SPD-Affäre: Wirbel um dubiose Mail
Der Hamburger SPD-Abgeordnete Bülent Ciftlik steht bereits zu Prozessauftakt mit dem Rücken zur Wand: Ein entlastendes Beweismittel dürfte eine Fälschung sein.
Die Wende im Prozess fand statt, bevor dieser überhaupt so richtig begonnen hatte. Wie in der Auftaktverhandlung vor dem Amtsgericht Hamburg-St. Georg am Freitag bekannt wurde, hat im Strafverfahren gegen den ehemaligen Hamburger SPD-Sprecher Bülent Ciftlik die Mitangeklagte Nicole D. bereits vor zwei Wochen gegenüber der Staatsanwaltschaft ein umfangreiches Geständnis abgelegt. Dabei hat sie offenbar auch Ciftlik belastet. Nicole D. ist angeklagt, mit dem Türken Kenan T. 2008 eine Scheinehe zu dem einzigen Zweck eingegangen zu sein, diesem einen Aufenthaltstitel zu verschaffen.
Ciftlik wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, die Eheschließung eingefädelt und dafür Geld entgegengenommen zu haben. Bei einer Verurteilung wegen der Beihilfe zum Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz drohen ihm bis zu drei Jahren Haft.
Unmittelbar vor Prozessbeginn überschlugen sich die Ereignisse. Am Donnerstagmorgen war - nach taz-Informationen in der Pförtnerloge der Staatsanwaltschaft - der Ausdruck einer angeblich von Nicole D. verfassten Mail abgegeben worden, in der diese ihr Geständnis widerruft. Doch bei dem Papier handelt es sich nach einer ersten Einschätzung der Staatsanwaltschaft um eine Fälschung.
Anklage: Die Staatsanwaltschaft hatte Anfang Januar Anklage gegen Ciftlik erhoben. Seitdem lässt der 37-Jährige sein Bürgerschaftsmandat ruhen.
Verfahren: Die Anklageschrift umfasst 17 Seiten. Im Verlauf des Verfahrens will die Staatsanwaltschaft neben acht Zeugen auch 26 Urkunden und sogenannte Augenscheinsobjekte als Beweismittel präsentieren.
Ermittlungen: Auch wegen der gefälschten "Polizeidokumente" ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Ciftlik. Der Hauptvorwurf: Verleumdung.
Noch am Nachmittag wurde Nicole D. vernommen. Sie bestritt dabei, die Mail verfasst zu haben. Auch eine erste Durchsicht ihres Computers ergab keine Hinweise darauf, dass die Frau die in ihrem Namen verfasste Mail tatsächlich aufgesetzt hat.
Sollte das Papier eine Fälschung sein, wäre es nicht die erste in den Ermittlungen gegen Ciftlik. Im November hatte die taz zwei Polizeivermerke als Fälschung enttarnt, nach deren erfundenem Inhalt zwei SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Ciftlik vor der Polizei angeschwärzt haben sollen, wiederholt Scheinehen gestiftet zu haben. Hier vermuten die Ermittler Ciftlik als Urheber der Fälschungen und haben im März seine Wohnung und seinen PKW durchsucht.
Ebenfalls am Donnerstag hatte die Staatsanwaltschaft Ciftlik vernommen. Danach kam es zum offenen Bruch zwischen Ciftlik und seinem Verteidiger Thomas Bliwier. Der Anwalt legte wenige Stunden vor dem Verfahrensauftakt sein Mandat mit sofortiger Wirkung nieder.
Da Ciftliks neue Rechtsbeistände nur eine Nacht lang Zeit hatten, sich in die Verfahrensakten einzuarbeiten, wurde der Prozess am Freitag nach der Verlesung der Anklage abgebrochen und auf den 30. April vertagt. Auch Kenan T. hatte nach dem Geständnis von Nicole D. in der vergangenen Woche noch kurzfristig eine weitere Strafverteidigerin engagiert.
Mit einem Geständnis von Nicole D. bräche gleichzeitig Ciftliks Prozessstrategie zusammen. Der 37-Jährige hatte wiederholt behauptet, die Ehe zwischen Nicole D. und Kenan T. sei eine Liebesheirat gewesen und auch vollzogen worden. Dass es auch zwischen Ciftlik und seiner langjährigen Bekannten zum totalen Bruch gekommen ist, deutete deren Verteidiger Johann Schwenn an. Er beantragte - erfolglos - die Abtrennung des Verfahrens gegen seine geständige Mandantin, da ihr eine "weitere Schicksalsgemeinschaft" mit Bülent Ciftlik "nicht zuzumuten" sei.
Während sich weder Ciftlik noch sein neues Verteidiger-Team am Freitag zu dem Verfahren äußern wollten, spricht die Staatsanwaltschaft von einer "erdrückenden Beweislast" gegen Ciftlik und seine beiden Mitangeklagten. Wie diese aussieht, wird sich am 30. April zeigen.
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