Sahra Wagenknecht in Hamburg: Kein Wahlkampf ist auch keine Lösung
EU-Parlamentarier Fabio de Masi hatte auf einen Raddampfer im Hamburger Hafen geladen – zu einer „Europapolitischen Informationveranstaltung“.
Warum das so wichtig ist? Weil der EU-Parlamentarier de Masi den Abend aus Mitteln des EU-Parlaments finanziert, wie er ganz offen sagt, und er die nicht zweckentfremden darf. Also ist es keine Wahlkampfveranstaltung, so steht es schon in der Einladung. Sondern nur eine Veranstaltung, die zufällig im Vorfeld der Bundestagswahl stattfindet – und bei der zufällig ausschließlich Leute vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auf der in puffschummrig-rotes Licht getauchten Bühne sitzen: Sponsor de Masi, Parteichefin Sahra Wagenknecht und der Moderator, der Werbefotograf Konstantin Eulenburg, oder, wenn es offiziell wird, Konstantin Otto Graf zu Eulenburg.
Vorgestellt wird er als „die gute Seele des BSW in Hamburg“. Ein formelleres Amt kann er nicht bekleiden, da das BSW bislang vermieden hat, einen Hamburger Landesverband zu gründen, obwohl in 13 Wochen eine neue Bürgerschaft gewählt wird.
Auf dem Dampfer in die gute alte Zeit
Es soll an diesem Abend um die Frage gehen, ob „Deutschland und Europa sinkende Schiffe“ seien, illustriert mit einem Plakat, auf dem eine Kogge mit schwarz-rot-goldenem Rumpf bei fahlem Licht in vollkommen ruhiger See versinkt. Den Ort könnte man als Statement verstehen: der – natürlich dieselbetriebene – Raddampfer „Queen“ am Anleger Vorsetzen. Es ist eines dieser Schiffe, die mit heiserem Heulen Touristen über die Elbe schaukeln und suggerieren sollen, es gebe sie noch, die gute alte Zeit. Auch wenn es die so nur in den Südstaaten gegeben hat und sie vielleicht auch gar nicht so gut war. Doch de Masi sagt, natürlich könne Sahra auch Hallen mit Tausenden füllen, die seien nur „heutzutage“ nicht mehr bezahlbar.
Moderator Eulenburg kommt nicht um einen maritimen Kalauer herum: Man solle sich keine Sorgen machen, witzelt er, es seien genügend Schwimmwesten an Bord. „Auf der Titanic hat das Orchester bis zum Schluss gespielt“, sagt er. Wie das denn in Berlin sei nach dem Ampel-Aus – „spielt das Orchester noch, Sahra?“
Die Steuermänner, die „da vorne“ stehen, hätten jedenfalls „schon ihre Beiboote“ und könnten sich „abseilen“. „Bestürzend“ sei, dass ein Herr Habeck sich auch noch „zu höherem berufen“ fühle. Und „eine Frau Baerbock“ sei ja „eine Peinlichkeit sondergleichen“. (Hat eigentlich schon jemand gesagt, dass das hier keine Wahlkampfveranstaltung ist?) Baerbock habe ja Russland den Krieg erklärt. Da sei es ganz gut, dass sie „nicht ernst genommen wird“, auch von Putin nicht, sonst hätten wir „vielleicht ein echtes Problem“. Denn Krieg mit Russland – das heiße Atomkrieg.
Überhaupt sei der Krieg in der Ukraine zwar schlimm und auch völkerrechtswidrig – aber Sanktionen schadeten eben nicht Russland, sondern der deutschen Wirtschaft. Deutschland sei nun mal „geografisch abhängig“ von russischem Öl und Gas. Wagenknecht schlägt deswegen vier Punkte vor, um das sinkende Schiff Deutschland doch noch wieder flottzukriegen: Energie immer nach dem günstigsten Preis einkaufen; die Infrastruktur wieder auf Stand bringen; massive Investitionen in Bildung. Und dass wieder „auf Weltniveau“ in Forschung und Entwicklung investiert wird.
Eulenburg hat noch eine andere Sorge: die freie Meinungsäußerung. „Ich liebe das jüdische Volk“, sagt er, „aber ich kritisiere es auch.“ Und dann werde er als Antisemit hingestellt. Gemein, oder?
Niemand scheint Anstoß an der Formulierung zu nehmen, dabei ist sie praktisch die Essenz von Philo- und Antisemitismus in einem Satz. Nur die Parteichefin hat aufgepasst und korrigiert ihre „gute Seele“ sanft: „Das ist ja nicht die Kriegsführung eines Volkes, sondern die einer in Teilen rechtsradikalen Regierung.“ Sie sei froh über das Handeln des Internationalen Strafgerichtshofs, denn sie hat sich festgelegt: „Das sind schlimmste Kriegsverbrechen!“ Gab es bisher höflichen Applaus, bricht nun Jubel aus.
Genug Zeit für Selfies
Es sei schlimm, meint Wagenknecht, dass solche Äußerungen diskreditiert würden. „Das erleben wir auch anderswo“, sagt sie, sei es beim Thema Frieden oder damals bei Corona. „Jawoll“, ruft eine Frau dazwischen. Wagenknecht weiß, wo sie ihre Leute abholen muss: Frieden, Pandemie, noch ein Seitenhieb auf die Wärmepumpe. Dann eine kurze Fragerunde, bei der lauter Männer zu Wort kommen, die der Moderator mit dem Vornamen anspricht, bis jemand aus dem Publikum ruft: „Vielleicht mal 'ne Frau drannehmen.“
Nach 90 Minuten ist Schluss, damit noch genug Zeit für Selfies ist. Dann verschwindet Sarah Wagenknecht hinter den abgedunkelten Scheiben ihres schwarzen Audi und rollt durch den Hamburger Nieselregen davon. Kennzeichen: B-SW 8124, das Gründungsdatum ihrer Partei.
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