Ein Raum für sich: Sanfter Forrest-Gump-Effekt
■ Der nicht erschrickt: Martin Fengel stellt mit seiner Ausstellung in der Münchner Künstlerwerkstatt Lothringerstraße eine Dokumentation über Andi Bohl vor
Eine Ausstellung über Andi Bohl, und Andi Bohl ist anwesend! Das ist in der Tat selten. Leider konnte ich erst in der Woche drauf nach München kommen, so daß ich mir die Ausstellung in der Ladengalerie der Künstlerwerkstatt Lothringerstraße ganz allein ansehen mußte oder durfte, mit Ausnahme jener Frau, die auf einem Klappstuhl am Eingang sitzend das Inventar bewachte und mir verriet, daß Andi Bohl von Beruf Kettler ist; und das wiederum ist jemand, der Teppiche auf Maß verlegt oder näht.
Davon war in der Ausstellung allerdings gar nichts zu sehen. Die vielleicht siebzig oder hundert Bilder zeigen Andi Bohl im Bett, bei Tisch und outdoor. Hier als gelockter, unauffälliger Typ mit ebenso unauffälligen Kumpels, trinkend; dort mit nacktem Oberkörper zwischen zwei amüsierten Damen den sexy Macker gebend; hier als Coolie mit Easy-Rider- Brille und Freundin; dort auf einer Parkbank, bestellt und nicht abgeholt. Kamerascheu ist er nicht. Er lacht in die Linse, mit braunen, festen Augen, dunkelblond, strahlend und mit Grübchen. Einer, den sein Spiegelbild – das die Fotografien im Laufe der langen Jahre ihm ja vermittelt haben müssen – nicht bange macht.
Was Fotograf Martin Fengel hier zusammengebracht hat, ist ein bewußt etwas zu hoch gehängter Fries metallgerahmter Alltagsfotos: weder eine Reportage noch wirklich Konzeptkunst. Es ist eine ungewöhnliche Arbeit über jemanden, der sich selbst „eher für normal“ hält, wie einem Interview mit Andi Bohl zu entnehmen ist, das in der Ladengalerie ausliegt. Da die Bildautoren nicht ausgewiesen sind, kann man nicht erkennen, welche Fotografien von Martin Fengel stammen und welche nicht. Die Grenze von der anonymen Fotografie zu der des professionellen Bildermachers wird gekonnt verwischt. Es gibt keine Bildlegenden, auch nicht Daten oder Namen.
Wer die sechziger Jahre mit Kinderaugen gesehen hat, wird sich kaum dem hochgezogenen schwarzweißen Motiv entziehen können, das Andi als stilles Kind im Frotteeschlafanzug mit Marienkäfermotiv zeigt, vor einer Tapete mit technischen Motiven, die sich bei genauerem Hinsehen als Blumen erweisen. Ein anderes, farbiges Bild, zeigt ihn als konzentriertes Kind in rotem Pullover, von dem man sich fragt, wo es später geblieben ist. Ein kleiner Hinterraum, der tiefer in die Kindheit führt, öffnet sich mit einem Bild (wahrscheinlich) der Eltern am Küchentisch. Sie tragen nicht an bajuwarischer Schwere – die hedonistischen Siebziger lassen grüßen.
Fengels Ausstellung produziert einen sanften Forrest- Gump-Effekt. Die Sensation des Gewöhnlichen blickt aus den Bildern zurück, ohne Arg und ohne Häme. Andi Bohl wirkt wie jemand, dem sein Charisma soeben abhanden gekommen ist, aber er hofft, es morgen in seinem Briefkasten wiederzufinden. Für die Zwischenzeit spielt er sich selbst, und die Perfektion, die er dabei nicht ohne Fröhlichkeit an den Tag legt, hinterläßt einen Hauch von Melancholie, der aber verfliegt, wenn man wieder auf die Straße tritt. Ulf Erdmann Ziegler
Martin Fengel zeigt Andi Bohl. Bis zum 31. März, in der Künstlerwerkstatt Lothringerstraße 13, München, Di.–Fr. 15–19, Sa. 16–18 Uhr
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