerspruch zu nationalem und internationalem Recht, heißt es im offenen Brief – die Unterzeichner verweisen unter anderem auf die UN-Kinderechtskonvention (Art. 28), den UN-Sozialpakt (Art. 13) und die EU-Grundrechte-Charta (Art. 14). Der Sprecher der Bildungsverwaltung, Martin Klesmann, erwiderte auf taz-Anfrage: Es helfe nicht, „eine integrative Beschulung zu fordern, wenn die sächlichen Ressourcen – die Klassenräume – nicht in auskömmlichen Maße vorhanden sind". Insofern sei die vorübergehende Beschulung in Unterkünften nur die zweitbeste Form, „aber an den genannten Standorten alternativlos". Dennoch habe das Recht auf Bildung „oberste Priorität".

Tausende Schulplätze fehlen

Als „Übergangslösung" seien die Flüchtlingsschulen auch nicht zwangsläufig schlecht, sagt Hans-Jürgen Kuhn, der sich für Schöneberg hilft um Bildungsprojekte kümmert. So sei die Flüchtlingsschule THF personell und räumlich sehr gut ausgestattet, die Kinder bekämen dort ein gutes Ganzstagsangebot. Dennoch sei es richtig, „dass Kinder ins Regelsystem gehören" – daher hat auch sein Verein hat den Brief unterzeichnet.

Das große Problem sind für Kühn aber nicht die Flüchtlingsschulen, sondern die Qualität des Unterrichts in den Willkommensklassen an den Regelschulen, die die allermeisten Flüchtlingskinder, derzeit rund 11.000, besuchen. Echte Integration in den Schulalltag finde auch hier nicht statt, so Kühn – und die Frage bleibe: „Wie bekommen wir diese Kinder in den Regelbetrieb?" Dafür fehlten Tausende reguläre Schulplätze.

Dieses Problem wird sich durch den jüngsten Beschluss des Koalitionsausschusses wohl noch verschärfen, weil er dafür sorgen wird, dass neue Flüchtlinge zunehmend an wenigen Orten konzentriert werden. Vorige Woche erklärte die Spitzenrunde von Schwarz-Rot, sie gehe davon aus, „dass sich das Fluchtgeschehen der kommenden Jahre auf dem in den vergangenen Monaten zu beobachtenden moderaten Niveau stabilisiert". Daher setzt der Senat nun ausschließlich auf die Ausweitung der Großunterkünfte.

Am und im Ex-Flughafen Tempelhof, wo schon jetzt rund 2.000 Menschen leben, sollen weitere 1.000 Plätze in Containern entstehen, im neuen Ankunftszentrum Tegel, das nach dem Abbau der bisherigen Zeltstadt als Containerdorf hochgezogen werden soll, sollen 2.600 Menschen untergebracht werden – und im früheren Glaspalast der Rentenversicherung an der Hasenheide sollen 1.000 bis 1.500 Menschen unterkommen.

„Die Koalition ist sich darin einig, dass auf Grundlage ihrer Annahmen weitere zusätzliche Standorte in 2026 und 2027 vorerst nicht erforderlich sind", heißt es im Beschluss des Koalitionsausschusses vom 13. November. Die für andere Standorte bereits bestellten Continer könne man ja in Tegel und Tempelhof nutzen, ansonsten „erscheint es vorzugswürdig, vor allem bereits genutzte Hotels, Hostels und ehemalige Schul- oder Bürostandorte am Netz zu halten, soweit dafür ein Belegungsbedarf besteht".

CDU hat ihr Ziel erreicht

Damit hat sich die CDU auf ganzer Linie durchgesetzt: Schon länger reden Politiker wie Fraktionschef Dirk Stettner bei jeder sich bietenden Gelegenheit der Konzentration von Flüchtlingen in wenigen Großlagern das Wort – und Pläne für neue Heime, die in für die Partei wichtigen Wahlbezirken liegen, werden torpediert, wo es geht. Entsprechend dürr fällt das Statement von Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) zum Koalitionsbeschluss aus. „Als Integrations- und Sozialsenatorin setze ich mich weiterhin ausdrücklich für die dezentrale Unterbringung ein – und zugleich tragen wir gemeinsam die Entscheidung des Koalitionsausschusses", sagte sie der taz. Und setzt hinzu: „Integration gelingt am besten dezentral, vor Ort, in den Kiezen und Nachbarschaften."

"Eine Stadt, die Integration ernst nimmt, baut keine neuen Lager. Sie schafft Wohnraum."

Flüchtlingsrat, Migrationsrat, Moabit und Schöneberg hilft

Abgegessen davon und zunehmend entrüstet sind die Organisationen Flüchtlingsrat, Migrationsrat, Moabit hilft und Schöneberg hilft: „Eine Stadt, die Integration ernst nimmt, baut keine neuen Lager. Sie schafft Wohnraum. Sie schafft kleinere, dezentrale Unterkünfte, die in bestehende Nachbarschaften eingebettet sind", schreiben sie in einer gemeinsamen Erklärung. An solchen kleinen Einheiten gebe weiterhin großen Bedarf, denn viele Einrichtungen „haben keine Kochmöglichkeiten, kaum Privatsphäre und keine verlässlichen sozialen oder medizinischen Strukturen", die Bewohner seien häufig Willkür und Diskriminierung durch Betreiber und deren Dienstleister ausgesetzt. Gerade Großunterkünfte wie Tempelhof, wo Menschen in Hallen und Containern leben, seien Dauerprovisorien, wo Menschen nicht in Würde leben könnten.

Auch in den zuständigen Verwaltungen und Ämtern brodelt es. Nach taz-Informationen gibt es große Verunsicherung, was mit den vielen bereits geplanten und teils schon vertraglich vorbereiteten Containerdörfern, Modularen Unterkünften und Umbauten passieren soll. So gibt es etwa für ein ehemaliges Bürogebäude in der Soorstraße im Westend, das zu einem Heim für Flüchtlinge und Azubis umgebaut werden soll(te), bereits einen Mietvertrag. Würde das Land davon zurücktreten, drohe eine Vertragsstrafe im mittleren zweistelligen Millionenbereich, erfuhr die taz aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen.

Zudem ist die Prognose, dass die Flüchtlingszahlen absehbar niedrig bleiben, höchst gewagt: So kamen im Oktober allein aus der Ukraine 1.314 Menschen nach Berlin – noch im Mai waren es fast 1.000 weniger. Die Zahlen steigen wieder, auch weil die Ukraine die Ausreise junger Männer erleichtert hat. Schon jetzt gibt es kaum freie Plätze in den regulären Unterkünften des LAF – und aus der Zeltstadt in Tegel müssen bis Jahresende noch 1.000 Menschen ausziehen.

Dass die Pläne des Senats auch wirtschaftlich eine Katastrophe sind – Großunterkünfte und Hotels/Hostels sind nachweislich die teurste aller Unterbringungsmöglichkeiten –, kommt erschwerend hinzu. Aber wen interssiert das, wenn es darum geht, Flüchtlinge möglichst aus dem Stadtbild zu entfernen.

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