Sachbuch „Alles nur Konsum“: Die Macht der Metapher
Wolfgang Ullrich liefert in seinem neuen Band eine originelle „Kritik der warenästhetischen Erziehung“. Er betrachtet Konsumgüter als Zeichensysteme.
![](https://taz.de/picture/164754/14/MIneralwasserkonsum1dpaq.jpg)
Dank Wolfgang Ullrich weiß ich endlich, warum die Warnungen vor dem sogenannten Schlankheitswahn so erfolgreich sind. Während meiner täglichen U-Bahn-Fahrten sehe ich schlanke Mädchen eher selten, dafür eine Menge stämmiger 18-Jähriger, die ich leicht auf 80 Kilo schätze. Offenbar wollen sie nicht verdächtigt werden, einem Wahn zu frönen, und treffen dagegen schwerwiegende Vorkehrungen.
Wie wirkmächtig Sprachbilder sein können, darüber klärt Wolfgang Ullrichs neueste Publikation im Wagenbach Verlag auf. „Alles nur Konsum. Kritik der warenästhetischen Erziehung“ hat, das soll hier nicht unter den Tisch fallen, einen ihrer Vorläufer in Ullrichs Kolumne „Warenkunde“, die zwischen 2006 und 2009 im Kulturteil dieser Zeitung zu finden war.
Wer die Kolumne verfolgt hat, weiß, dass hier nicht der Old School von Wolfgang Fritz Haugs „Kritik der Warenästhetik“ und auch nicht deren modernisierter „No Logo“-Fassung von Naomi Klein gehuldigt wurde. Wolfgang Ullrich, der Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe ist, betrachtet Konsumgüter als mehr oder weniger komplexe Zeichen- und Kommunikationssysteme, die genussvoll, nutzreich und kritisch zu entziffern eine Kulturtechnik ist wie das Lesen von Romanen.
Originell und lesenswert zeigt Ulrich dabei die Möglichkeiten auf, die dem Bildungsbürger als Konsumbürger erwachsen. Sofern eine adäquate warenästhetische Erziehung den Ansprüchen genügt, die sich stellen, seit Anfang der 90er Jahre gerade alltägliche Produkte wie Duschgel, Mineralwasser oder Kochsalz von einer „Metaphorisierungs- und Inszenierungswelle erfasst und einem Redesign unterzogen“ wurden.
Raffiniertes Sounddesign
Also freuen wir uns mit Wolfgang Ullrich zunächst über das raffinierte Sounddesign verschiedener Verschlusskappen, das uns einmal wohliges Entspannen und das andere Mal energiegeladene Aktivität verheißt. Und verblüfft erfahren wir im Kapitel „Metaphernethik“, wo die Gefahren des Marketing wirklich liegen. Dessen großes Narrativ geht nun so, dass der Konsument zunächst für ein Problem sensibilisiert wird, damit ihm dann das Produkt als Lösung angeboten werden kann.
Vertrackt ist dabei nur, dass die „gerade auch vom Marketing erzeugten Ängste vor Erschöpfung … bei vielen zu dem Gefühl beitragen, unter Energiearmut und Überbeanspruchung zu leiden“. Analog vermute ich, dass das Erschrecken vor dem Minderheitenproblem Schlankheitswahn die Mehrheit fett macht.
Dass die altbekannte Konsumkritik mit ebendemselben Versprechen, vom Elend zur Erlösung zu führen, arbeitet, ist eine hübsche Volte. So erklärt sich auch, warum uns vor allem die Verwerflichkeit unseres Tuns nachhängt. Etwa, dass wir unseren Konsum nicht einfach nur mehr Moden unterwerfen, sondern schon Situationen.
Situativ aber erzwingt das eine Produkt geradezu das nächste: der Nachmittag den Tee und der Tee dann die Kekse, um erst einmal vom Porzellan, der Musik, dem Licht et cetera zu schweigen – und einen kleinen Schlenker zum Buchdesign von „Alles nur Konsum“ zu machen. Jedes Kapitel leitet das Foto eines Bücherregals ein, in dem die Produkte und Bücher zu sehen sind, um die es im Folgenden geht. Als Running Gag, der sich durch sämtliche Aufnahmen zieht, fällt dabei ein Becher in der Größe extra large mit „Non Stop“-Cookies auf.
Hinreißend analysiert
So sieht das Böse schlechthin aus. Dagegen helfen nur Manufaktum und „die guten Dinge“, die es dank der Mönche von der Abtei St. Severin und ihrem Haarshampoo noch immer gibt. Mit dessen Flaschendesign kommen dann, wie Ullrich hinreißend analysiert, christliche Strafpredigt, Höllenangst und Erlösung ebenso umstandslos wie sprechend in die säkulare Warenwelt.
In der Hölle schmoren wie seit je die Armen. Zwar konsumieren sie durchaus, was ihnen gerne entgegengehalten wird: vor allem die „Non Stop“-Cookies, die sie so dick machen. Wirklich schwer wiegt aber, dass sie sich in Zeiten der Markenreligion mit Billigprodukten und Kopien abspeisen lassen müssen und so ihr Seelenheil verfehlen.
Ganz sicher ist es nicht Wolfgang Ullrichs These, dass gerade unser bewusst nachhaltiger und politisch korrekter Konsum ein einziger Ablasshandel ist. Aber ein bisschen trickst er sich schon aus, mit seinen klugen und aufmerksamen Analysen zur Sophistication der Warenwelt. Denn am Ende sind wir über unsere Konsumentenexistenz mehr aufgeklärt, als uns und vielleicht auch ihm lieb ist.
Wolfgang Ullrich: „Alles nur Konsum. Kritik der warenästhetischen Erziehung“. Wagenbach Verlag, Berlin 2013. 205 Seiten, 11,90 Euro; Lesung 7. 5. Stadtbibliothek Esslingen, 19.30 Uhr
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