Saisonauftakt der Berliner Festspiele: Pazifische Passionen

"Le Savali: Berlin", eine Inszenierung des Samonaners Lemi Ponifasios, ist voller Momente der Transformation und des Unbestimmbaren.

Das Licht moduliert die Körper sparsam: "Le Savali: Berlin". Bild: Sebastian Bolesch

Sie stürzen. Da war ein Geräusch, und unvermittelt brechen die mehr als zwanzig Frauen und Männer, die eben noch still nebeneinander auf der großen Bühne standen, in sich zusammen. Mehrmals geschieht dies.

Beim ersten Mal gleicht das Bild einer Massenerschießung, dann wird man gewahr, dass der scharfe Ruf eines einzelnen Mannes jedes Mal den Sturz auslöst. Was eben noch wie ein Bild des Todes anmutete, könnte auch eine Übung sein, eine Simulation, ein Abwehrzauber. Aus der Ferne hört man Schreie eines Einzelnen, dem eine ekstatische Menge antwortet, und auch diese akustische Kulisse bleibt unbestimmt. Eine politische Demonstration? Ein religiöses Ritual? Eine militärische Übung?

"Le Savali: Berlin", eine Inszenierung von Lemi Ponifasio, ist voll solcher Momente der Transformation und des Unbestimmbaren. Lemi Ponifasio stammt aus Samoa, und von Inseln aus dem pazifischen Raum kommt die eine Hälfte der Performer, die andere aus Berlin. Es ist eine beeindruckende Zeremonie, wenn sie im Haus der Berliner Festspiele das erste Mal auf die Bühne ziehen, durch den Zuschauerraum, sehr langsam, einer nach dem anderen, ein nimmer endender Zug. So beginnen Mythen.

Und weil man nachlesen kann, dass "Le Savali" das Unterwegssein bezeichnet und das Stück auch Berlin im Titel trägt, ist die Absicht nicht schwer zu erraten, von der Stadt als Ort der Migration und des Transitorischen zu erzählen. Aber zugleich erscheint der Anspruch der Bilder so universell, dass der Kontext Berlin marginal bleibt, nicht mehr als ein Pünktchen auf einer Zeitleiste, die von mythischen Anfängen ins ungewisse Dunkle vor uns weist.

Monumentale Landschaften Ponifasio baut aus wenigen Elementen monumentale Landschaften. Eine hohe Wand steht wie ein Berg hinter den Performern, und wenn sich vorne die Bühne absenkt, denkt man gleich, das ist der Weg in den Hades. Das Licht moduliert die Körper sparsam, zeichnet manchmal nur die Konturen der Muskeln nach, während der Rest im Schatten bleibt.

Für die Berliner Festspiele, die mit "Le Savali: Berlin" in ihre Theater- und Tanzsaison starten, ist das eine wichtige Produktion. Zum einen, weil sie mit diesem Auftragswerk zeigen, dass sie nicht nur Gastspielort sind, zum andern, weil Lemi Ponifasio den Ruf eines Neuerers genießt. Ihm wird zugeschrieben, ein durch die Kolonialisierung der pazifischen Inseln verschüttetes spirituelles Erbe für die zeitgenössische Kunst produktiv zu machen.

Das tut er auch, aber zugleich gerät dies zur Behauptung, die alles als die ganz große Geste hinstellt. So wurde allein der Tatsache, dass Ponifasio mit seiner Truppe und Berliner Künstlern und Laien zusammengearbeitet hat, im Vorfeld ein großer symbolischer Wert zugeschrieben. Als ob Ensembles sich nicht immer aus Bekannten und Fremden zusammenrauften.

Wer das Erhabene sucht, wandelt immer auf schmalem Grat. Es gibt berührende Augenblicke in "Le Savali", wenn ein Begriff wie Gemeinschaft plötzlich so einfach herzustellen scheint, einfach einer neben dem anderen, und es gibt die, deren Verlangen nach Empathie man sich vom Leib halten will, wie eine kreuzigungsähnliche Szene, die einer sexuellen Ekstase nicht fern ist. Es gibt das wohltuende Ankommen in diesem Raum der Entschleunigung und den Moment, wo man sich pädagogisch ermahnt fühlt, sich einzulassen auf das Unbekannte. Am Ende überwiegt dieses Unbehagen, und man wünscht sich zurück in die Konkretion des Alltags.

"Le Savali: Berlin"; Konzept, Bühne, Choreographie, Regie, Sounddesign und musikalische Leitung: Lemi Ponifasio, Licht: Helen Todd, Komposition: Fabrizio Cassol; Samstag/Sonntag, 8./9. Oktober, jeweils 20 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

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