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Saisonstart am Hamburger Thalia-TheaterFrüher war mehr Lametta

Jarka Kubsovas „Marschlande“ und „Frommer Tanz“ nach Klaus Mann laufen am Hamburger Thalia Theater. Verantwortlich ist die neue Intendantin Sonja Anders.

Techno meets Cabaret plus Pfeffersäcke: Szene aus „Frommer Tanz“ am Thalia Theater Hamburg Foto: Isabel Machado Rios

Mitten hinein in Hamburgs Mitte ist sie gezogen. Zurück in die Heimatstadt. Dafür wird die erste Intendantin des Thalia Theaters, Sonja Anders, nach 182 Jahren männlicher Regentschaft am Gerhard-Hauptmann-Platz gefeiert. Dass Bühnenkunst nicht dem angstvollen Zeitgeist in die Depression folgen, sondern handlungsmächtig machen soll, bringt die 60-jährige Anders als Haltung ihrer Intendanz am Schauspiel Hannover (2019–2025) mit in die Hansestadt.

Dort stehen nun Menschen im Widerstreit mit klassisch überholten Geschlechterrollen im Scheinwerferlicht. Mit einem verzweifelten Vertreter der Zwischenkriegsjugend, Klaus Mann, wird zum Coming-out-Furor „Frommer Tanz“ geladen.

Die Identifikationsfigur in Jarka Kubsovas „Marschlande“ wählt fürs Empowerment den entgegengesetzten Weg von Sonja Anders: Raus aus der Mitte Hamburgs, Umzug aufs Land. Britta (Cathérine Seifert) lässt sich jedenfalls von ihrem Gatten überreden, 20 Kilometer südlich in Ochsenwerder zu wohnen, dem Gemüse- und Blumengarten sowie Radlerparadies der Metropolregion.

Boulevardtheater mit Humormangel

Dafür hat die promovierte Geologin ihr Berufsleben aufgegeben. Überraschenderweise ist sie dann überrascht, als reine Care-Arbeiterin die urban verankerte Identität einer modernen Akademikerin zu verlieren. Was Regisseurin Jorinde Dröse recht oberflächlich skizziert – mit Boulevardtheater, das unter akutem Humormangel leidet.

Für den sozialgeschichtlichen Überbau recherchiert Britta die historische Biografie von Abelke Bleken (Nellie Fischer-Benson). Die Ochsenwerder Bäuerin bewirtschaftete im 16. Jahrhundert allein mit ihrem Gesinde höchst erfolgreich einen großen Hof. Auf der Bühne neidvoll beachtet von der ausnahmslos böswilligen Männerwelt. Bald nutzt der politische Mächtige vor Ort eine Naturkatastrophe, um Abelke in den Ruin zu treiben; die kirchliche Macht klagt Abelke der Hexerei an – lässt sie also foltern und ermorden.

Die monetäre Macht des aufstrebenden Hamburger Pfeffersacktums kauft dann günstig Land und Hof und den des Nachbarn gleich noch mit, um in großem Stil agrarindustriell Gewinne zu erwirtschaften. Aus dem Feudalismus erblüht der Kapitalismus. These: Mit den Hexenprozessen startete die „Wertanhäufung auf der einen Seite und Zurückdrängung von vormals unabhängigen Frauen in die häusliche Sphäre auf der anderen Seite!“

Lehrstückhafte Behauptung

Klingt theoretisch – und bleibt leider lehrstückhafte Behauptung. Entzücken soll die aus poetisierenden Naturbeschreibungen des Romans entwickelte Figur „Land“. Als Diva kommt sie im mondänen Glitzerkleid daher, eröffnet den Abend als Windgeräuschemacherin, belebt die Atmosphäre auch mit vogeligem Tirilieren – und behauptet, sie sei Zweig, wucherndes Moos, See, Schwarzerle, Herbstanemone, Libelle, Haut, pochendes Herz, ja, spendable Mutter Erde und zerstörerisch „böse Böe“, alte Wahrheit, „eure Nemesis“.

So quatscht sie ständig dazwischen, biedert sich an und kuschelt sich an die Prot­ago­nis­t:in­nen und zaubert mit Kitschpathos und numinosem Gehabe ihre Worte in deren Köpfe. „Bin weibliches Kollektiv.“ Dem verschreiben sich die Frauen und platzieren Erde weihevoll auf dem Bühnenboden. Ein eher esoterischer Schulterschluss wider das Joch des Patriarchats.

Theatral freizügiger, aber ähnlich lehrstückhaft bringt Regisseur Ran Chai Bar-zvi das Alter Ego Klaus Manns, Andreas Magnus (Julian Greis), zur Erkenntnis, der großbürgerlich eitlen Lebensakkuratesse seiner Familie entfliehen zu müssen. Auf einer grotesk blasierten Geburtstagsfeier seines Vaters ist er ein unsicher stotternder, vergeblich um Aufmerksamkeit buhlender Sohn. Der braucht daraufhin nur kaltes Wasser im Gesicht – und ist bereit für den Aufbruch ins Berlin der 1920er Jahre, das am Thalia als Mix aus Cabaret- und Technoclub-Szene zu erleben ist – in einem fantastisch funkelnden Lamettaraum.

Körperkult der Nazis

Die Regie rückt zwar den parallel entwickelten Körperkult der Nazis ins Bild und erwähnt die „faschistische Infektion“, lässt aber im zeitlos „schweifenden Unrast“ einer allgemeinen Orientierungslosigkeit spielen. Andreas lernt mit seiner Bohème-WG des Leibes Lüste genießen, klärt irgendwie das „Rätsel seines Geschlechts“ und kann mit dem nun entdisziplinierten Körper auch Homosexualität wie selbstverständlich ausleben. Blöderweise aber verliebt er sich romantisch grenzenlos in den egoistischen Niels, der später zum „Lustjungen von ganz Paris“ auf- oder absteigt, je nach Sichtweise.

Um so etwas wie sich selbst nahe, zu einer inneren Ruhe zu kommen, brauchte Britta ein historisches Vorbild und den mühsamen Kampf gegen ihre lauwarme Ehe, Andreas hingegen den schmerzhaften Parforceritt einer ins Leere laufenden Leidenschaft und den hedonistischen Exzess des metropolitanen Nachtlebens. Britta findet Halt im „weiblichen Kollektiv“, Andreas bleibt selbstermächtigt allein zurück. Entspannt sitzt er am Ende vorm Publikum und verkündet betont unterbetont: „Ich liebe des Menschen Leib. Ich glaube an diese Welt.“ Jetzt kann für beide das richtige Leben im falschen beginnen …

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