SPD nach Becks Rücktritt: Sozis auf Sinnsuche
Am Tag nach dem Umbruch an der SPD-Spitze stellt sich die Partei demonstrativ hinter ihre neue Führung. Doch der linke Flügel fürchtet eine Rückkehr der Schröder-SPD.
Wenn Franz Müntefering extrem gut gelaunt ist, dann bricht sich seine katholische Erziehung Bahn. Das zeigte sich schon vor vier Jahren, als er zum ersten Mal SPD-Vorsitzender wurde und urteilte, es sei "das schönste Amt neben dem Papst". Am Montag war Müntefering wieder sehr gut gelaunt.
Gemeinsam mit dem Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier stellte er sich nach seiner erneuten Nominierung als Parteichef der Presse. Und als ein Journalist fragte, ob sein Engagement als Parteichef nur übergangsweise sei, da antwortete Müntefering: "Seit Adam und Eva hat es immer nur Übergänge gegeben." Das sollte heißen: Ich bin gekommen, um zu bleiben.
Doch die SPD-Linke will sich nicht so einfach Münteferings selbstbewusstem Führungsanspruch beugen. Das hatte bereits kurz zuvor die Nominierung des Ex-Arbeitsministers im 45-köpfigen SPD-Vorstand gezeigt: Müntefering erhielt eine Gegenstimme und fünf Enthaltungen. Ein Sonderparteitag in Berlin soll nun am 18. Oktober den 68-Jährigen zum Parteivorsitzenden wählen.
Neben dem auftrumpfenden Müntefering plagte sich Frank-Walter Steinmeier mit dem Versuch, gelassen zu wirken. "Die SPD stellt sich geschlossen und neu auf", sagte der Kanzlerkandidat. Müntefering gab sich gegenüber seinem am Sonntag zurückgetretenen Vorgänger ungewohnt versöhnlich: "Ich hoffe, dass ich mich bald mit Kurt Beck aussprechen kann."
Die Botschaft des Führungsduos war klar und einfach: Wir machen gute Laune, um vom Bundestagswahlkampf zu retten, was zu retten ist. Dennoch schien bei Parteilinken und Wahlkämpfern ihre große Verunsicherung und Skepsis durch. Sie fürchten eine Rückkehr zu den unpopulären Zielen der Agenda 2010.
Zwar mühten sich auch Vertreter der unterschiedlichen Parteiströmungen um demonstrative Unterstützung der neuen Führungsriege. Doch das klappte nicht immer. Die SPD-Linke und Vizeparteivorsitzende Andrea Nahles beispielsweise kündigte an: "Wir werden uns unterhaken" und gemeinsam wollten sie "die politische Konkurrenz das Fürchten lehren". Zugleich beklagte sie eine unvergleichliche Medienkampagne gegen Beck und sprach von "Heckenschützen aus den eigenen Reihen".
Der saarländische SPD-Chef und Parteilinke Heiko Maas erklärte mit Blick auf den alten und neuen Parteichef Franz Müntefering: "Für einen neuen Parteivorsitzenden gibt es keinen Persilschein." Allzu oft habe die SPD durch ständige Führungswechsel Richtungsentscheidungen unterlassen. Maas muss sich im Saarland gegen eine Linkspartei zur Wehr setzen, die in einer Meinungsumfrage vor einer Woche zum ersten Mal vor der Landes-SPD lag. In einem Jahr wird an der Saar gewählt.
Schleswig-Holsteins Landeschef Ralf Stegner, ebenfalls ein Linker, mahnte, die SPD dürfe von den Beschlüssen des Hamburger Parteitages vom November 2007 "weder nach links noch nach rechts" abweichen. Damals wurde gegen Münteferings Widerstand beschlossen, älteren Menschen wieder länger das höhere Arbeitslosengeld I zu zahlen.
Die hessische SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti musste den größten verbalen Spagat vollbringen. Während sie die erste Tolerierung einer SPD-geführten Landesregierung im Westen organisiert, lobte sie den Linke-kritischen Kanzlerkandidaten: "Steinmeier hat die volle Unterstützung der hessischen SPD."
An ihrem Kurs auf eine von der Linkspartei geduldete Minderheitsregierung ändere der Umbau an der Parteispitze hingegen nichts, erklärte Ypsilanti. Am 4. Oktober will die Parteilinke auf einem Landesparteitag den Segen für das im Westen der Republik neuartige Bündnis erhalten.
Den designierten Parteichef erwähnte Ypsilanti in ihrer Erklärung nicht. Bei Münteferings Nominierung im Parteipräsidium am Sonntag hatten Ypsilanti und Stegner sich als Einzige der Stimme enthalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Lateinamerika und Syrien
Assads Freunde