SPD-Generalsekretär über Klima und Wahl: „Im Herzen bin ich ein Rot-Grüner“
Wieder GroKo? SPD-Generalsekretär Matthias Miersch ist skeptisch. Er befürchtet energiepolitische Rückschritte und will am Heizungsgesetz festhalten.
taz: Herr Miersch, Sie sind erst seit zwei Monaten SPD-Generalsekretär. Seit einem Monat wissen Sie, dass Mitte Februar gewählt wird. Wie geht es Ihnen so?
Matthias Miersch: Gut. Der Job ist eine Veränderung. Die Zeit rast. Jede Formulierung wird auf die Goldwaage gelegt. Das ist eine Herausforderung, der ich mich gerne stelle.
taz: Haben Sie schon mal bereut, zugesagt zu haben?
Miersch: Nein. Der Job macht Spaß. Das Willy-Brandt-Haus ist personell und inhaltlich gut aufgestellt. Wahlkampf hat enormen Reiz.
ist SPD-Generalsekretär. Bis Oktober 2024 war er stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion und unter anderem für die Bereiche Umwelt und Klimaschutz zuständig.
taz: Hatten Sie damit gerechnet, Generalsekretär zu werden?
Miersch: Nein. Den Job hatte ich nicht auf dem Zettel.
taz: Wie organisiert man als Newcomer und aus dem Stegreif einen schnellen Wahlkampf?
Miersch: Ich bin ein strukturierter Mensch. Wie ist die Situation? Was brauche ich? Es geht um den Programmprozess, die Organisation des Wahlkampfes, meine öffentlichen Auftritte. Ich vertraue dem Team. Es geht darum, sich nicht mit Einzelheiten zuzuschütten, sondern den Überblick zu bewahren. Das gelingt im Moment gut.
taz: Lassen Ihnen die Parteichefs Saskia Esken und Lars Klingbeil freie Hand?
Miersch: Ja, wobei die grundsätzlichen Dinge Lars Klingbeil und Saskia Esken, Rolf Mützenich und Olaf Scholz und ich gemeinsam abstimmen. Die Feinjustierung im Wahlkampf obliegt mir.
taz: Die SPD macht Friedrich Merz im Wahlkampf zum Hauptgegner. Olaf Scholz hat ihm vorgeworfen, Russisch Roulette mit der Atommacht Russland zu spielen. Setzt die SPD auf negative Campaigning?
Miersch: Nein, überhaupt nicht. Wenn Olaf Scholz sagt, dass Merz Putin ein Ultimatum gestellt hat und Merz dies wahrheitswidrig leugnet, dann dient das der Aufklärung. Es geht um die Frage, wer dieses Land in unsicheren Zeiten führen soll. Olaf Scholz, der bedacht die Regierungsgeschäfte geleitet hat. Oder Merz, der über null Regierungserfahrung verfügt. Das ist kein negative Campaigning, sondern eine Tatsachenbeschreibung. Wir zeigen, was zur Abstimmung steht.
taz: Mit Merz als Kontrastfolie.
Miersch: Er liefert ja selbst die Stichworte, wenn er etwa Respekt für Besserverdienende fordert und nur die oberen 1 Prozent im Blick hat. Wir wollen Respekt für die Mehrheit, die 95 Prozent, die auf gute Rahmenbedingungen und einen handlungsfähigen Staat angewiesen sind. Und wir weisen darauf hin, dass Merz erst für die Beibehaltung der Schuldenbremse ist, sich dann eine Reform vorstellen kann und schließlich von seinem Generalsekretär zurückgepfiffen wird und eine Rolle rückwärts macht. Er hat keinen Kompass. Das werden wir im Wahlkampf nicht verschweigen.
taz: Redet die SPD so viel über Friedrich Merz, weil sie möglichst wenig über den Kandidaten Olaf Scholz sprechen will?
Miersch: Absolut nicht. Leider hat der Dauerstreit die Performance der Ampel verdeckt. Aber die Regierung von Olaf Scholz hat die Versorgungssicherheit nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gewährleistet, die Energiepreisbremsen auch mit der marktorientierten FDP durchgesetzt, den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv vorangebracht und ein Fachkräfte-Einwanderungsgesetz durchgesetzt. Das kann sich sehen lassen. Mit CDU und Friedrich Merz wäre nichts davon möglich gewesen.
taz: Jetzt reden Sie schon wieder von ihm.
Miersch: Ja, weil die Leute wissen sollten, dass er gegen Mindestlohnerhöhung und Energiepreisbremsen gestimmt hat. Olaf Scholz hat hingegen eine Menge vorzuweisen.
taz: Warum haben Sie sich in der SPD-Spitze dann so viel Zeit gelassen, Scholz als Kanzlerkandidaten festzulegen?
Miersch: Das haben wir nicht. Unser Zeitplan stand fest. Wir wollten nach Scholz’ Reise zum G20-Gipfel nach Brasilien entscheiden. Das haben wir in kürzester Zeit getan.
taz: Sie sind SPD-Linker. Fällt es Ihnen schwer, einen rechten Sozialdemokraten wie Scholz zu promoten?
Miersch: Olaf Scholz gehört keiner rechten oder linken Strömung an. Links zu sein, heißt, so sehe ich das, für einen handlungsfähigen Staat zu sorgen, der über ausreichende Einnahmen verfügt und für Sicherheit sorgen kann. Nicht nur innere und äußere, sondern auch für soziale Sicherheit. Da gibt es keinen Dissens mit Olaf Scholz.
taz: Konkretes Beispiel: Die SPD-Linke will Vermögen besteuern, sei es als Erbschaftssteuer, Vermögensabgabe oder Vermögenssteuer. Scholz ist das Thema dagegen nicht so wichtig.
Miersch: Wir wollen die Reichsten, die oberen 1 Prozent, stärker steuerlich belasten. Das sieht Scholz auch so.
taz: Wird im SPD-Wahlprogramm die Vermögenssteuer stehen?
Miersch: Davon gehe ich aus. Die Union will hingegen den Soli für Reiche abschaffen und die privilegieren, die viel haben. Das ist der Unterschied.
taz: Bei der Schuldenbremse will der Kanzler eine moderate Reform für zusätzliche 5 bis 10 Milliarden, Saskia Esken, Parteilinke, will eine Reform für „massive Investitionen“. Was gilt?
Miersch: Wir wollen die Schuldenbremse so reformieren, dass wir Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Transformation leisten können. Da sind wir uns einig mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie, den Gewerkschaften und den Wirtschaftsweisen. Wichtiger als die Debatte um das Instrument Schuldenbremse ist es aber klarzumachen, was wir verbessern müssen.
taz: Es kann gut sein, dass die SPD ab 2025 mit der Union regiert. Wie fänden Sie eine neue Groko?
Miersch: Da mache ich ein Fragezeichen. Die letzte Große Koalition hatte sich inhaltlich erschöpft.
taz: Sind Sie gegen eine Große Koalition?
Miersch: Das habe ich nicht gesagt. Aber ich misstraue Heilsversprechen, was Koalitionen angeht. Außerdem sind die Zeiten sehr volatil. Bis zum 23. Februar kann noch viel passieren.
taz: Aber Sie sind skeptisch gegenüber einer Großen Koalition. Warum?
Miersch: Weil wir mit CDU/CSU manches nicht durchsetzen konnten, in der Ampel aber sehr wohl. Das betrifft die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts und den Ausbau erneuerbarer Energien. Deswegen betrübt es mich, dass die Ampel einen schlechten Ruf hat.
taz: Bei einer Koalition von Union und SPD würde bei den erneuerbaren Energien wieder Stillstand drohen?
Miersch: Vermutlich, ja. Atomkraft spielt für die Union wieder eine herausragende Rolle. Das wäre eine weitere Rolle rückwärts. Wir wissen, wie fatal die Laufzeitverlängerung unter Schwarz-Gelb auf den Ausbau der Erneuerbaren gewirkt hat. Die Union redet von Kernfusion, statt Erneuerbare auszubauen. Funktionsfähige Reaktoren gibt es aber überhaupt noch nicht. Solche Rückschritte wird die Sozialdemokratie nicht mitmachen.
taz: Die Gemeinsamkeiten mit den Grünen sind doch sehr viel größer, oder?
Miersch: Im Herzen bin ich ein Rot-Grüner. In Niedersachsen haben wir eine rot-grüne Regierung, die gut funktioniert.
taz: Sie hauen verbal aber ziemlich auf die Grünen ein und haben gesagt, dass Sie „viel Verdruss über den grünen Wirtschaftsminister wahrnehmen“.
Miersch: Wir hatten einen Disput. Robert Habeck hat behauptet, dass die SPD die soziale Förderung im Bereich Heizungsgesetz blockiert habe. Das stimmt nicht. Das haben wir miteinander geklärt. Der Hauptgegner der SPD sind CDU und CSU, nicht die Grünen.
taz: Die Grünen sind unter anderem wegen des Heizungsgesetzes schwer in Misskredit geraten. Der erste Entwurf des Heizungsgesetzes wurde geleakt. Stimmt es, dass das Kanzleramt dafür verantwortlich war?
Miersch: Diese Unterstellung habe ich noch nie gehört und ich weise sie entschieden zurück.
taz: Manche Grüne vermuten das. Sie versuchen aber auf jeden Fall die Grünen auf Abstand zu halten, damit das Duell Merz gegen Scholz funktioniert?
Miersch: Die Grünen attackieren die SPD auch. Es ist legitim, im Wahlkampf unterschiedliche Haltungen aufzuzeigen. Aber ein Alleinstellungsmerkmal hat meine Partei: Nur die SPD verbindet Klimaschutz mit der sozialen Frage und der wirtschaftlichen Situation.
taz: Wäre es nicht klüger, in Zeiten, in denen Klimaschutz kein Gewinnerthema ist, auf progressive Allianzen zu setzen, als sich gegenseitig klein zu machen?
Miersch: Das tue ich. Aber das schließt nicht aus, Unterschiede klar zu machen. Ohne zu verhüllen, dass die wahren Gegner andere sind.
taz: Was wird aus dem Heizungsgesetz? Die Union will es wieder abschaffen. Geht die SPD da mit?
Miersch: Ich kann nur davor warnen. Es braucht Planungssicherheit. Die ganze Branche, allen voran die Handwerker, appellieren an die Union, das Gesetz nicht abzuschaffen. Überhaupt ist Abschaffen noch kein Konzept. Die Union sagt nicht, was sie vorhat. Sie setzt nebulös auf den europäischen Emissionshandel. Das heißt: Sie lässt die Leute im Stich. Das kann dazu führen, dass fossile Energie für die arbeitende Mitte fast unbezahlbar wird.
taz: Aber Sie wollen das Heizungsgesetz nachbessern, Bauministerin Klara Geywitz meint sogar grundlegend überarbeiten.
Miersch: Natürlich muss man jedes Gesetz evaluieren.
taz: Bleibt es dabei, dass ab 2028 keine neuen Gas- und Ölheizungen mehr eingebaut werden dürfen und ab 2045 jede neue Heizung zu 100 Prozent klimaneutral sein muss?
Miersch: An den Fristen sollten wir nicht rütteln, das würde nur noch größere Verunsicherung schüren. Denn die Fristen für Privathaushalte sind ja an die kommunale Wärmeplanung gekoppelt, die bis dahin vorliegen muss. Die Kommunen sind landauf, landab dabei, diese zu erstellen. Es geht aber auch um technische Standards, die würden wir uns gern noch mal anschauen. Und das Thema Fernwärme ist eines, was wir auch noch viel stärker in den Blick nehmen müssen, denn Fernwärme wird für viele Wohnungen das Mittel der Wahl sein.
taz: Wie heizen Sie eigentlich?
Miersch: Mit einem Blockheizkraftwerk mit geringem fossilen Anteil. Ich wohne in einem Haushalt in Hannover, wo ich einen urgrünen Vermieter habe, der zum großen Teil schon auf erneuerbare Energie umgestellt hat.
taz: Da haben Sie aber Glück.
Miersch: Ich lebe da sehr gerne.
taz: Viele Menschen leben in Häusern mit Gasheizung. Ab 2027 gilt die europäische CO2-Bepreisung, dann kann Heizen teuer werden. Kommt die Diskussion, ob wir uns das alles noch leisten können?
Miersch: Das ist die Gefahr, die ich bei der CDU-Strategie sehe, wenn man nur auf den CO2-Preis setzt und sonst keinen Plan hat. Dann sagen Menschen, Heizen, aber auch Mobilität, das können wir uns nicht mehr leisten. Es gibt dann für die Politik nur die Möglichkeit, das so hinzunehmen oder den Markt mit zusätzlichen CO2-Zertifikaten zuzuschütten. Das drückt zwar den Preis, aber am Ende leidet der Klimaschutz.
taz: Die Stimmung ist ja jetzt schon skeptisch. Im Vergleich zu 2022 sagen doppelt so viele Leute, dass Klimaschutz zu rigoros sei. Wie reagiert die SPD darauf? Werden Sie das Thema im Wahlkampf runterfahren?
Miersch: Wir müssen uns natürlich zum Pfad des Pariser Klimaabkommens bekennen, und das wird im Wahlprogramm genauso drinstehen. Aber wir werden auch die Schritte dorthin beschreiben, das ist für mich die Lehre aus den Debatten um das Heizungsgesetz. Wir müssen klären, wer die nötigen Investitionen trägt. Momentan haben wir eine Diskussion über den Strompreis. Eigentlich ist erneuerbarer Strom günstig, aber dadurch, dass wir die Kosten für den Ausbau der Netze auf die Verbraucher umlegen, steigt die Stromrechnung. Das kann nicht in unserem Interesse sein, weil es Klimaschutz verhetzt.
taz: Und das Klimageld? Werden Sie sich dafür in der nächsten Regierung einsetzen?
Miersch: Das Klimageld ist sehr davon abhängig, wie es tatsächlich ausgestaltet wird. Einige haben es regelrecht zur eierlegenden Wollmilchsau gemacht. Da setze ich ein Fragezeichen.
taz: Also ist das Klimageld nicht so wichtig für die SPD?
Miersch: Es ist ein Instrument, mit dem wir gezielt entlasten können, aber es geht um einen Instrumentenmix. Für 120 Euro Klimageld können Sie sich kein E-Auto oder eine neue Heizung leisten – da braucht es schon noch weitere Förderungen.
taz: Sie waren bis Oktober Vizefraktionschef, haben viel mit der FDP ausgehandelt und mit Fraktionschef Christian Dürr, der wie Sie aus Niedersachsen kommt. Sind Sie nach den neuesten Enthüllungen über das D-Day-Papier menschlich enttäuscht von ihm?
Miersch: Für mich ist das wirklich auch etwas, was total nagt. Denn eigentlich haben wir uns menschlich gut verstanden. Ich habe aber seitdem nie wieder mit ihm geredet. Ich unterstelle einfach, dass der Ausstieg aus der Ampel eiskalt geplant gewesen ist.
taz: Also auf keinen Fall noch mal mit der FDP koalieren?
Miersch: Ich wüsste nicht, wie man eine Zusammenarbeit noch mal organisieren könnte mit denen, die dabei gewesen sind. Für mich ist da sehr viel Vertrauen verspielt.
taz: Manche fürchten einen schmutzigen Wahlkampf. Wo sind für Sie die Grenzen?
Miersch: Es ist richtig, im Wahlkampf zugespitzt zu formulieren. Aber es sollte nicht ins Persönliche gehen. Ich habe den Generalsekretären der demokratischen Parteien ein Fairnessabkommen vorgeschlagen. Wir werden uns in dieser Woche das erste Mal zusammenschalten.
taz: Das hilft gegen einen vergifteten Wahlkampf?
Miersch: Ich hoffe es. Sorgen macht mir der Social Media Bereich. Und Einflussnahmen, die nicht aus Deutschland kommen.
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