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Saxophonistin über Frauen im Jazz„Das Optische wird mit beurteilt“

Die süddeutsche Saxophonistin Stephanie Lottermoser macht ihren nächsten Karriereschritt von Hamburg aus. Ein Gespräch über Machos und Qualität.

Mag die Weite im Norden: Die Saxophonistin, Sängerin und Komponistin Stephanie Lottermoser Foto: Miguel Ferraz
Jan Paersch
Interview von Jan Paersch

taz: Frau Lottermoser, „Deutsche Mädels erobern die Jazzmusik“ wurde vor ein paar Jahren über Sie in der Presse geschrieben. Ist der Sexismus im Jazz noch krasser als im Pop?

Stephanie Lottermoser: Das weiß ich nicht. Ein einschneidendes Erlebnis in meinem Studium war der Tag, an dem ich im Unterricht einmal eine Frage gestellt habe und die Antwort mit einem Zusatz bekam: Später, wenn ich mal verheiratet sei und Kinder hätte, sei das nicht so wichtig für mich. Das habe ich nie vergessen. Viele der Lehrer dieser Generation sind jetzt schon im Ruhestand. Aber das ist natürlich unmöglich – als Lehrer muss man mit der Zeit gehen und die Situation der Studierenden im Realitätsbezug sehen.

Sie unterrichten heute selbst beim Bayerischen Landesjugendjazzorchester.

Ja, und ich werde oft von Frauen angeschrieben. Das sind keine Fragen, die gezielt mit Weiblichkeit und Beruf zu tun haben, aber die würden das gerne von einer Frau beantwortet haben. Sie wissen, dass es eine andere Berufsrealität ist. Was auch passiert: Wenn in einem Jazzclub drei Mal hintereinander Bands mit Frauen auftreten, ist es sofort eine Reihe mit „Frauen im Jazz“. Das braucht kein Mensch. Man darf die Geschlechterdiskussion aber nicht so weit führen, dass es die Unterschiede nivelliert. Es ist auch in Ordnung, dass es eher Männer- und eher Frauen-Berufe gibt. Wichtig ist, dass man Jugendlichen klarmacht, dass jeder grundsätzlich alle Möglichkeiten haben sollte.

Könnte eine Frauenquote helfen?

Ich bin kein Freund von Quotenregelungen. Das Kriterium sollte die Qualität sein. Es gibt auch bei den Veranstaltern solche Typen wie den Lehrer, für die das so ungewohnt ist, dass man sie darauf stoßen muss. Aber eine 50:50-Quote würde an der Realität vorbeigehen.

Im Interview: Stephanie Lottermoser

wurde 1983 im bayrischen Wolfratshausen geboren. Sie studierte Kulturwissenschaften und Germanistik, später Musik in München. Seit 2018 lebt die Saxophonistin, Sängerin und Komponistin in Hamburg.

Aber sie wäre ein Anfang?

Es gibt auch Workshops gezielt für Frauen. Aber ich denke da immer: Nun bin ich in einem Raum mit lauter Frauen, aber danach ja doch wieder in der anderen Welt. Männer auszuschließen wäre für mich absurd – das ist das gleiche Theater, nur umgekehrt. Ich wähle meine Band nach ihrer Spielweise und ihren menschlichen Qualitäten aus. Und wenn ich soliere, habe ich sowieso die Augen zu. Da sehe ich gar nicht, wer um mich herum steht.

Sie verdanken dem Thema aber auch Aufmerksamkeit, weil Instrumentalistinnen noch immer eher rar sind.

Das stimmt. Aber der Jazzbereich ist qualitätsorientiert. Wenn ich nicht gut genug wäre, würde ich das erfahren. Ich habe oft das Gefühl, dass ich mir als Frau weniger Fehler erlauben kann, weil ich kritischer betrachtet werde.

Es gibt auch nicht viele bekannte Saxophonistinnen. Die meisten kennen wohl nur Candy Dulfer, die in den Achtzigern angefangen hat. Hatten Frauen damals das Gefühl, sich sexy anziehen zu müssen, um Erfolg zu haben?

Candy Dulfer hat auch in Prince' Band gespielt, alle waren dort sexy angezogen. Und trotzdem hätte der nie eine genommen, die nur hübsch ist. Das Optische wird bei Frauen immer mit beurteilt werden.

Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht?

Es gab selten Berichte über mich, in denen das nicht besprochen wurde. Wie oft habe ich schon gehört: „Die spielt nur so viel, weil sie so aussieht.“ Was soll ich dazu sagen? Ich hätte bei meinen ersten Auftritten nie ein Kleid oder einen Rock angezogen! Ich hatte sowieso schon das Gefühl, aufzufallen, ich wollte das nicht noch unterstützen. Selbst in der Schul-Bigband! Aber irgendwann war mir das egal. Denn es gibt absolut keinen Grund, sich für irgendetwas zu entschuldigen.

Sind Sie deshalb auch in den sozialen Netzwerken so präsent?

Ich interessiere mich einfach für Mode. Ich muss mich wohlfühlen mit mir, wenn ich auf die Bühne gehe. Ich muss in dem Moment total bei mir sein. Dazu zählt für mich auch, wie ich mich anziehe. Es ist schlimm, Frauen das Gefühl zu geben, dass es eine Taktik sei, wenn sie sich auf eine bestimmte Art und Weise kleiden.

Aber Instagram und Co. ändern den Diskurs, oder?

Durch die sozialen Medien hat man heute mehr Möglichkeiten, aufzufallen. Ich sehe natürlich auch, dass ein reiner Text weniger Likes bekommt als ein Foto. Ich finde das ein bisschen affig. Die Leute wissen doch, wie ich aussehe. Warum muss ich dauernd Bilder von mir posten? All das macht die Leute so ich-bezogen und das ist eine sehr ungesunde Einstellung.

Stephanie Lottermoser ist aber auch eine Marke.

Ich poste wenig Privates. Ich glaube schon, dass man dem Publikum damit ein Stückchen zugänglicher wird, hoffe aber, dass die Musik ausreichend ist. Ich muss da vielleicht einen Zwischenweg finden.

Sie sehen, wie die meisten anderen auch, auf den Fotos immer glücklich aus.

Das ist natürlich nicht die Realität. Ich bin komplett überzeugt von dem, was ich mache. Aber ich kämpfe mit vielen Dingen. Es ist herausfordernd, auf der einen Seite die Bühnen-Künstlerin und gleichzeitig die Managerin und Konzert-Bookerin zu sein. Die Sachen, die nicht funktionieren, postet man ja nicht. Dazu brauche ich keine Kommentare, das muss ich für mich klären. Es ist ein Balanceakt: Woran möchte ich die Leute teilhaben lassen? Ich denke, wenn ich zu viel von mir preisgebe, bringt mich das weiter von mir weg.

Nächste Konzerte im Norden

16. März, Jenfeld-Haus23. April, Mojo Club

Wie sind Sie eigentlich zu Ihrem Instrument gekommen?

Ich habe eine Bigband gesehen und mit 14 Jahren zu spielen angefangen. Das ist kein Alter, in dem man sich zu Hause einschließt und Saxophon spielt. Aber mich hat es so begeistert! Ich habe mich damals sogar aus meiner Clique gelöst. Am Wochenende weggehen, das hat mich schnell nicht mehr interessiert.

Nach dem Abitur haben Sie aber zunächst nicht Musik, sondern Kulturwissenschaften studiert.

Ich hatte Respekt davor, Musikerin zu werden. In meiner Familie war noch niemand in einem künstlerischen Beruf tätig gewesen. Ich kannte Jazzer, die mit ihrem Studium fertig waren und keinen Zugang zu irgendeiner Szene gefunden haben. Die haben dann an der Musikschule unterrichtet, um sich finanziell über Wasser zu halten. Manche haben ganz aufgehört, Musik zu machen! Ich brauchte eine gewisse Sicherheit. Das Gefühl, dass es wirklich das ist, was ich machen will. Kulturwissenschaften ist ein breit gefächertes Studium, das ich keine Sekunde bereut habe.

Sie wollten sogar promovieren.

Ich habe mich auf die Kernthemen Migration und Stadtforschung konzentriert und wollte die Promotion in Istanbul machen. Die Schnittstelle zwischen Europa und Asien! Aber auf einmal, zwei Wochen nach dem Ende des Studiums, wusste ich: Ich will jetzt Musik studieren. Mein Professor, ein großer Miles-Davis-Fan, hat nur gelacht. Der hatte das schon kommen sehen, weil ich manchmal wegen Konzerten bei Exkursionen gefehlt hatte. Ich habe dann ein Musik-Diplom gemacht.

Und dann gingen Sie ins Ausland?

Ich bekam den bayerischen Kunst-Förderpreis in Form eines Stipendiums. Nach wie vor das Tollste, was ich je geschenkt bekommen habe: sechs Monate Paris! Es war sehr herausfordernd.

Warum?

Ich konnte kein Französisch und dann so viel Freiheit auf einmal, mitten in Paris. An der Cité Internationale des Arts sind ungefähr 300 Künstler aus 50 Ländern untergebracht, in allen Kunstrichtungen. Ich glaube, ich konnte die ersten zwei Wochen fast gar nicht schlafen. Ich hatte totale Panik, dass ich keine Auftritte mehr haben würde, wenn ich nach sechs Monaten zurück nach München kommen würde. Was natürlich nicht passierte.

Wie war Paris für Sie?

Ein Großteil des Stipendium-Geldes habe ich für Konzertkarten ausgegeben. Und ich bin oft auf Jamsessions gegangen. In einer neuen Umgebung muss man sich erst einmal überwinden. Mittlerweile bin ich es schon gewohnt, als Frau in einem Bereich zu sein, in dem hauptsächlich Männer unterwegs sind. Als Frau bekommt man da eine andere Aufmerksamkeit. 20 Musiker auf einer Session, und nur eine davon eine Frau. Ich möchte den Franzosen nichts unterstellen. Die sind wahnsinnig charmant. Aber eine gewisse Macho-Attitüde ist in der Musikszene dort schon vorhanden.

Wie hat sich das gezeigt?

Anfangs haben sie mit mir gesprochen, als wäre ich ein kleines Mädchen. Die fanden die Blonde mit dem Saxophon süß. Den Satz „Du kannst ja wirklich spielen“ habe ich aber nicht nur dort gehört.

Sie haben in München und Paris gelebt, wohnen jetzt in Hamburg. Aber Sie kommen aus einer bayerischen Kleinstadt.

Heute könnte ich mir ein Leben dort nicht mehr vorstellen. Mir kann die Stadt gar nicht groß genug sein. Das ist kreativer Input. Ich bin mittlerweile ein totaler Stadtmensch, auch München war mir irgendwann einfach zu klein. Aber während meiner Jugend war das genau richtig.

Suchen nicht gerade KünstlerInnen oft Ruhe als Inspiration?

An Hamburg schätze ich die Vielfalt, es ist eine lebendige Stadt. Aber es ist als Wohnort auch interessant, weil ich schnell am Meer bin. Ich empfinde den Norden und die Landschaft als freier und offener im Vergleich zu Süddeutschland. Die nahen Berge empfinde ich als bedrückend. Dann muss ich schon auch auf den Berg rauf, um herabzuschauen.

Was bedeutet Ihr Instrument Ihnen?

Das Saxophon funktioniert nicht über Text. Man hat andere Möglichkeiten. Es ist eine Mischung aus allen Emotionen, die ich ausdrücken kann, fast wie eine Therapie. Ich habe Tage auf der Bühne, wo ich entweder zu Stimme oder Saxophon einen weniger intensiven Zugang empfinde. Aber auch ein anstrengender Tag kann Eingang in die Musik finden. Und dann klingt das vielleicht anders als sonst. Und das ist okay. Ich muss ein Stück nicht jeden Abend auf die exakt gleiche Art und Weise auf die Bühne bringen. Das ist die Freiheit, die man im Jazz hat.

Und wenn es gut läuft?

Dann ist es genauso wie sonst im Leben. Es gibt die Momente, in denen man glaubt, alles zu wissen. Die Kunst ist, das alles in die Musik zu übertragen.

Konzert: 16. März, Jenfeld-Haus

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