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SPD-EXPERTEN PLANEN DIE NEUE SOZIALHILFE. DER KANZLER NOCH NICHTLänder kürzen für Schröders Mitte

Parteien können komplizierte Gebilde sein. Zum Beispiel die SPD. Zeitgleich wird dort an zwei verschiedenen Stellen über das Gleiche gesprochen – über die nächste Legislaturperiode. Aber die beiden sozialdemokratischen Gremien arbeiten nicht zusammen. Das wird in der Berliner Parteizentrale sogar ausdrücklich betont.

Da ist zunächst Kanzler Gerhard Schröder, der seinen „lieben Genossinnen und Genossen“ in einem Brief an die SPD-Gliederungen und -Amtsträger schrieb, dass er zusammen mit Präsidium und Vorstand der SPD über das „Regierungsprogramm 2002–2006“ beraten will. Ein kluger Titel – wenn man ihn genau nähme, müsste er eigentlich „Wahlprogramm“ heißen. Aber das hätte die Möglichkeit eingeschlossen, an der Urne zu scheitern. Ein „Regierungsprogramm“ hingegen tut so, als gäbe es keinen Kanzlerkandidaten Stoiber. Doch was als „Regierungsprogramm“ am 23. April von der SPD-Parteispitze beraten werden soll, bleibt im Erbauungsbrief des Genossen Schröder vage. So soll zum Beispiel „die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit das wichtigste Ziel unserer Politik“ bleiben. Diesen Satz könnte Kanzlerkandidat Stoiber sofort übernehmen. Insofern hat Schröder tatsächlich ein „Regierungsprogramm“ skizziert, wenn auch nicht unbedingt ein erkennbar sozialdemokratisches.

Wo es Schröder an neuen Ideen fehlt, wird das andere Gremium deutlich konkreter, das nur vier Tage früher, am 19. April, tagen wird. Dann wollen die SPD-Sozialstaatssekretäre aus den Ländern beraten, wie sich Arbeitslosen- und Sozialhilfe am besten zusammenlegen lassen. Dieser Plan hat Vorteile: Beide Leistungen sind steuerfinanziert, beide werden unbefristet gewährt. Es kostet Milliarden, sie getrennt zu verwalten. Also plädieren die SPD-Sozialministerien in den Ländern für ein „armutsfestes Eingliederungsgeld“, wie sie das in ihrem internen Diskussionspapier nennen. Aber was ist „armutsfest“? Entkleidet man den Sachverhalt von vielen ablenkenden Formulierungen, läuft es darauf hinaus, die Arbeitslosenhilfe auf das Niveau der Sozialhilfe abzusenken.

So erhält Schröders Brief doch eine Botschaft, wenn auch ungeplant: Erstmals in ihrer Geschichte führt die SPD einen Wahlkampf, in dem sie nicht viel mehr anzubieten hat als eine Kürzung. Man könnte das die „neue Ehrlichkeit“ nennen. Wahrscheinlicher ist, dass sich das Kosten-Nutzen-Kalkül der Sozialdemokraten verändert hat. Vielleicht gehen ja 1,48 Millionen Wähler verloren, die Arbeitslosenhilfe erhalten. Aber dagegen steht die „neue Mitte“, die Arbeitslose ohnehin für Faulenzer hält. Zumindest die SPD scheint zu glauben, dass bei den Sozialstaatsskeptikern mehr als 1,48 Millionen Stimmen auf sie warten. ULRIKE HERRMANN

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