Sänger Muhabbet verteidigt sich: "Ein Fall von gestörter Kommunikation"
"Ich habe nie den Mord an Theo van Gogh gebilligt", sagt der deutsch-türkische Sänger Muhabbet. Aber er findet auch: Gegen die Verletzung religiöser Gefühle sollte es ein Gesetz geben.
taz: Herr Ersen, die Journalistin Esther Schapira behauptet, Sie hätten ihr gegenüber den Mord an dem Regisseur Theo van Gogh gebilligt. Stimmt das?
MUHABBET ist der Künstlername des Sängers Murat Ersen, 23. Seinen Stil, eine Mischung aus orientalischer Arabeskmelodien und US-amerikanischem R n B mit deutschen Texten, nennt er R n Besk. Geboren in Köln-Böcklemünd, lebt Muhabbet heute in Berlin. Am Montag hat er mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier und dessen frz. Amtskollegen Bernard Kouchner eine migrantische "Deutschland"-Hymne aufgenommen.
Murat Ersen: Ich denke, dass sie mich missverstanden hat. Es war laut, wir standen in einer Runde, die redeten auf mich ein, ich wollte nur weg. Das war ein Fall von gestörter Kommunikation.
Was haben Sie denn gesagt?
Ich habe gesagt: Es gibt Leute, die hätten diesen Van Gogh erst in den Keller gesperrt und gefoltert, bevor sie ihn getötet hätten. Ich habe diese Aussage in der dritten Person getroffen.
Wie war die Situation?
Mein Manager stand gerade bei Frau Schapira und hat mit ihr über den Ausschnitt aus ihrem Film geredet, der bei der Preisverleihung gezeigt wurde. Der hatte mich verstört: Szenen einer nackten Frau mit Koranversen zu zeigen, was soll das? Da dachte ich noch, das wäre ein Ausschnitt aus ihrem Film, den ich ja nicht kannte.
Und was ist dann passiert?
Schauen Sie, ich hatte an dem Tag gerade zum ersten Mal eine englische Laudatio gehalten, mir schlug das Herz bis zum Hals. Als ich zu dem Gespräch dazugestoßen bin, ist sie mich gleich angegangen: Sie finden meinen Film also nicht gut? Darauf habe ich gesagt, dass ich den Ausschnitt sehr irritierend fand. Daraufhin ging sie mich an und meinte: Ich finde diesen Auschnitt gut. Und ich sagte, entschuldigen Sie bitte, aber es gibt Leute, die, wenn sie diese Bilder sehen, total ausrasten würden. Die hätten diesen Van Gogh erst in den Keller gesperrt und gefoltert, bevor sie ihn getötet hätten. Meine Aussage war, dass es Fundamentalisten gibt, die ausflippen würden.
Sie kannten den Film "Submission" nicht und wussten nichts über dem Mord an Theo van Gogh?
Nein. Das hat sich ja vor knapp drei Jahren ereignet - da hatte ich gerade meinen Plattenvertrag unterschrieben und war das erste Mal auf Tour. Aber auf den Rat meines Managements fange ich jetzt damit an, regelmäßig Zeitungen zu lesen. Ansonsten schließe ich mich lieber ins Studio ein und mache Musik: Das ist mein Lebensinhalt.
Was hat Sie an den Szenen aus "Submission" gestört?
Ich fand diese Bilder schockierend: eine nackte Frau mit dem Koran in der Hand beim Beten. Das ist für mich so, als würde man ein nacktes Paar beim Sex auf einem Altar zeigen oder einen nackten Juden vor der Klagemauer. Das ist für mich die gleiche Ebene. Ich weiß nicht, ob man das als Kunst bezeichnen kann. Ich möchte das aber auch nicht sehen müssen, dagegen wehre ich mich. Und was ich sagen wollte war: Wissen Sie, was Sie da tun? Nur das habe ich mit diesem Bild umschrieben: dass ein Fundamentalist Amok laufen würde, wenn er das sähe.
Genau das ist in Holland auch passiert. Der Filmemacher wurde ermordet.
Vielleicht habe ich ja Visionen, ohne davon zu wissen. Oder ich kann in die Vergangenheit sehen. Das hat sie wohl in den falschen Hals bekommen, und deshalb sitzen wir jetzt hier.
Wäre Steinmeier mit einem Sänger aufgetreten, der einen rechtsextremistischen Mord gebilligt hätte, dann wären Sie auch alarmiert.
Natürlich. Das behauptet ja Frau Schapira. Und wir behaupten, dass sie das falsch verstanden hat - und dass sie damit zum völlig unpassenden Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gegangen ist.
Frau Schapira soll Ihnen schon Ende Oktober eine E-Mail geschrieben haben, in denen sie ihre Anschuldigungen äußerte. Warum haben Sie nicht gleich darauf reagiert und die Vorwürfe aus der Welt geräumt?
Das lief zwischen meinem Manager und Frau Schapira, damit hatte ich nichts zu tun. Er hatte sie gebeten, uns eine DVD mit ihrem Film zu schicken. Aber als die ankam, saßen wir hier gerade im Megachaos.
Als sie am Montag in den "Tagesthemen" ihre Anschuldigungen wiederholte: Warum haben Sie das nicht früher richtiggestellt?
Ich habe mich ja schon am Montag in den "Tagesthemen" erklärt, und die Bild-Zeitung hat mich am Donnerstag interviewt. Wir waren am Montag total euphorisch. Und dann fragen sie in den "Tagesthemen": "Ist dieser Junge ein Fundamentalist?" Ich frage mich eher: Wo kommen bloß diese Urängste her? Wenn mich Frau Schapira gekannt hätte, wäre es nie zu diesem Missverständnis gekommen. Die Oma in der Provinz, die mich das nächste Mal auf der Straße trifft, wird doch gleich in die Büsche springen, wenn sie das gehört hat. Dabei weiß sie gar nicht, was ich in meinem Herzen trage.
Halten Sie es in irgendeiner Form für gerechtfertigt, auf die Verletzung religiöser Gefühle mit Gewalt zu reagieren?
Nein, ich bin da absolut dagegen. Aber es gibt Leute, die das anders sehen. Ich bin gegen die Todesstrafe und gegen jede Form von Gewalt. Ich engagiere mich ja gegen Gewalt an Schulen, und Extremismus aus religiösen Gründen liegt mir noch ferner. Ich billige das nicht, ich verabscheue und verachte das.
Sind Sie der Meinung, man dürfe solche Bilder wie in "Submission" nicht zeigen?
Als ich diese Bilder gesehen habe, habe ich mich gefragt: Gibt es keine Leute, die das kontrollieren? Gibt es dafür keine Zensur? Es gibt doch Jugendschutzgesetze und Altersbeschränkungen. Mir ist egal, ob es dabei um den Islam geht. Aber die Verbindung von Nacktheit und Religion - das ist für mich ein ganz schmaler Grat.
In Deutschland und Holland ist das erlaubt.
Das wusste ich nicht. Wieder etwas dazugelernt.
Politiker wie Beckstein fordern, man müsste einen Paragrafen einführen, der die Verletzung religiöser Gefühle verbietet. Finden Sie das richtig?
Ja, in einem gewissen Maß schon. Und ich würde das auch auf alle Religionen beziehen. Beckstein ist cool.
Aber haben Theo van Gogh und Ayaan Hirsi Ali den Tod verdient?
Nein, haben sie nicht.
Sie haben viele Fans. Es gibt Jugendliche, die sehr emotional reagieren, wenn sie sich in ihrer Ehre oder ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlen. Was sagen Sie denen?
Ich sage denen: Überlegt genau, was ihr tut. Aber meine Fans sind ganz entspannt. Und falls ich mal so einem Extremfall begegnen sollte, dann würde ich auch sagen: Du bist nicht mehr mein Fan. Leider gibt es aber auch die Gegenseite. Wir bekommen gerade die ersten Morddrohungen und Hassmails, in denen von Kameltreibern und Ziegenfickern die Rede ist, die in die Wüste geschickt gehören. Das ist auch nicht schön.
Aber Mord ist Mord?
Für Mord gibt es keine Rechtfertigung. Der Rest liegt bei dem Herrn da oben.
Gibt es Gründe, die einen Mord rechtfertigen?
Niemals.
Wie kam es eigentlich zu Ihrer Aktion mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier?
Ich habe ihn im vergangenen Jahr auf einer Reise in die Türkei begleitet und war danach zur Weihnachtsfeier im Auswärtigen Amt eingeladen. Da wollten wir uns revanchieren. Und ich hatte diesen Song, "Deutschland". Das ist ja eine Liebeserklärung an Deutschland.
Wird der Song jetzt veröffentlicht?
In zwei Wochen wird die Single plus Video erscheinen: Mit Bildern von der Gesangseinlage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“