Mitentscheiden bei Forschungsfragen: Bürgerwissenschaft in der Nische
Wissenschaftsläden wollten mal eine Brücke sein zwischen Gesellschaft und Hochschule. In Potsdam versuchen Initiativen einen neuen Aufbruch.
BERLIN taz | Ihr Anspruch war groß: Wissenschaftsläden wollten eine Brücke bauen zwischen der Gesellschaft und den Hochschulen und Forschungslabors. Davon ist in Deutschland nicht viel übrig geblieben. Während neue Ansätze der Bürgerwissenschaft (Citizen Science) einen Aufschwung erleben, fristet das knappe Dutzend der deutschen Wissenschaftsläden ein Nischendasein. Jetzt kommt ein Schub aus dem Osten. In Potsdam beginnt Freitag das seit langer Zeit erste Treffen von Wissenschaftsläden im deutschsprachigen Raum. Das Motto der Tagung: „Kennenlernen, Erfahrungen tauschen, Pläne schmieden“.
Bei dem Treffen im Wissenschaftsladen Potsdam stellen unter anderem die beiden Berliner Projekte kubus von der TU Berlin und basis.wissen.schafft vom Tempelhofer Feld, die Wissenschaftsläden in Wien und in Zittau sowie der Science Shop in Vechta ihre aktuelle Arbeit vor. Auf der Tagesordnung steht auch die Gründung neuer Wissenschaftsläden und „Anlaufstellen zivilgesellschaftlichen Engagements in der Wissenschaft“ (AZEW), wozu etwa FabLabs, Fabrikationslabore für 3-D-Druckerei, gehören.
„Wir wollen dabei auch über unser Selbstverständnis diskutieren, unser Mission Statement“, sagt Mario Parade vom gastgebenden Wissenschaftsladen Potsdam. Den gibt es seit drei Jahren als gemeinnützigen Verein, finanziert aus Spenden und Projektmitteln. Damit werden regelmäßige Repair Cafés organisiert, Schulprojekte mit Schwerpunkt einer alternativen MINT-Bildung (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) und seit neuestem auch das hochtechnologische FabLab machBar als „kreative Orte des Selbermachens“.
FabLabs boomen derzeit in Deutschland. 40 bis 50 gibt es mittlerweile. Sie sehen sich als Teil der „Maker-Bewegung“, die vor allem die Technologie des 3-D-Drucks zur Herstellung eigener Produkte nutzt.
Anspruch des Potsdamer Wissenschaftsladen ist es, „gesellschaftsrelevante Themen wie Re-, Up- und Downcycling, Stadtökologie, Konsum, Ressourcenverbrauch, Lebensstile- und Lebensformen, Produktionsprozesse, Open Source, Open Science, politische Partizipation und herrschaftsfreie Organisationsformen im Werkstattkontext zu diskutieren“ und Konzepte dazu zu entwickeln.
Entstanden aus der Anti-AKW-Bewegung
Ähnlich sieht es Frank Becker, wenngleich mit einem anderen historischen Hintergrund. Becker leitet seit 12 Jahren den Wissenschaftsladen kubus an der TU Berlin, eine der erfolgreichsten Einrichtungen in der Szene. „Wissenschaftsläden entstanden aus der Anti-AKW-Bewegung, der kritischen Wissenschaft und hatten prinzipiell einen demokratisch-gesellschaftsbezogenen und auch wissenschaftskritischen Ansatz“, erklärt er. „Sie sind transdisziplinär, das heißt auf gleichberechtigte Teilhabe der Zivilgesellschaft ausgerichtet, auch was die Formulierung der Forschungsfragen und die Analyse der Ergebnisse anbelangt.“ Neue Bewegungen wie Citizen Science haben für Becker diese kritische Rahmung noch nicht erreicht.
Anders als die meisten anderen Wissenschaftsläden in Deutschland , aber ähnlich wie in den Niederlanden, hat kubus eine Basisfinanzierung durch die Hochschule, mit der zwei wissenschaftliche Mitarbeiter und zwei Studenten-Stellen bezahlt werden können. Hinzu kommen Stellen aus befristeten Projektmitteln, bis April waren das drei weitere.
Zu den Erfolgen von kubus zählt Becker die „Begleitung der Bürgerinitiative für den Erhalt der Bäume am Landwehrkanal“ mit wissenschaftlicher Unterstützung“. Wirkung hatte auch das Engagement im Recycling-Bereich: „Ausgehend von unserm ReUse-Computerprojekt (2001 bis 2005) gehört kubus heute in Deutschland zu den Einrichtungen, die in Fragen von Wieder- und Weiterverwendung gehört werden.“
Boom in der 1980er Jahren
Auch Norbert Steinhaus vom Wissenschaftsladen Bonn gehört zu den „Altgedienten“. Er kann sich noch an die 80er Jahre erinnern, als es in Deutschland 25 bis 30 Wissenschaftsläden gab. Die heutige Liste ist bedeutend kürzer: Hannover, Dortmund, Tübingen gehören noch dazu. München, Gießen und Kiel sind in den letzten Jahren wieder verschwunden.
„Die Wissenschaft muss sich den Bürgern öffnen, war damals das Ziel“, sagt Steinhaus. „Das hat nicht geklappt, denn eine Institutionalisierung der Wissenschaftsläden ist in Deutschland nicht erreicht worden.“
Durch erfolgreiches Management ist es dem außeruniversitären Wissenschaftsladen in Bonn immerhin gelungen, heute 30 Mitarbeiter in 10 Projekten zu beschäftigen, darunter Bildungsdienstleistung und auch die Herausgabe einer Zeitung mit Stellenangeboten.
Bonn ist auch der Brückenkopf für die europäische Szene der Wissenschaftsläden. Vor zwei Jahren organisierte Steinhaus die internationale „Living Knowledge“-Konferenz am Rhein. „Wissenschaftsläden gibt es in vielen europäischen Ländern, in sehr unterschiedlichen Trägerformen“.
Der Anfang war in Holland
Neben Holland, dem Ursprungsland der „Wetenschapswinkel“ ist die Szene auch in Großbritannien weit entwickelt, durch ein stärkeres „Public Engagement“ der britischen Hochschulen. Graswurzelansätze, die von unten nach oben wachsen wollen, habe es weiter schwer.
Diese Erfahrung machte auch Katrin Schwahlen, die mit ihrer Gruppe basis.wissen.schafft drei Jahre lang einen Wissenscontainer auf dem Tempelhofer Feld des ehemaligen Berliner Zentralflughafens betrieb. „Wir wollten mit unserm Angebot die anderen Pionierprojekte in Tempelhof mit Wissen versorgen“, berichtet Schwahlen. Etwa die Urban-Gardening-Aktivisten mit Erkenntnissen der ökologischen Agrarforschung, oder Solartechniken zur autonomen Energieversorgung.
„Das hat aber in dieser Form nicht geklappt“, muss die Container-Frau rückblickend bilanzieren. Die Aufarbeitung der Wissensbestände durch den kleinen gemeinnützigen Verein war zu aufwendig.
Hinzu kam die Kündigung des Wissenscontainers durch das Tempelhofer Standort-Management zum Jahresende. Von daher hat Katrin Schwahlen, die durch ein kleines Netzwerk (wissnet) das Potsdamer Treffen mit angestoßen hat, hohe Erwartungen an die Zusammenkunft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahl in den USA
Sie wussten, was sie tun
Obergrenze für Imbissbuden
Kein Döner ist illegal
SPD nach Ampel-Aus
Alles auf Olaf
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
CO₂-Fußabdruck von Superreichen
Immer mehr Privatjets unterwegs