SPD-Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen: Flimmern in der Sozi-Herzkammer
Im NRW-Kommunalwahlkampf lässt Corona die Sozialdemokraten einsam zurück. Das Rathaus Dortmund dürften sie trotzdem erobern.
Deren Oberbürgermeisterkandidat Thomas Westphal hat wie Journalist*innen auch Probleme, überhaupt mit Bürger*innen ins Gespräch zu kommen: „Nein danke“, sagen viele Angesprochene. Westphal hat daher Unterstützung mitgebracht.
Begleitet von der Kunstfigur „Storch Heinar“, die das unter Rechtsextremen beliebte Klamottenlabel Thor Steinar lächerlich macht, und von Bundeschef Norbert Walter-Borjans hängt er mit der NRW-Generalsekretärin Nadja Lüders Plakate in der Fußgängerzone auf. „Kreuze machen ohne Haken“ steht darauf. Ein Hinweis auf die SPD dagegen fehlt selbst in Dortmund, wo die Genoss*innen seit 1946 durchgehend das Stadtoberhaupt stellen.
Vor dem Pressetross, den der Bundesparteichef aus Berlin mitgebracht hat, beschwören Walter-Borjans, Westphal und die Dortmunderin Lüders den Mythos der SPD-„Herzkammer“ NRW dagegen immer wieder. Sozialdemokrat zu sein – das sei in Dortmund eine „Grundüberzeugung“, erklärt Westphal. Tatsächlich lebt fast jedes vierte der 425.000 SPD-Mitglieder in NRW. Trotz massiven Mitgliederschwunds zählt die Partei in Dortmund noch immer rund 6.000 Mitglieder – in ganz Mecklenburg-Vorpommern sind es gerade einmal 2.000.
Westphal kann sich deshalb Hoffnung machen. Der eloquente Ex-Juso-Bundeschef, der gern mit weißem T-Shirt unter dem Jackett, Jeans und Sneakern auftritt, setzt auf die Themen bezahlbares Wohnen, weniger Autos und bessere Schulen. In einer Umfrage von Mittwoch liegt der 53-Jährige trotz starker Konkurrenz weit vorn: Westphal käme bei der Oberbürgermeister-Direktwahl auf 32 Prozent. CDU-Kandidat Andreas Hollstein, bundesweit durch die Messerattacke eines Flüchtlingsgegners bekannt gewordener Bürgermeister von Altena, liegt bei 21 Prozent. Davor noch liegt die einstige grüne Landeschefin Daniela Schneckenburger mit 26 Prozent.
Im Vergleich zu SPD-Umfragewerten von 16 Prozent im Bund und 20 Prozent im Land ist das sensationell. Auszahlen könnte sich für Westphal sein bisheriger Job als Chef der Dortmunder Wirtschaftsförderung: Die Stadt hat den Strukturbruch, das Ende von Kohle und Stahl, und den Niedergang ihrer Brauereien, relativ gut gemeistert.
Nach einer aktuellen, am Mittwoch veröffentlichten Umfrage von WDR und verschiedenen Lokalzeitungen zeigen sich die CDU in NRW stabil und die Grüne gestärkt: Danach könnten die Christdemokraten bei der NRW-Kommunalwahl am 13. September etwa in Essen und Münster die stärkste Ratsfraktion stellen.
In Aachen und Bonn könnten die Grünen mit 37 und 35 Prozent sogar stärkste Kraft im Stadtrat werden. Die SPD käme dagegen bei der Stadtratswahl selbst in ihrer einstigen Ruhrgebiets-Hochburg Essen nur noch auf 19 Prozent. Die stärkste Ratsfraktion stellen könnte die SPD der Umfrage zufolge nur noch in Dortmund und Duisburg.
In Nordrhein-Westfalens größter Stadt Köln liegen SPD und Grüne bei der Ratswahl mit jeweils 24 Prozent gleichauf, die CDU mit 23 Prozent aber dicht dahinter. Bei der Oberbürgermeister*innen-Direktwahl könnte die parteilose, aber von CDU, Grünen und FDP unterstützte Kölner Amtsinhaberin Henriette Reker sich das Rathaus mit 61 Prozent schon im ersten Anlauf sichern. In Düsseldorf liegt der amtierende SPD-Rathauschef Thomas Geisel mit 31 Punkten dagegen gleichauf mit seinem CDU-Herausforderer Stephan Keller.
Wegen Corona liegt die Arbeitslosigkeit zwar bei 12 Prozent. Vor der Pandemie waren es dagegen weniger als 10 – auch weil um die Universität, auf einer alten Industriebrache, viele neue Dienstleistungsjobs etwa in der IT-Branche entstanden sind.
Hoffnung machen kann sich die Partei deshalb auch in Bund und Land. Die NRW-Kommunalwahl ist die letzte in Deutschland in diesem Jahr – und sollte die SPD, die in 14 der 23 NRW-Großstädte das Stadtoberhaupt stellt, massive Verluste einfahren oder gar die „Herzkammer“ Dortmund verlieren, stünden nicht nur Walter-Borjans, seine Co-Vorsitzende Saskia Esken und Kanzlerkandidat Olaf Scholz blamiert da. Auch in NRW dürfte der Machtkampf zwischen Landeschef Sebastian Hartmann und dem Landtagsfraktionsvorsitzenden Thomas Kutschaty neu aufflammen.
Dazu kommen muss es aber nicht: „Die alten Netzwerke werden auch bei dieser Wahl funktionieren“, sagt vor der Reinoldikirche eine 65 Jahre alte ehemalige Lehrerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung sehen will, aber als eine von wenigen gesprächsbereit ist. Sie selbst, sagt sie, fände zwar „frischen Wind ganz gut“ – doch dass die als links geltenden Dortmunder Grünen bei einer Stichwahl Werbung gegen Westphal und für den CDU-Mann Hollstein machen könnten, hält kaum jemand für denkbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“