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Schach und nationale BegeisterungWieder diese Deutschtümelei

Vincent Keymer ist 18 Jahre alt, ein talentierter Schachspieler und ein angenehmer Zeitgenosse. Doch Begeisterung erntet er, weil er Deutscher ist.

Schnellschach-WM in Kasachstan: Vincent Keymer (re.) gegen Weltmeister Magnus Carlsen Foto: David Llada/International Chess Federation/dpa

N atürlich seien zehn Deutsche dümmer als fünf Deutsche, sagte einst Heiner Müller, und leider merkt man das auch im Sport. Es gibt diese Nischensportarten, da kann man sich mit einer kleinen feinen Bubble arrangieren, auch wenn man sonst kaum Ansichten oder Werte teilt. Es hat etwas Exklusives, zusammen über Badminton oder Rugby zu fachsimpeln, das überdeckt auch unterschiedliche Vorstellungen von einer idealen Welt.

Voraussetzung ist allerdings immer: keine Deutschen unter den Sieger*innen. Die deutsche Sportberichterstattung ist bis auf wenige Ausnahmen zuerst deutsch und dann Sportberichterstattung. Das liegt freilich daran, dass das deutsche Publikum in der Masse zuerst deutsch ist und dann erst interessiert. Wer über eine Nischensportart schreibt, kann ein breiteres Publikum dann erreichen, wenn er auf den Deutschland-Train springt. Das funktioniert beim Tennis, beim Boxen, beim Darts.

Beim Schach vermutlich nicht, dafür ist der Sport doch zu klein. Das heißt aber nicht, dass es nicht versucht wird. Jene Rolle, die woanders Boris Becker, Steffi Graf, Henry Maske oder Gabriel Clemens zufällt, wäre hier für Vincent Keymer vorgesehen. Er ist Teil jener Generation, die in den nächsten zehn Jahren den besten Schachspieler aller Zeiten, Magnus Carlsen, beerben wird. Zu dieser Generation zählen auch Alireza Firouzja, Nordirbek Abdusattorov, Nihal Sarin, Arjun Erigaisi, Rameshbabu Praggnanandhaa, Christopher Yoo und Dommaraju Gukesh.

Aktuell ist enorm viel Bewegung in diesem Spiel, weil sich dieser Generationenbruch in einer Geschwindigkeit vollzieht, die bisher so noch nicht dagewesen ist. Das liegt daran, dass diese junge Generation Schach mithilfe von Programmen und computerbasierten Analysen gelernt hat und durch den Shift Richtung online neue Formate eine viel größere Bedeutung bekommen haben. Eine klassische Schachpartie dauerte früher Tage, inzwischen nur noch eine ausgedehnte französische Mahlzeit, ein bullet-game eine Zigarettenlänge.

Ein Generationenbruch vollzieht sich im Schach, weil die Jungen mithilfe von computerbasierten Analysen gelernt haben.

Aktuell ist Vincent Keymer mit seinen 18 Jahren 43. des internationalen Rankings. Hört man ihn in Interviews, ist es unmöglich, Schlechtes über ihn zu sagen. Er ist ein fairer, ein bisschen aus der Zeit gefallener und dabei sehr geerdet scheinender 18-Jähriger, der nach dem Abitur einen Sprung nach vorne gemacht hat, der vermuten lässt, dass es für die Top Ten des Schachs reichen wird; der gleichzeitig alle seine Karrierepläne mit einer bodenständigen Nonchalance kommentiert, die man von Ni­schen­sport­le­r*in­nen kennt.

Kürzlich wurde er Vizeweltmeister im Schnellschach (wobei man einiges wissen muss über zum Beispiel das Schweizer System und das Format, um das einordnen zu können) und schon überschlug sich die „Wir sind wieder wer“-Berichterstattung. Selbst der Kicker brachte Artikel, im Zentralorgan gutmeinender Bürgerlichkeit, der Zeit, eröffnete Ulrich Stock seinen Bericht mit dem Satz: „Das deutsche Schach ist nach Jahrzehnten des Dämmerns und Dümpelns auf die Weltbühne zurückgekehrt.“ Was für ein Quatsch: Dem deutschen Schach ging es nie schlecht. Es waren nur eine Weile lang nie sehr viele Deutsche unter den Ersten.

Den Deutschen als Deutschen fällt schlicht nicht auf, dass etwas schön ist, wenn es nicht schwarz-rot-gold angesprüht wird. Tragischerweise wird es dann auf der Stelle hässlich, weil das schlicht die hässlichste Farbkombination der Welt ist.

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9 Kommentare

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  • Also ich verstehe die ganze Aufregung nicht, denn im Schach (wie in jeder anderen Sportart) geht es erstmal prinzipiell um garnichts. Was den (Spitzen)sport aber trotzdem sehenswert macht sind die erbrachten Höchstleisungen und die Spannung des Spiels. Aber ein Spiel, bei dem es um nichts geht, ist ja erst dann spannend wenn man für ein Team mitfiebert. Und es ist doch ganz klar, dass man eher mit einem Team mitfiebert, das die gleiche Sprache spricht, aus der selben Region kommt, das in einem Sportsystem ausgebildet wurde von dem man als Mitspieler oder Ehrenamtlicher selbst Teil war, das man selbst schonmal live erlebt hat.

  • Da haben Sie recht, diese Nationalzentriertheit ist unerträglich, ich würde mich auch über abendfüllende Berichte im Schwingen, Hornussen und Steinstoßen freuen.

    • @0 Substanz:

      Mein früherer Sportlehrer Siggi "Panzer" Perleberg war mehrfacher Deutscher Meister im Steinstoßen und anderen Disziplinen des Kraftsports. Abendfüllende Berichterstattung war unnötig, wir haben es einfach tagsüber live im Stadion gesehen (und bejubelt).

  • Deutschtümelei? Zum Glück kommt das in anderen Sportarten ja nie vor!



    Mannomann!

    • @Herry Kane:

      Ja, das ist auch mein Problem mit diesem Artikel. Sportpatriotismus ist nicht auf das Schachspiel beschränkt und vor allem nicht auf Deutschland. So ticken Menschen nun einmal. Übrigens muss das nicht schlecht sein: ich würde erst durch Boris Beckers Erfolge auf Tennis aufmerksam, aber meine Lieblingsspieler wurden dann Miloslav Mecir, Jimmy Connors und Ivan Lendl. Dazu diese polemische Entgleisung über die Hässlichkeit der Farbkombination Schwarz, Rot und Gold? Ein bisschen Blau dazu und wir haben einen barocken Prunksaal. Als Barockfan bin ich zwar nicht objektiv, aber in Fragen der Ästhetik spielt das wohl kaum eine Rolle. Was soll das?

  • Ich bin kein Linker und habe auch keine großen Probleme mit Deutschland. Ihr Kommentar trifft den Nagel aber leider wirklich auf den Kopf. Der Zustand der deutschen Sportberichterstattung ist wirklich erbärmlich und zwar aus dem Grund, den Sie benennen. Letztens habe ich in der New York Times einen 20x besseren Artikel über Fußball und Transferpolitik gelesen als in der SZ oder dem Kicker. Das sollte einem echt zu denken geben. Länder wie Frankreich, Italien oder Spanien mit Ernst zu nehmenden Sport Tageszeitungen sind uns da meilenweit voraus - aber den deutschen Abonnenten taugt es, ein bisschen witzig und mit deutschem (in Bayern: Bayerischem) Blickwinkel über Sport zu lesen. Ist im TV ja auch so. Peinlich, wenn immer über die lahmen deutschen Skispringer gesprochen wird, obwohl seit 10 Jahren nur andere Nationen gewinnen und die deutschen Adler immer hinterher springen. Wenn man die Berichte schaut denkt man immer, die wären vorne dabei. Peinlich, Mannomann...

  • "...wenn es nicht schwarz-rot-gold angesprüht wird. Tragischerweise wird es dann auf der Stelle hässlich, weil das schlicht die hässlichste Farbkombination der Welt ist."



    Das sind die Farben unter denen seit 1815 in Deutschland für Demokratie und Freiheit gekämpft wird und wurde. Erst 1918 kamen diese zur vollen Entfaltung. Die vom Autor vorgetragene Verachtung dieser Farben steht in Tradition der NS-Agitation "Schwarz-Rot-Mostrich". Nicht zuletzt deshalb wurden für den demokratischen Neuanfang auch bewusst diese Farben wieder verwendet. Eig. der man zumindest Achung zollen könnte. Da fehlt es dann wohl am historischen Hintergrundwissen...

    • @Alfred Sauer:

      Lieber Johannes Cibo,

      vielen Dank für diese klaren Worte

  • "Den Deutschen als Deutschen fällt schlicht nicht auf, dass etwas schön ist, wenn es nicht schwarz-rot-gold angesprüht wird. Tragischerweise wird es dann auf der Stelle hässlich, weil das schlicht die hässlichste Farbkombination der Welt ist."

    Insgesamt ein recht guter Artikel, der dann doch mit dem letzten Satz einfach einmal alles einreißt - "Deutschtümelei", was auch immer das sein mag, ist vielleicht etwas, womit der Autor nichts anfangen kann. Aber im letzten Satz in eine derart stumpfe und stumpfsinnige Anti-Deutschtümelei zu verfallen, das ist nun wirklich keinen Deut besser.