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Sahra Wagenknecht über Griechenland„Wie Antibiotika und Rattengift“

Die Linken-Politikerin Wagenknecht fordert eine andere Griechenlandpolitik. Sie steht hinter der Syriza-Regierung und setzt auf neue Verhandlungen.

Noch spucken griechische Geldautomaten Euro-Scheine aus. Foto: dpa
Tobias Schulze
Interview von Tobias Schulze

taz: Frau Wagenknecht, ist der Grexit noch abwendbar?

Sahra Wagenknecht: Die Frage ist nicht primär, ob es zum Grexit kommt. Die Frage ist, wie Griechenland die Chance bekommt, die aktuelle tiefe Krise zu überwinden. Auch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland können Tsipras für sein Nein dankbar sein, denn das völlig verfehlte Paket der Institutionen hätte die ganze Tragödie nur verlängert und dazu geführt, dass noch mal völlig sinnlos Milliarden verschwendet worden werden. In einem halben Jahr stünden wir dann genau da, wo wir heute stehen, nur dass Griechenland dann noch ärmer und die Schulden noch höher wären. Das wäre keine Lösung.

Was dann?

Die griechische Wirtschaft muss reaktiviert werden. Dazu braucht das Land Investitionen, eine drastische Vermögensabgabe für Reiche und einen Schuldenschnitt. Stünden nicht ständig Tilgungen alter Schulden an, bräuchte Griechenland aktuell ja gar kein neues Geld.

Laut Medienberichten haben Merkel und Hollande den Griechen in der vergangenen Woche ein Milliarden-Konjunkturpaket angeboten. Tsipras hat es abgelehnt.

Wenn man Kredite für Investitionen anbietet aber gleichzeitig ein Sparpaket diktiert, das die Wirtschaft noch mal abwürgt, dann ist das, als würde man einem Kranken eine Mischung aus Antibiotika und Rattengift verabreichen.

Jetzt bekommt der Patient gar keine Medizin mehr. War es falsch, das Angebot auszuschlagen und ein Referendum vorzuschlagen?

Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, warum in Europa jedes Mal Hysterie ausbricht, wenn eine Regierung ihre Bevölkerung fragen will. Es ist verantwortungsvoll, dass Syriza bei dieser wichtigen Frage die Wähler zu Wort kommen lässt. Mit dem Programm, für das die griechische Regierung im Januar gewählt wurde, wäre eine Zustimmung überhaupt nicht vereinbar gewesen.

Bild: dpa
Im Interview: Sahra Wagenknecht

ist promovierte Ökonomin, Buchautorin und Erste Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag. Im Herbst wird die 45-Jährige voraussichtlich zur Fraktionschefin gewählt.

Weil Tsipras das Referendum in letzter Sekunde ankündigte, wirkt es nun aber wie ein taktischer Schachzug.

Der Zeitpunkt ist das Einzige, was man vielleicht berechtigt kritisieren kann. Ich denke aber, die griechische Regierung hat einfach bis zum Schluss gehofft, dass sie eine Verständigung mit den Institutionen findet.

Stimmen die Griechen nun mit Ja, müsste Syriza Sparmaßnahmen umsetzen, die sie ablehnt. Kann das gut gehen?

Ich hoffe nicht, dass es zu einem Ja kommt. Die griechische Bevölkerung sollte sich nicht von den Erpressungsversuchen einschüchtern lassen, dass sie angeblich zwischen Europa und Chaos entscheidet. Dem ist nicht so.

Müsste Syriza abtreten, wenn die Mehrheit der Griechen mit Ja stimmt?

Warten wir erst mal ab, was die Mehrheit wirklich entscheidet.

Und was passiert, wenn das Referendum mit Nein endet?

Dann muss neu verhandelt werden.

Neue Zugeständnisse werden die Griechen aber kaum bekommen.

Es gehört schon jetzt eine unglaubliche Borniertheit dazu, eine Griechenland-Politik fortzusetzen, die in den letzten Jahren eindeutig gescheitert ist. Was man den Griechen abverlangt, ist ja eine lineare Fortsetzung der Kürzungspolitik der letzten Jahre, die die griechische Wirtschaft bereits um ein Viertel hat schrumpfen lassen und die Armut extrem nach oben getrieben hat. Wenn man sich auch nach einem Referendum nicht dafür interessiert, was die Bevölkerung sagt, dann hat Europa wirklich keine Perspektive mehr.

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9 Kommentare

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  • es ist nicht eine Absurdität,entgegen der allgemeinen Verschwörungstheorie, sind Investitionen zu größten Teil nicht durch natürliche Personen sondern durch Unterehmen geleistet. Hier ist keine Einkommens- sondern Unternehmens- und Gewinnsteuer. Auch können Investitionen durch staatliche Institutionen gleistet werden, diese sind nur möglich wenn dieser über entsprechende liquide Mittel verfügt oder sich auf dem Kapitalmarkt durch Aufnahme neuer Kredite besorgt. Wenn überhaupt noch Kredite vergeben werden dann nur zu horenten Zinsen, das die Investition einen Verlust bedeuten würde. Die jetzt schon sehr hohe verschuldung und die hieraus zu zahlenden Zinsen führen dazu das kein Kapital im Land bleibt, sondern zum grössten Teil an den deutschen Staat ( Umwandlung privater Kredite deutscher Banken in Staatskredite, sogenannte Bad-Banks) fliesst. klar ersichtlich folgt hieraus, dass die gewährten "Hilfskredite" nur der Bedinnung der deutschen staatsforderungen dient , kein Kapital zur Hilfe bzw Investition bleiben im Land. da die Kreditsummen nun nochmals steigen (im Gegensatz zum offiziellen Begriff sind es real Kredite) führt einfache Zinsrechnung dazu das nochmehr Kapital aus dem Land abgezogen wird. Ohne Neuinvestitionen ob in Erneuerung, Bildung, Gesundheit etc. sinkt die Wirtschaftsleistung weiter, was folgt ist eine Spirale nach unten, die schon längst sich dreht, aber sich immer weiter beschleunigen wird.

    Lässt man einen Staatsbankrot zu, in verbindung mit einem Austritt aus dem Euro, wird die neue Währung sprunghaft und gewaltig an Wert verlieren, die von dir erwähnten Nicht-Steuerzahler würden eher flüchten als bei der Erhebung von Steuern. Fazit in diesem Fall Kredite werden wegen des hohen Währungsrisiko nicht vergeben und das letzte inländische Kapital flüchtet. Was bleibt ist ein Schuldenschnitt die einzige dauerhafte Lösung. Denn wenn Zinsen real geleistet werden können ist das langfristig das wirtschafstliche

  • MWOGLI

    Die EU ist keine Kleinfamilie, in einer Interessengemeinschaft die nur vom Großkaptal regiert wird sind Intrigen und Kalkül vorprogrammiert. Jeder ist sich selbst der Nächste. So ist es nun mal wenn nur der Profit zählt. Raubrittertum pur, elitär und dumm. Kaputte Staaten sind nun mal nicht gewinnträchtig. So kommen wir zum wahren Kern, der Interessen-gemeinschaft der englischsprachigen Länder, USA, CA, Australien, durch TES, TTIP und CETA unter US Kuratell. Eine Zwangsgemeinschaft der auch Europa eingegliedert werden soll. Landgewinn, England das die EU seit Bestehen nur missbraucht gehört natürlich auch dazu. Das sind die wahren Interessen am Untergang der europäischen Staaten. Unsere Regierung hilft da gezwungenermaßen tüchtig mit. Frau Merkel ist da der richtige Ansprechpartner, hat sie ja gelernt bei der FDJ.

  • Wo steht eigentlich geschrieben, dass "taktische Schachzüge" Herrn Schäuble und Frau Lagarde vorbehalten sind? Ist die EU tatsächlich eine Kleinfamilie, in der Messer, Gabel, Schere und Licht nur in die Hände solcher "Eltern" gehören, die ihre renitenten Wickelkinder ohne Abendbrot ins Bett schicken, wenn sie nicht mehr weiterwissen?

     

    Hm. Die Frage, was Kalkül war und was nicht, muss wohl unbeantwortet bleiben. Sahra Wagenknecht kann schließlich durchaus Recht haben mit ihrer Vermutung. Wäre Tsipras das naive "Kind", das er angeblich ist als Politik-"Anfänger", hätte er davon ausgehen dürfen, dass die „Verhandlungen“ etwas sind, wobei er mitzureden hat. Schließlich haben die Verhandlungsführer oft genug Optimismus verbreiten lassen. Sie haben also bis zuletzt behauptet, sie könnten Tsipras überzeugen. Dass das ein Irrtum war, können sie nun nicht allein dem Griechen anlasten.

     

    Die EU hat so getan, als ginge sie Tsipras' Wählerauftrag nichts an. Im besten Fall muss man das ja wohl als kurzsichtig bezeichnen. Was es im schlimmsten Fall sein könnte, mag ich hier nicht thematisieren. Was allerdings die Frage angeht, "warum in Europa jedes Mal Hysterie ausbricht, wenn eine Regierung ihre Bevölkerung fragen will", kann ich der Sahra Wagenknecht vermutlich sagen. Es gibt da so Schwarzweiß-Filme, in denen man einen Kerl mit alberner Frisur und noch albernerer Stimme fragen hört: "Wollt ihr den totalen Krieg?" - und eine Masse an Bevölkerung brüllt: "Jaaaaa!" Will sagen: Unsere Spitzenpolitiker können sich womöglich durchaus vorstellen, dass Ihresgleichen dumme Fragen stellt, die dann auch noch ganz falsch beantwortet werden vom Wahlvolk. Wie das wohl kommt?

     

    Übrigens, sehr geehrter Tobias Schulze: Eine Mischung aus Rattengift und einem Antibiotikum als "Medizin" zu bezeichnen, zeugt nicht nur von erstaunlich wenig pharmazeutischem Verstand, sondern auch von wenig Mitgefühl mit dem Patienten.

  • 4G
    4225 (Profil gelöscht)

    "Investitionen" ist leicht gesagt ? Aber die Investitionen können ja schlecht von der Staatliche Plankommission angeordnet werden. Man könnte ja einfach die Militärausgaben erhöhen und die Männer alle beim Militär anstellen. Die Kosten könnten dafür könnten aus Brüssel übernommen werden. Dann hätte die EU (auf dem Papier) ihre Wehrfähigkeit erhöht und das Land wäre versorgt.

    • @4225 (Profil gelöscht):

      Zuviel "300" geguckt?

  • Dieses Interview lässt mehr Fragen offen, als es beantwortet. Hier eine Auswahl:

     

    1. „Die griechische Wirtschaft muss reaktiviert werden. Dazu braucht das Land Investitionen, eine drastische Vermögensabgabe für Reiche und einen Schuldenschnitt.“

    All dieses in einen Satz zu packen, ist schon ein Kunststück. Die Investoren, die i. d. R. „reiche“ Leute sind, werden sich hüten, in ein Land zu kommen, wo sie für ihr Investment mit einer „drastische Vermögensabgabe“ bestraft werden. Da gehen sie lieber in eine „Steuer-Oase“.

    Und Investoren, die durch den (wahrscheinlich bevorstehenden) Schuldenschnitt viel Geld verlieren, werden sich hüten, noch einmal in Griechenland zu investieren.

     

    2. „Stünden nicht ständig Tilgungen alter Schulden an, bräuchte Griechenland aktuell ja gar kein neues Geld.“

    Ein überraschender Gedanke, der sich bestimmt noch ausbauen lässt: Dann werden Kreditnehmern wohl künftig die „alten Schulden“ erlassen, damit sie „kein neues Geld brauchen“? Ich werde Frau Wagenknecht daran erinnern, wenn die nächste Regierung von der Linkspartei gestellt wird!

    • @Pfanni:

      "Stünden nicht ständig Tilgungen alter Schulden an, bräuchte Griechenland aktuell ja gar kein neues Geld."

      Der ist schon genial. Heißt ja, müsste ich nicht ständig irgendwas bezahlen, bräuchte ich gar kein Geld! Warum sind wir bloß nicht früher darauf gekommen?

    • 2G
      2097 (Profil gelöscht)
      @Pfanni:

      Die Vermögensabgabe wäre einmalig und würde die 800 Reichsten im Land, die seit 1830 keine Steuern zahlen, betreffen!

      Quelle: http://www.heute.de/interview-mit-heinz-richter-zur-griechenland-krise-eu-geld-fuer-hemmungslosen-konsum-ausgegeben-38939238.html

      Wichtig wäre es den Klientelismus zu beenden. Eine Umverteilung der Vermögenden zu den unteren und mittleren Einkommensschichten würde sofort nachfragewirksam werden und der Staat muss mit dem vorhanden Geld zusätzlich Investitionsanreize schaffen, um Klein- und Mittelbetriebe zu stärken und freies Unternehmertum eben im klein- und mittelständischen Bereich zu fördern. Dadurch würde ein erster Schritt zum Systemwandel getan. Eine Art New Deal sozusagen. Allerdings wären noch viele andere Schritte notwendig, wie bspw. eine effiziente Steuerverwaltung, die auch die Einnahmenseite verbessert, Steuerschulden konsequent eintreibt und nach deutschem Vorbild auch eventuell Steuer CDs aufkauft! Allerdings ist Optimierung auch immer mit Kosten verbunden!

      1.Problem: IWF, EU-Finanzminister usw. beachten nur einseitig die Ausgabenseite – so wird das nichts! Diese finanzmarktkonforme Politik, nur nicht die Vermögenden angemessen zu besteuern und zu beteiligen, hatte bereits 2008 die Lasten der Krise unnötig den unteren und mittleren Einkommensschichten zugewiesen. Die Gewinne dieser vermögenden Schicht werden also privatisiert und deren Verluste sozialisiert.

      2.Problem: Griechenlands linke Regierung besteuert die Vermögenden nicht, macht keine Vermögensabgabe, kein Steuerabkommen mit der Schweiz, welches wenigstens 20 Milliarden Steuerschulden der Vermögenden eingebracht hätten. Die Einnahmenseite wird also nicht verbessert!

      Fazit: Geballte Inkompetenz trifft von beiden Seiten aufeinander, wie die vergangenen Jahre belegen. Alle bisherigen Maßnahmen verschieben nur die notwendige Lösung der Probleme in die Zukunft!

      Quelle: http://www.bpb.de/apuz/142833/politische-kultur-in-griechenland?p=all

      • @2097 (Profil gelöscht):

        Sehr zutreffend bereits seit 2012: "Systemwandel nötig: […] Schuldenerlass und Finanzspritzen bekämpfen nur die Symptome der griechischen Krise, aber nicht die Ursache: Solange das Klientelsystem weiterhin besteht, stabilisieren die Finanzhilfen in erster Linie das alte System, statt es aufzubrechen. Eine echte Veränderung dagegen kann nur durch einen Systemwandel erreicht werden. Der einzige Weg, den Klientelismus zu überwinden, ist, die finanziellen Quellen für die Rousfetia auszutrocknen. Dies kann nur durch eine strenge Kontrolle der staatlichen Finanzen durch ausländische Experten erreicht werden, welche die Methoden des Klientelismus genau kennen. Dies wird natürlich nicht ohne (freiwillige) Einschränkung der staatlichen Souveränität über die Bühne gehen, wogegen sich die Oligarchie natürlich heftig wehrt, indem sie an den griechischen Nationalstolz appelliert. Flankierend müssten "die Reichen" (die Millionäre und Milliardäre) Griechenlands dazu gebracht werden, ihre Steuern zu bezahlen. […] Daher stellt sich die weitere Aufgabe, für das Land geeignete Industrien aufzubauen, die langfristig Arbeit bieten. Nur durch die Schaffung einer großen Zahl von permanenten Arbeitsplätzen wird es möglich sein, die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf ein vernünftiges Maß (in Analogie zu anderen EU-Staaten) zu reduzieren, ohne dass es zu sozialen Verwerfungen kommt. Dadurch wird ein weiterer Aspekt des Klientelismus beseitigt. Ähnliches gilt für die Streitkräfte und die staatlichen Betriebe. Sollten dagegen keine systemüberwindenden grundlegenden Reformen durchgeführt werden, droht Griechenland sich zum failed state zu entwickeln."

        Quelle: http://www.bpb.de/apuz/142833/politische-kultur-in-griechenland?p=all