SPD-Bundesparteitag: Die große Harmonie
Saskia Esken und Lars Klingbeil sind das neue SPD-Führungsduo. Kevin Kühnert wird Generalsekretär. Alles ohne Kontroversen.
Vor einer Woche hat die SPD auf einem Kurzparteitag mit fast 99 Prozent für den Koalitionsvertrag votiert. Der reguläre Bundesparteitag am Samstag sollte eigentlich drei Tage dauern. Doch pandemiebedingt ist vieles anders. Der zugige Saal im Berliner CityCube ist spärlich besetzt. Gut 500 Delegierte sind online zugeschaltet. Alles fällt eher kurz aus. Der Parteitag ist abends zu Ende, der Leitantrag umfasst nur acht Seiten.
„Ohne kontroverse Debatten gibt es keinen Fortschritt“ sagt Norbert Walter-Borjans leise mahnend in seiner letzten Rede als SPD-Chef. Der 69-Jährige hat auf eine Wiederwahl verzichtet. Das ist eine generöse Geste. Aber es ist ja auch lebensklug, zu gehen, wenn gerade alles bestens läuft.
Auf Kontroversen hat die Partei aber keine Lust. Auf eine lange Phase des Niedergangs, den Streit um die Groko, folgten innere Einigung, Wahlkampf, Wahlsieg, Regierungsbildung. Nun herrscht eine Mischung aus Zufriedenheit und Erschöpfung. Sarah Ryglewski, neu ernannte Staatsministerin für Bund und Länder, sagt: „Wir haben ja eine Neigung dazu, schlechte Laune zu haben. Also lasst uns den Moment jetzt genießen.“ Damit trifft sie die Stimmung.
Esken lobt Einigkeit der Partei
Saskia Esken erinnert an die „Zeiten, als der Niedergang der Sozialdemokratie unaufhaltsam schien.“ Diese Zeiten sind zwar erst ein paar Monate her, hier sollen sie wie ein ferner Alptraum scheinen. Man will es harmonisch. Esken lobt die Einigkeit der Partei und den Wahlerfolg. Sie wird mit 76,7 Prozent als Parteichefin wiedergewählt, ziemlich genau das Ergebnis von 2019. Es ist angesichts des grandiosen SPD-Sieges ein recht bescheidenes Resultat.
Lars Klingbeil bekommt mit 86,3 fast zehn Prozent mehr als Esken. Das ist kein Votum für den Parteirechten und gegen die Parteilinke. Es drückt eher Sympathien aus. Klingbeil hat seit 2017 als Generalsekretär viel für den inneren Zusammenhalt der Partei getan. Dass es in der SPD keine Zerwürfnisse gab, als der Wahlsieg nur eine ferne Möglichkeit war, ist auch sein Verdienst. Klingbeil wirkt anders als Esken lässig, kommunikativ, er ist everybody's darling.
Klingbeil inszeniert sich als Versöhner
Klingbeil, Sohn eines Soldaten, mit einer für SPD-Rechte typischen innigen Beziehung zur Bundeswehr, ist mit 43 Jahren der jüngste SPD-Chef seit Langem. Er kann ausgleichen. Zu Hause in Niedersachsen ist er im Schützenverein, kann aber auch mit Hipstern in Berlin. Das ist seine Vorstellung von Volkspartei 2021.
Auch privat pflegt er Kontakte zu unterschiedlichen Leuten. Er ist mit Kevin Kühnert befreundet, auch wenn es Freundschaft in der Politik nur in Anführungszeichen gibt. Und er ist mit Gerhard Schröder befreundet, dem Altkanzler. Klingbeil hat schon als Student für Schröder gearbeitet und war auf dessen Hochzeit. Schröder und Kühnert sind so etwas wie die äußersten Pole in der SPD. Es ist typisch für Klingbeil, den Ausgleichenden, mit beiden gut zu können.
Der neue Parteichef inszeniert sich als Versöhner – allerdings mit eingestreuten klaren Ansagen, ja Warnungen. Die SPD habe nach 2017 aus ihren Fehlern gelernt, jetzt müsse man aus dem Sieg lernen. Die SPD dürfe sich sich „nicht um sich selbst drehen“, sagt er. Kein Flügelstreit, kein Spalt zwischen Scholz und SPD, so seine Forderung.
Aufrechte wirken wie Partykiller
Dass Partei und Regierung nicht das Gleiche sind, vernebelt der neue Vorsitzende. Einer der gravierenden Fehler vor 2017 war ja gerade, dass die SPD völlig in der Regierungslogik verschwunden war. Deshalb wirkte sie im Wahlkampf 2017 so ratlos, blass und programmatisch leer.
Ein paar Aufrechte erinnern an das, was fehlt. Dass die SPD doch die sachgrundlose Befristung von Jobs abschaffen will und die Ampel diese nur einschränken wird. Oder dass es noch immer Widerstand gegen die Bewaffnung der Bundeswehr mit Drohnen gibt. Aber das wirkt ein bisschen wie Partykiller. Für Meinungsstreit interessiert sich an diesem Tag niemand so recht. Stattdessen träumt Klingbeil von einer SPD-Hegemonie: „Wir stehen an der Schwelle zu einem sozialdemokratischen Jahrzehnt.“ sagt er. Der Parteitag hört es gern. Auch wenn das angesichts der wankelmütigen Wählerschaft eine äußerst kühne Prognose ist.
Kühnert will Anwalt der Partei sein
Es geht nicht um das Ringen um Zukunftsstrategien, sondern um die reibungslose Abwicklung der personellen Rochaden. Fast alles läuft glatt. Thomas Kutschaty, der für die SPD die Wahl in NRW gewinnen soll, wird mit 85 Prozent zum neuen Parteivize, Kevin Kühnert mit knapp 78 Prozent zum Generalsekretär gewählt. Das ist, angesichts der Polarisierung, für die der Ex-Juso-Chef stand, ein ordentliches Ergebnis.
Der neue Job ist ein Scharnier zwischen Basis und Regierung. Auch Kühnert will von einer Frontstellung zwischen Kanzler und Partei nichts wissen, skizziert aber Aufgaben für die Partei. „Wir sollten nicht verschämt Einwanderungsgesellschaft sein“ sagt er. Deutschland werde eine halbe Million Zuwanderer brauchen, das sei noch nicht von allen verstanden worden. Das Konzept Bürgerversicherung müsse nachgeschärft werden. „Ich will als Generalsekretär Anwalt der Partei sein“, so Kühnert.
Der 32-jährige Berliner hat eine raketenartige Karriere gemacht: Jusochef, Anführer der No-Groko-Bewegung, Vize-Parteichef, jetzt Bundestagsabgeordneter und Generalsekretär. Und damit Machtfaktor in der Regierungspartei. Den Job des Generalsekretärs wird Kühnert offensiv gestalten. Erkennbar ist auch das Rollenspiel zwischen Klingbeil und Kühnert. Man widerspricht sich nicht, setzt im Spannungsfeld Regierung-Partei aber andere Nuancen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen