SPD-Parteitag: Hamburger Rollenspiele
Beck hatte seinen Triumph. Doch was machen die anderen?
HAMBURG taz Kurt Beck konnte frühzeitig aufatmen: Mit 95,5 Prozent bestätigten ihn die Delegierten als SPD-Parteichef. Die Wahl der drei Stellvertreter jedoch verzögerte sich am Abend. Dass Beck ein diktatorenhaftes Ergebnis einfahren würde, war absehbar - wie die drei Kandidaten Andrea Nahles, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier bei der Wahl von Becks Stellvertretern abschneiden würden, wurde hingegen mit Spannung erwartet. Alle warteten darauf, die Prozentzahlen zu interpretieren.
Schließlich hieven diese die drei nicht nur in neue Aufgaben, sie bewerten auch die Rollen, die sie während der Debatte um verlängertes Arbeitslosengeld I eingenommen haben. Nahles nutzte die Debatte als Sprungbrett von der unbequemen Parteilinken zur stabilen Führungskraft. Von allen drei war es lediglich sie, die sich in dieser Frage frühzeitig eindeutig entschieden hatte - für den Vorstoß von Kurt Beck. In zahllosen Interviews und Auftritten hatte sie für die Korrektur an der Agenda 2010 gestritten. Für ihre Loyalität und ihr Gespür für Parteisehnsüchte könnte sie mit einem guten Ergebnis abschneiden. Zudem wäre es die zahlenmäßige Bestätigung ihres zuletzt stetig gewachsenen Einflusses, der sich im Entwurf des neuen Grundsatzprogramms erkennen ließ.
Vielleicht erklärt dies, weshalb Gerhard Schröder in seinem Grußwort darauf verzichtete, die Delegierten um Unterstützung für Nahles zu bitten, sondern lediglich für "seine" Minister warb. Und vielleicht sollten die warmen Worte des Exkanzlers die beiden vor einer Abstrafung schützen, wie sie einst Olaf Scholz als Generalsekretär erfahren musste, nachdem er Schröders Agenda durchgeboxt hatte. Dabei galten die beiden "Stones" bei ihrer Nominierung im Mai in der Dreiertruppe noch als Tonangeber mit Kanzlerformat: Steinbrück, weil er als Reformer und Zahlenmeister der SPD endlich mal finanzpolitisches Profil zu geben schien; Steinmeier, weil er sich innerhalb kürzester Zeit auf der Weltbühne staatsmännisch bewegte.
Der Korrekturkurs Becks brachte sie ins Schlittern. Der Finanzminister, der sich erst mit der Umsetzung der Agenda 2010 in der SPD so richtig wohl zu fühlen schien, machte aus seinen Zweifeln nie einen Hehl. Konnte er auch kaum, hatte er doch kurz zuvor einigen Genossen wegen mangelndem Reformeifer "Heulsusen"-Politik vorgeworfen. Wenige Gelegenheiten ließ er anschließend aus, um seine Genossen vor einer grundsätzlichen Agenda-Abkehr zu warnen. Ins offene Messer der Delegierten wollte er aber nicht laufen, zumindest achtete er stets darauf, sich gemäßigt, teils gar verständnisvoll über Becks Absichten zu äußern.
Und Steinmeier? Der Außenminister verschwand im Führungsstreit nahezu völlig in der Versenkung. Lediglich einmal meldete er sich zu Wort und schlug vor, "Brücken zu bauen". Da war der Graben längst nicht mehr zu schließen. Selbst wenn die beiden Minister bei der Wahl nicht abgestraft werden - die Machtverhältnisse innerhalb der Troika sind längst nicht mehr so wie noch vor fünf Monaten.
VEIT MEDICK
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