SPD-Forderungen zur Forschung: Die Wende vorbereiten
Mehr Umweltforschung und Möglichkeiten zur Mitentscheidung der Bürger bei der Forschungsplanung –das fordert die Bundestagsfraktion der SPD.
BERLIN taz | In die deutsche Forschungspolitik kommt Bewegung. Die SPD rückt von der reinen Technologieorientierung ab und setzt verstärkt auf eine Wissenschaft, die sich um die großen Probleme von Gesellschaft und Umwelt kümmert.
Die Bürger sollen sogar aktiv in die Forschungsplanung einbezogen werden. Die Rufe von zivilgesellschaftlichen Organisationen nach mehr Partizipation in der Wissenschaft sind bei den Sozialdemokraten auf offene Ohren getroffen.
Das Positionspapier „Ein modernes Land braucht starke Forschung“, das die SPD-Bundestagsfraktion Mitte März vorgelegt hat, umreißt die Konturen einer womöglich künftigen SPD-Forschungspolitik nach der Bundestagswahl im September. Mehr Geld für die Wissenschaften wird in Aussicht gestellt. So sollen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung mit einem Anteil von jetzt 2,8 Prozent am BIP bis 2020 auf 3,5 Prozent gesteigert werden. Davon müsste der Bund jährlich 2,3 Milliarden Euro zusätzlich aufbringen.
„Vor allem brauchen wir eine bessere Finanzierung der Universitäten“, sagt der forschungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, René Röspel. „Ihre Situation ist prekär, obwohl sie der Sockel unseres Wissenschaftssystems sind.“ Ohne eine Grundgesetzänderung zur Neusortierung der Bildungskompetenzen von Bund und Ländern wird das nicht gehen.
Neu an dem SPD-Papier ist die klare Aussage zu einer inhaltlichen Neuorientierung des Wissenschaftssystems. „Die großen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen unserer Zeit, von der Energiewende über die Modernisierung der sozialen Sicherungssysteme, von den Folgen des Klimawandels bis zur Zukunft der Mobilität“, verlangten sowohl nach neuen interdisziplinären Forschungsansätzen als auch nach „gesellschaftlicher Rückkopplung“.
Bürger-Beteiligung stärken
Von einer „Neuausrichtung“ und „klaren Akzentsetzung unter dem Leitbild einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung“ ist die Rede. Gebraucht würden „neues Orientierungswissen“ und „integrierte Lösungsstrategien“, etwa Stärkung der Umweltforschung und der sozialökologischen Forschung.
Um auch Nichtwissenschaftler besser am Forschungsprozess zu beteiligen, strebt die SPD die probeweise Einrichtung eines „Bürger-Zukunftsfonds“ an, aus dem „Forschungsvorhaben im Bereich der Forschung für eine nachhaltige Entwicklung unter Beteiligung der Zivilgesellschaft gefördert werden können“.
Vor allem soll es dabei um Themen gehen, „die sonst nicht in den Fokus des Forschungsförderungssystems kommen“. Partizipativen Formen einer Bürgerwissenschaft wollen die Sozialdemokraten den Weg ebnen. „Gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Akteuren muss die Forschungspolitik neue Wege gehen, um das hier vorhandene Wissen und Engagement einzubinden“, heißt es in dem Papier.
„Zwingend notwendig“
Beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der vor einem Jahr ein Memorandum zur „Nachhaltigen Wissenschaft“ vorgelegt hatte, ist man von den neuen Tönen angetan. BUND-Vorsitzender Hubert Weiger bezeichnete es gegenüber der taz als „positiv, dass im SPD-Positionspapier zentrale Aussagen enthalten sind, die wir für eine künftige Forschungspolitik für zwingend notwendig halten“.
Dazu zähle, dass „neue gesellschaftspolitische Problemlagen unserer Zeit auch neue Forschungsansätze erfordern“. Auch die Einrichtung eines Bürgerzukunftsfonds, der von der Zivilgesellschaftlichen Plattform „Forschungswende“ vorgeschlagen worden war, wird von Weiger begrüßt.
Skeptisch blickt der Umweltschützer auf die finanziellen Grundlagen des Kurswechsels. Weiger: „Das verlangt Umschichtungen in den Forschungsausgaben, zu denen aber nichts gesagt wird.“ Die müssten, wenn ernst gemeint, beträchtlich sein. So gibt die Bundesregierung in den Jahren 2010 bis 2014 vier Milliarden für die Energieforschung und zwei Milliarden Euro für die Bioökonomie aus – aber nur 40 Millionen Euro für die jetzt so favorisierte Sozial-Ökologische Forschung (SÖF).
Entscheidend ist, was bleibt
Auch Thomas Korbun, Geschäftsführer des Instituts für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und Sprecher des Netzwerks der ökologischen Forschungsinstitute (EcorNet), erkennt in dem SPD-Papier eine „begrüßenswerte Modernisierung“: „Es ist eine deutliche Weiterentwicklung, weil nicht mehr nur auf die Verbesserung der technologischen Leistungsfähigkeit gezielt wird.“ Entscheidend ist für ihn, ob diese Frühjahrsblüten auch bis zum Herbst reifen.
Er erinnert sich an Erwartungen an einen ähnlichen Forschungsaufbruch, der sich 1998 an die SPD-Ministerin Edelgard Bulmahn richtete. „Aber heraus kam damals nur wieder die klassische Technologieförderung.“ Dort zeigte sich die „Macht der großen Forschungsorganisationen“.
Ob die Wende diesmal gelingt, hängt mithin nicht allein vom Wahlergebnis ab.
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