Schach-Grand Slam: Kein Bubi-Wunder
Der 17jährige Carlsen führt zunächst, kann sich dann im Grand Slam in Bilbao doch nicht durchsetzen. Weil auch Weltmeister Anand schwächelt, kehrt Topalow an die Spitze der Weltrangliste zurück.
Der Hype um Magnus Carlsen erreichte zum Auftakt der Rückrunde in Bilbao seinen Höhepunkt: Beim mit 400.000 Euro dotierten Grand-Slam-Finale übernahm der 17-jährige Norweger die Führung und wurde vorschnell als neuer Weltranglistenerster gefeiert.
Doch der Ukrainer Wassili Iwantschuk holte das Schach-Wunderkind in Runde sieben zurück auf den harten Boden der 64 Felder und übernahm selbst die Führung in der virtuellen Weltrangliste - am Schluss aber wurde er selbst plattgemacht: vom "Bulldozer". "La topadora Topalov", wie der in Spanien lebende Wesselin Topalow wegen seines kompromisslosen Angriffsschachs ehrfurchtsvoll genannt wird, dominierte eines der stärksten Schachturniere aller Zeiten.
Damit übernimmt weder Carlsen noch Iwantschuk die Führung in der Weltrangliste: Die schon fast abgeschriebene Nummer fünf aus Bulgarien lebt noch. Der 33-Jährige steht nach 18 Monaten Abstinenz am 1. Oktober, wenn die offizielle vierteljährliche Liste tatsächlich veröffentlicht wird, wieder ganz vorne. Dazu trug vor allem der bisher führende Viswanathan Anand bei. Der Weltmeister gewann keine einzige seiner zehn Partien und verlor so etliche Punkte.
Nach seinen acht Remis fiel der 38-jährige Inder auf Platz fünf der Weltrangliste zurück - hinter Topalow, dem für das Grand-Slam-Finale nicht qualifizierten Russen Alexander Morosewitsch, Carlsen und Iwantschuk. Allerdings liegt das Quintett nur einen Wimpernschlag auseinander, so dass jede Partie einen neuerlichen Wechsel im Januar heraufbeschwören könnte.
"Gegen Carlsen habe ich eine famose Partie gespielt", ließ Topalow das erste der entscheidenden Rückrunden-Duelle Revue passieren und widmete sich sogleich dem zweiten, "ich war am Schluss frisch, während Iwantschuk müde wirkte. Er hat wohl zu viele Turniere hintereinander gespielt." Die Schlappe kostete den Ukrainer 100.000 Euro und eine Baskenmütze. Sein Bezwinger darf neben der Kopfbedeckung die Prämie von 150.000 Euro mitnehmen. Als Trostpflaster besserte der zweitplatzierte Carlsen sein Taschengeld um 70.000 Euro auf.
Durch den Erfolg in der zehnten Runde über Iwantschuk setzte sich Topalow auf 17 Zähler ab. In Bilbao war ein weiterer Versuch gestartet worden, die Drei-Punkte-Regel wie im Fußball einzuführen, um die Remis-Seuche im Topschach zu bannen. Doch auch nach herkömmlicher Rechnung wäre der Großmeister aus Salamanca bei 6,5:3,5 Punkten mit 1,5 Zählern weit vor den Verfolgern Carlsen, dem in Berlin lebenden Armenier Lewon Aronjan (beide 13) und Iwantschuk (12) gelegen.
Der Absturz in der Weltrangliste dürfte den sogenannten "Tiger von Madras" kaum schmerzen. Eher treibt dem Inder die Formkurve vor der Mitte Oktober anstehenden WM in Bonn die Sorgenfalten auf die Stirn. In dem Glaskasten mitten auf der Plaza Nueva, der rasch den Spitznamen "Aquarium" verpasst bekam, wirkte der Weltmeister mehr wie ein Zierfisch für das Turnier denn wie ein Weißer Hai.
Anand spielte mit dem Handicap in Bilbao, keine seiner neuen Eröffnungsvarianten verraten zu können - die sollen schließlich Herausforderer Wladimir Kramnik in Schwierigkeiten bringen. Doch Anand verdarb auch aussichtsreiche Stellungen wie gegen Aronjan, die er früher sicher verwertet hatte. Einzige Beruhigungspille nach der missglückten Generalprobe: Der Russe Kramnik agierte in diesem Jahr noch schlechter. Er liegt nur noch auf Platz sechs in der Weltrangliste.
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