piwik no script img

SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf„Ich war nie nur Rebell“

Tim Klüssendorf zählt zum linken Flügel der SPD und ist jetzt ihr neuer Generalsekretär. Ein Gespräch über Steuergerechtigkeit und die Gefahr, auszubrennen.

„Wir wollen nicht für alle Ewigkeit mit der Union regieren“: Tim Klüssendorf im Willy-Brandt-Haus Foto: Hannes Jung

taz: Herr Klüssendorf, Sie wollten Sportreporter werden, jetzt sind Sie SPD-Generalsekretär. Wie konnten Sie so weit vom Weg abkommen?

Tim Klüssendorf: Als Kind hatte ich den Traum, mal ein Champions-League-Finale zu kommentieren. Aber ich habe den Weg Richtung Sportreporter nicht eingeschlagen, sondern Volkswirtschaft studiert und bin dann als direkt gewählter Abgeordneter in den Bundestag gekommen. Immerhin habe ich in meiner Zeit als Aufsichtsrat beim VfB Lübeck mal ein Spiel als Co-Kommentator begleiten dürfen.

taz: Der VfB Lübeck spielt in der Regionalliga. Droht der SPD ein ähnliches Schicksal?

Klüssendorf: Nein. Unser Wahlergebnis war schlecht, das ist unstrittig. Wir übernehmen trotzdem ­Verantwortung und sind Teil der Bundesregierung. Wir konnten wichtige Punkte im Koalitionsvertrag durchsetzen, inklusive der Reform der Schuldenbremse und der Milliardeninvestitionen, um Deutschland wieder voranzubringen. Die Regionalliga ist in weiter Ferne.

Tim Klüssendorf

33, ist seit 2021 SPD-Abgeordneter im Bundestag. Er gewann zweimal den Wahlkreis seiner Heimatstadt Lübeck. Klüssendorf gehört zum Vorstand der SPD-Parteigruppierung „Parlamenta­rische Linke“. Am 12. Mai 2025 wurde er zum kommissarischen Generalsekretär der SPD ernannt, auf dem Bundesparteitag vom 27. bis 29. Juni in Berlin soll er durch Wahl im Amt bestätigt werden.

taz: Wann hat Parteichef Lars Klingbeil Ihnen angeboten, Generalsekretär zu werden?

Klüssendorf: Ich habe kurz vor der entscheidenden Präsidiumssitzung mit Lars Klingbeil, Saskia Esken und Matthias Miersch gesprochen.

taz: Waren Sie von dem Angebot überrascht?

Klüssendorf: Die Idee stand vorher ja auch schon in der einen oder anderen Zeitung, also nein.

taz: Sie haben beim Parteitag 2023 erfolgreich einen Antrag für eine einmalige zehnprozentige Abgabe für große Vermögen gestellt und galten als Rebell.

Klüssendorf: Es macht Spaß, der Führung mal die Leviten zu lesen.

taz: Hat die SPD-Führung jetzt den Rebell eingekauft?

Klüssendorf: Nein. Ich war nie nur Rebell, sondern als Sprecher der Parlamentarischen Linken im Bundestag Teil von vielen Kompromissen. Ich habe auch in der Fraktion darauf hingewirkt, dass die Mehrheiten stehen.

taz: Parallelen zu Ihrem Vorvorgänger Kevin Kühnert, der vom Groko-Kritiker zum Generalsekretär wurde, drängen sich auf.

Beim Fußball hat Tim Klüssendorf zuletzt offensiv zentral gespielt: „Aber eigentlich bin ich linker Verteidiger.“ Foto: Hannes Jung

Klüssendorf: Kevin Kühnert war schon als Juso-Chef viel bekannter als ich. Ich bin ein anderer Typ.

taz: Inwiefern?

Klüssendorf: Ich war mal Kreisvorsitzender der Jusos in Lübeck, aber nie auf Bundesebene engagiert. Mein Schwerpunkt war über viele Jahre die Kommunalpolitik. Und ich mache nun seit vier Jahren im Bundestag Finanzpolitik. Das sind andere Erfahrungen, die ich mitbringe.

taz: Was macht einen guten Generalsekretär aus? Klüssendorf: Das Amt ist eine Mischung aus Organisation und Kommunikation. Ein guter Generalsekretär sorgt dafür, dass jeder weiß, warum die SPD was macht. Nicht nur zu Wahlkampfzeiten.

taz: Und was qualifiziert Sie?

Klüssendorf: Ich habe meinen Wahlkreis zum zweiten Mal in Folge direkt gewonnen, und habe Ideen dafür, wie man politische Mehrheiten organisieren kann. Außerdem habe ich meinen Master in Unternehmensführung und Marketing gemacht und war dann als Referent des Lübecker Bürgermeisters daran beteiligt, die Kommunalverwaltung mit über 5.000 Mitarbeitern zu modernisieren.

taz: Kevin Kühnert ist als 35-Jähriger ausgebrannt zurückgetreten. Machen Sie sich Gedanken, wie Sie dem entgehen?

Klüssendorf: Natürlich mache ich mir darüber Gedanken, auch zusammen mit meinem Team und meinem engsten Umfeld.

taz: Olaf Scholz hatte als Generalsekretär den Spitznamen Scholzomat, weil er so glatt wie geschliffen redete. Werden Sie freier sprechen?

Klüssendorf: Scholz hatte als Generalsekretär trotzdem eigene Ideen und politischen Einfluss. Sprachlich bin ich sicher ein anderer Typ. Ich will Politik so transparent wie möglich machen und Floskeln vermeiden, auch wenn man die nicht immer verhindern kann.

Wer erdet Sie, wenn Sie jetzt Teil des Raumschiffs Berlin sind?

Klüssendorf: Meine engen Freunde in Lübeck haben Jobs weit weg von der Politik. Die schauen hin und wieder Nachrichten und informieren sich vor allem über Social Media. Von vielen Sachen, die in Berlin als sehr, sehr wichtig gelten, haben die nie gehört. Das ist für mich ein wichtiger Reflexionsraum.

taz: Heidi Reichinneks Social-Media-Präsenz hatte Anteil am Wahlerfolg der Linken. Was kann die SPD davon lernen?

Klüssendorf: Heidi Reichinnek stellt Maximalforderungen. Das passt nicht zur Volkspartei SPD. Wir wollen Zukunftsvisionen entwickeln, Inhalte offensiver vertreten. Aber immer mit dem Anspruch, mehrheitsfähig zu sein.

taz: Die SPD denkt den Kompromiss immer gleich mit?

Klüssendorf: Nein. Wir denken die Mehrheitsfähigkeit in der Gesellschaft mit. Meine Aufgabe als Generalsekretär wird es auch sein, zu organisieren, dass die SPD eine zusammenhängende Erzählung findet. Viele Mitglieder sagen: Wir müssen über das Gesellschaftsbild der SPD reden. Das muss mehr sein, als Einzelforderungen zu addieren. Es reicht nicht, noch eine Mindestlohnerhöhung und noch eine Verlängerung der Stabilisierung des Rentenniveaus zu fordern.

taz: Welche drei Themen sollte die SPD nach vorn stellen?

Klüssendorf: Erstens: eine solidarische Verteilungspolitik und Steuergerechtigkeit. Zweitens: Arbeit und Soziales. Wie sichern wir Arbeitsplätze? Was soll unser Sozialstaat leisten? Wie wird er finanziert? Drittens: der Schutz unserer Demokratie.

taz: SPD-Chef Lars Klingbeil will als Finanzminister aber sparen, Steuererhöhungen sind im Koalitionsvertrag nicht vereinbart. Packen Sie Ihr Konzept für vermögenswirksame Steuern jetzt in die Schublade?

Klüssendorf: Nein, natürlich nicht. Es ist möglich, SPD-Positionen zu vertreten und gleichzeitig als eine Partei mit 16,4 Prozent Regierungspolitik zu machen. Wir müssen klarmachen, dass das, was wir wollen, nicht morgen Gesetz wird, nur weil wir Teil der Bundesregierung sind.

taz: Die SPD will also weiterhin eine Vermögensabgabe …

Klüssendorf: … und die Reform der Erbschaftssteuer und die Aktivierung der Vermögenssteuer.

taz: Der Aktienkurs von Rheinmetall hat sich im letzten halben Jahr verdreifacht. Ist eine Übergewinnsteuer für Rüstungskonzerne nötig?

Klüssendorf: Darüber kann man diskutieren. Die technische Umsetzung wirft noch viele offene Fragen auf. Selbstverständlich finde ich den Gedanken angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre aber plausibel.

taz: Die SPD wollte mal die Bürgerversicherung. Soll sie jetzt wieder dafür werben?

Klüssendorf: Das Konzept ist nicht schlecht. Aber ich finde, wir sollten es überarbeiten.

taz: Also ist die Idee passé?

Klüssendorf: Nein. Sie soll nicht vom Tisch genommen werden. Aber wir werden uns generell mit der Frage beschäftigen, wie wir die Sozialversicherungssysteme reformieren, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich weiter auf sie verlassen können. Wir werden dazu Ideen entwickeln. Dazu gehört auch die Frage, die Bärbel Bas aufgeworfen hat: wer eigentlich alles in die Rentenkasse einzahlt.

taz: Die Union hat die Idee, Beamte in das Rentensystem einzubeziehen, sofort kassiert.

Klüssendorf: Es ist wichtig, dass klar wird, dass die SPD auch jenseits des Koalitionsausschusses und von praktischer Regierungspolitik weiter denkt. Im politischen Berlin werden solche Forderungen schnell abgeräumt. Ich finde, wir brauchen da mehr Offenheit. Die Antwort auf steigende Beiträge für die Sozialversicherungen kann nicht sein, dass die Leute länger arbeiten sollen oder ihnen Leistungen gekürzt werden.

taz: Eine Regierungspartei, die etwas fordert, was sie nicht umsetzen kann – klingt enttäuschend.

Klüssendorf: Man muss es erklären. Wir brauchen für unsere Projekte gesellschaftliche Mehrheiten. Davon sind wir momentan weit entfernt. Wir müssen dafür kämpfen, dass sich das ändert.

taz: Den Job, die SPD pur zu vertreten, werden Sie machen müssen.

Klüssendorf: Ich habe den Vorteil, nicht in Regierungsverantwortung zu sein. Aber ich werde meine Spielräume nicht auf Kosten des Koalitionspartners nutzen. Das habe ich mir fest vorgenommen.

taz: Was heißt das?

Klüssendorf: Den Satz „Die Union hindert uns daran, die Welt zu verbessern“, werden Sie von mir nicht hören. Ich werde unsere Botschaften positiv und offensiv für uns formulieren.

taz: Ist die Linksfraktion Partner oder Gegner?

Klüssendorf: Wir haben im Bundestag nur einen Gegner, die AfD. Sonst niemanden. Wir arbeiten mit allen demokratischen Fraktionen zusammen.

taz: Dann ist Jan van Aken mit seinem „Tax the rich“-T-Shirt ein guter Motivator für die SPD?

Klüssendorf: Je mehr Menschen diese Inhalte vertreten, desto besser.

taz: Sind linke Mehrheiten für Sie ein Ziel?

Klüssendorf: Das sollten wir im Auge behalten. Wir wollen nicht für alle Ewigkeit mit der Union regieren.

taz: Lars Klingbeil hat kürzlich gesagt, die SPD sei in der Mitte, nicht links. Hat er das mit Ihnen abgesprochen?

Klüssendorf: Das muss er nicht mit mir abstimmen. Die SPD hat den Anspruch, eine Volkspartei zu sein – und ist damit breit aufgestellt. Unsere Bandbreite reicht von der Mitte bis nach links. Klar ist: Wir sind eine linke Volkspartei.

Werden Sie in Zukunft noch Zeit für Fußball haben?

Klüssendorf: Ich werde versuchen, mir immer Termine für den FC Bundestag zu blocken.

taz: Auf welcher Position spielen Sie da?

Klüssendorf: Ich habe zuletzt offensiv zentral gespielt. Aber eigentlich bin ich linker Verteidiger.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!