Sarkozy und der EU-Vertrag: "Ein Erdbeben, ein harter Schlag"
Ein "No" zum Lissabon-Vertrag würde die EU-Ratspräsidentschaft belasten - wollte doch Nicolas Sarkozy als Vater des Vertrages in die Geschichte eingehen.
PARIS taz Mund halten. Nichts sagen, was die IrInnen irritieren könnte. Sich nicht einmischen. So lautet die Parole für die politische Spitze in Frankreich. Alle heiklen Themen sind auf einen Termin nach dem Referendum auf der Insel verschoben: von der europäischen Aufrüstung und Militärzusammenarbeit über die Steuerharmonisierung bis hin zur Landwirtschaftspolitik. Bei seiner Tournee durch die europäischen Hauptstädte macht Staatspräsident Nicolas Sarkozy einen großen Bogen um Dublin. Und am Mittwoch - dem letzten Tag vor dem irischen Urnengang - versetzt die französische Regierung ihr eigenes Parlament: Sie verschiebt eine lange angekündigte Erklärung über ihre Projekte während der am 1. Juli beginnenden sechsmonatigen französischen Ratspräsidentschaft an der Spitze der EU um eine Woche.
Bis Anfang Juni funktionierte die Vogel-Strauß-Politik in Paris beinahe perfekt. Fast niemand sprach über Irland, Referendum und EU. Fragen, was im Falle eines Siegs des irischen "No" aus der französischen Ratspräsidentschaft werde, bedachten SpitzenpolitikerInnen mit Gelächter.
Doch seit eine Meinungsumfrage eine knappe Mehrheit für ein No zu dem Vertrag prognostiziert hat, lösen sich in Paris die Zungen. "Ein No wäre ein Erdbeben und ein harter Schlag für die französische EU-Präsidentschaft", sagt Chantal Brunel, Sprecherin der rechten Regierungspartei UMP. Der Rechtsliberale Jean-Louis Bourlanges, der lange Europaabgeordneter war, hält eine Ablehnung für eine "plausible Hypothese". Und prognostiziert für diesen Fall einen "Dominoeffekt" quer durch den Kontinent.
Außenminister Bernard Kouchner, der schon 2005, als er noch bei der PS war, keinerlei Verständnis für die KritikerInnen der EU-Verfassung zeigte, sagt am Montag: "Die Iren wären die ersten Opfer eines No." Tags drauf macht die britische Boulevardzeitung Sun mit einem Titel gegen den französischen Frosch auf: "Frog off". Am Mittwoch dokumentierte die Irish Times den Text samt Anti-Kouchner-Karikatur.
Staatspräsident Nicolas Sarkozy möchte als Vater des Lissabon-Vertrags in die Geschichte eingehen. Zwar setzte er sich Anfang 2005 - damals als Minister - für ein Referendum über die EU-Verfassung ein, doch nachdem seine Landsleute die Verfassung als zu liberal und zu wenig sozial abgelehnt hatten, schwenkte er um. Wenn es nach den Plänen von Sarkozy ginge, wäre seine Ratspräsidentschaft die letzte in der EU, die nach den alten Regeln funktioniert.
Die großen Projekte von Sarkozy für die EU-Ratspräsidentschaft stehen fest. Zu ihnen gehört neben Vorschlägen für eine Einwanderungs-Charta und eine neue Landwirtschaftspolitik eine gemeinsame Energie- und Klimapolitik, in deren Rahmen Frankreich Unterstützung für seine nukleare Priorität sucht. Oberste Priorität für Paris hat die Intensivierung der europäischen Verteidigungszusammenarbeit binnen der nächsten zehn Jahre. Europastaatssekretär Jean-Pierre Jouyet - der ebenfalls aus der PS in die rechte Regierung gekommen ist - wünscht sich eine "europäische Seeflotte rund um einen französischen oder britischen Flugzeugträger", eine gemeinsame "Airbusflotte für Militärtransporte", eine "europäische Verteidigungsagentur" und einen "dynamischeren europäischen Rüstungsmarkt".
An der französischen Basis ist die Stimmung heute EU-kritischer als vor drei Jahren. Doch unter den SpitzenpolitikerInnen haben nur wenige Verständnis für die IrInnen - unter ihnen PS-Senator Jean-Luc Mélenchon. Er hofft auf ein No zu dem EU-Vertrag. Als "Rache für den Durchmarsch" von Sarkozy und für den "Verrat" der PS. Und: "um die europäischen Eliten zum Nachdenken zu zwingen."
DOROTHEA HAHN
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