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"S 21"-AbstimmungOben oder unten ohne

Am Sonntag lässt sich ein Experiment bestaunen. 7,6 Millionen wahlberechtigte Baden-Württemberger dürfen per Volksentscheid über das Bahnprojekt abstimmen.

Das Votum dieser Demonstranten dürfte einstimmig ausfallen. Bild: dpa

STUTTGART taz | Für Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann war es ein "Experiment". So nannte der Grünen-Politiker kürzlich in einer Landtagsdebatte die Situation, trotz großen Dissenses bei einem so wichtigen landespolitischen Thema wie Stuttgart 21 eine Koalition eingegangen zu sein. Und wenn es nach ihm ginge, könnte das Experiment nach Sonntag als gelungen bezeichnet werden.

Dann, wenn 7,6 Millionen wahlberechtigte Baden-Württemberger über das Bahnprojekt abstimmen dürfen. Doch die eigentliche Belastungsprobe für Grün-Rot kommt womöglich erst nach der Volksabstimmung. Natürlich habe der Konflikt um Stuttgart 21 die Koalition belastet, sagte Kretschmann in dieser Woche.

Während die Grünen gegen den Bau des Tiefbahnhofs sind, ist die SPD mehrheitlich dafür. Schon während der Koalitionsverhandlungen im April knirschte es mächtig bei diesem Thema. Seitdem sorgten vor allem der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann und der SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel für Schlagzeilen. Sagte der eine was, tobte hinter den Kulissen die andere Fraktion - und umgekehrt.

Entscheidung im Grundsatzkonflikt

Doch am Sonntag soll Schluss damit sein. Volkes Stimme soll sprechen. "Dann ist an der Sache ein Knopf dran", so Kretschmann. "Der Grundsatzkonflikt soll entschieden werden." Ähnlich äußerte sich auch sein Vize, Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD). "Die Stimmung ist gut, weil wir froh sind, dass Stuttgart 21 am Sonntag endgültig entschieden ist."

Schaut man sich allerdings die denkbaren Szenarien der Volksabstimmung an, wird auch nach Sonntag wenig endgültig entschieden sein. Sollte es tatsächlich zum Ausstieg kommen, wofür ein Zustimmungsquorum von einem Drittel erreicht werden müsste, kämen auf das Land vermutlich harte Auseinandersetzungen mit der Deutschen Bahn und womöglich auch mit den anderen Projektpartnern zu. Stadt und Region Stuttgart haben bereits Schadenersatzansprüche angekündigt.

Problematisch könnte dann sein, dass die S-21-Befürworter in den SPD-Reihen die von der Bahn genannten Ausstiegskosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euro im Vorfeld für nachvollziehbar erklärt haben. Bei einem Ausstieg müssten sie als Vertreter des Landes jedoch bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung so wenig Schadenersatz wie möglich heraushandeln. Warum sie dann also womöglich auf die Argumentationslinie der Grünen umschwenken, dürfte schwierig zu erklären sein.

Die Grünen setzen auch auf die Kostenkarte, wenn die Mehrheit am Sonntag gegen den Ausstieg stimmen sollte. Sie sind davon überzeugt, dass die Ausgaben bereits am vereinbarten Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro kratzen. Die SPD bestreitet das. Fest steht, dass das Land keine weiteren Kosten darüber hinaus tragen will, ebenso wenig die Stadt Stuttgart und der Bund. Doch wer zahlt dann die Rechnung?

Für diesen Fall gilt eine Sprechklausel, die vorsieht, dass alle Projektpartner noch einmal miteinander verhandeln. Wie die Sprechklausel aber juristisch genau auszulegen ist, auch darüber wird bereits jetzt heftig gestritten.Die größte Belastung aber dürfte auf die Koalition zukommen, wenn eine Mehrheit für den Ausstieg stimmen sollte, das Quorum aber nicht erreicht wird. Ministerpräsident Kretschmann wird nicht müde zu betonen, dass für ihn die Verfassung und damit das Quorum gelten würden.

Die Grünen akzeptieren das Votum

Doch der Druck vonseiten der Bewegung und der grünen Basis dürfte dann enorm wachsen. Gerade für die Grünen wäre es zweifellos die schwierigste Situation. "Für die Landtagsfraktion steht fest, dass wir das Votum auf jeden Fall akzeptieren", sagte die Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann der taz. Um dann aber anzufügen: "Wie die Bürgerinnen und Bürger das Votum interpretieren, das ist jedem selbst überlassen."

Hinter vorgehaltener Hand wird manch einer in den Koalitionskreisen wesentlich deutlicher. Bei einem Votum für den Ausstieg, aber einem womöglich nur knapp verfehlten Quorum könne man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, heißt es. Sozialdemokraten lehnen sich öffentlich hingegen zurück und berufen sich auf "klare Spielregeln". "

Es muss klar sein, dass die Regierung künftig mit einer Stimme spricht", sagte Fraktionschef Claus Schmiedel zur taz - und warnt vor Querschüssen. "Wenn man jetzt einen neuen Sprengsatz legen will, dann hält das die Koalition nicht aus. Schmiedels Kollegin Sitzmann fasst es deshalb so zusammen: "Je klarer das Ergebnis, desto besser ist es für den weiteren Verlauf."

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15 Kommentare

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  • HS
    Hari Seldon

    @Belsaza007

     

    Noch ein letzter mal (Der Spuk ist vorbei: Sogar in Stuttgart gibt es eine Mehrheit für S21). Die Antwort wurde in einem Leserkommentar (TAZ) schon gegeben ("Auf Wunsch des MPs"). W. Kretschmann (bekennender S21-Gegner, MP in BaWü) hat den Spiegel-Artikel so kommentiert, dass die Landesregierung die Akte bis jetzt NICHT finden konnte, aber man sucht weiter, und hofft, dass die Akte gefunden wird. Vielleicht sollten Sie nicht alles, was im Spiegel steht als bare Münze nehmen....

  • B
    Belsaza007

    @Hari

     

    Nur mal zu dem Punkt Kosten:

     

    Will ich hier auf einen anderen taz Artikel verweisen

    http://www.taz.de/Heimlichtuerei-um-Stuttgart-21-Kosten/!81329/

     

    "Die baden-württembergische Landesregierung hat offenbar schon 2009 unter Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) enorme Mehrkosten bei "Stuttgart 21" erwartet. Das Nachrichtenmagazin Spiegel berichtet in seiner neuen Ausgabe, dass Landesbeamte des damals zuständigen Innenministeriums im Herbst 2009 auf Grundlage von Bahn-Unterlagen mit Gesamtkosten von mindestens 4,9 Milliarden Euro kalkulierten. Für wahrscheinlicher hätten sie sogar einen Betrag von bis zu 6,5 Milliarden Euro gehalten. ..."

     

    Dies sind reine projektierte Kosten. Da geht es gar nicht um S21 oder K21. Das sind reine projektierte Kosten im Falle eines Baus von S21.

    Alle, aber wirklich alle harten Zahlen sprechen gegen S21.

    Punkt.

  • HS
    Hari Seldon

    @jan: Die Protokolle der Schlichtung zeigen ein anderes Bild. S21 beinhaltet 4 (vier) Bahnhöfe und 60 km Trassen: S21 ist eigentlich die Modernisierung des Bahnknotens Stuttgart, und nicht nur ein neuer Bahnhof. Der Tiefbahnhof selbst kostet nur ca. 850 Mio Euro. Der Kopfbahnhof in der bisherigen Form hat schon die Kapazitätsgrenze erreicht. Das Konzept K21 ändert sich fast in Stundentakt, hat keine Planungen, Genehmigungen, keine Finanzierungen (sogar Herr Arnoldi von der Gegnerseite in der Schlichtung hat sich so geäussert). Ausser die Strassenclowns will niemand K21 finanzieren und bauen lassen. Bei der Schlichtung hat sich auch herausgestellt, dass das Verwaltungsgericht schon anno K21 und S21 verglichen hat, und das Gericht S21 als bessere Variante eingestuft hat. Falls K21 nur annähernd die gleiche Leistung anbieten will als S21, wird K21 definitiv teurer (s. die Protokolle und Aufnahmen der Schlichtung). Dazu kommt, dass Teile von K21---laut Gerichtsurteile (wurden in der Schlichtung auch sehr detailliert diskutiert)---nicht genehmigungsfähig sind. Die Bevölkerung im Neckartal will keine zusätzliche Schienen sehen. So sehen die Fakten aus.

     

    @daniel pressler: Falls der Vertrag kündbar wäre, hätten die Grünen schon längst gekündigt... Aber die neu eingestellten 59 Parkschützer konnten nach mehrmonatigen Wühlen noch nichts greifbares finden.

  • J
    Jan

    *seufz* Es will kein Ende nehmen ...

    @ Hari: K21, so wurde in der Schlichtung festgestellt, ist wesentlich günstiger und mindestens so leistungsfähig wie der Tiefbahnhof. Und die Lärmbelästigung im Schlosspark kommt primär von den Autos auf der sechsspurigen Cannstatter Straße.

    Im Übrigen hat die Bahn erst dann "den Baurecht", wenn alle fünf Abschnitte planfestgestellt sind. Da fehlen noch zwei!

    Ich stimme mit JA.

  • V
    vic

    @ dorian,

    bleib einfach weg, dann

    must du dir keine Sorgen machen, wie du wieder rauskommst.

     

    @ Opa Kolja,

    Dazu meine von Herzen kommende Solidarität.

     

    Hasta la Victoria.

    Opa vic

  • V
    vic

    Das größte Betrugsprojekt des Landes wird ohnehin an den Kosten scheitern. Wenn nicht jetzt, dann später und erheblich teurer.

    Doch dann durften sie "Sicherheitskräfte" noch einmal so richtig an Mann, Frau und Kind- auch Berufsdemonstranten genannt- üben.

    D-Day, nennt das die Einsatzzentrale lt. Kontext:

    http://www.kontextwochenzeitung.de/

    Augabe Woche 47

  • DP
    Daniel Preissler

    @Domian

    Das einzige, was ich S21 abgewinnen könnte, wäre zu erleben, wie du wegen chronischer Überlastung dieser Planungskatastrophe regelmäßig im ICE 30-60 min in diesem piefigen Kaff stehen musst und Grube, Oettinger und Co. (bzw. ihre empathiefähigen Mitwisser) dafür ein Leben lang schämen.

  • DP
    Daniel Preissler

    @Hari

    Deine Lügen sind für mich schwer auszuhalten. Ein Kündigungsgrund wäre beispielsweise der jahrzehntelange Verfassungsbruch durch Belügen des Parlaments respektive einiger Fraktionen.

    Noch kurz: Es heißt im Deutschen "Regierungsübernahme", nicht "Machtergreifung". Sollte das Absicht gewesen sein, bleibt nur zu sagen: Aua!

     

    Auch schön: "Wir sollten bei den Fakten bleiben" und "K21...weniger Leistung" - oh boy!

  • B
    Bart

    Natürlich wird hier von beiden Seiten Propaganda verbreitet. Wobei aber ganz klar die Befürworter viel größeren Unsinn reden (z.B. die Ausstiegskosten, Bauzeit, Baukosten, Stigmatisierung der Gegener etc.pp.) - und die Abstimmung ja einer Farce von angeblicher Bürgerbeteiligung (und "mehr Demokratie") gleicht. Das passiert (auch wegen dem hohen Quorum) eher auf der Basis: "Ihr dürft euch mal so fühlen, als ob ihr mitbestimmen dürftet. In Wahrheit machen wir aber sowieso das, was wir uns schon seit Jahren vorgenommen haben. Basta!"

    @dorian: ob jetzt du oder Klaus nicht genau weiß(t), was Demokratie ist, sei mal dahingestellt. Fest steht nur, dass du mit S21 auf keinen Fall schneller aus dem Kaff wieder draußen bist - bei einer Bauzeit von 15 Jahren, kannst du froh sein, wenn du überhaupt noch mal Stuttgart per Zug unterirdisch durchfahren kannst...

  • OK
    Opa Kolja

    Der mysteriöse Hari Seldon bloggt in allen ihm erreichbaren Foren-speziell hier im Ländle.Er verwechselt wie gehabt,dass es bei der Volksabstimmung genuin um den oder jenen Bahnhof und evtl.Horrorkosten geht.Sein allfälliges Grünen-Bashing ödet nur noch an. Er hat offensichtlich immer noch nicht verwunden,dass wir 57 Jahre Ländles-Schwarzfilz im März wegwählten.Es darf gehofft werden,dass wir deren Vermächnis-den Höhlenbahnhof-S21-am Sonntag ebenfalls in den Orkus schicken.Kretsche ist, was das Erreichen des Quorum betrifft, verfassungstreu.Muss er ja als seriöser MP auch.Doch wir S21-Gegner haben durch Engagement und Beharrlichkeit schon viel erreicht.Venceremos!

  • C
    catherine

    Die sogennanten Ausstiegskosten der Proler beinhalten €700 mill. Kosten die an der Stadt Stuttgart zurück fliessen, für die gekauften Gründstücken und Zinsen. Es ist eine Frechheit die als Kosten zu bezeichnen. Warum klärt uns hier die TAZ nicht auf!!

  • D
    dorian

    na endlich wird dieses pfeifende rentnervolk in die schranken verwiesen. ich freu mich schon auf den neuen bahnhof und dass ich so noch schneller aus diesem pieffigen kaff wieder raus bin.

     

    @klaus

    du hast immer noch nicht kapiert wie demokratie funktioniert oder?

  • K
    Klaus

    Ich bin für eine namentliche Abstimmung. Dann können die, die dafür sind, auch die Kosten tragen. Also angenommen, 50 Prozent sind dafür, wären das ungefähr 2.000 Euro pro Person. Nur damit man mal die Dimensionen sieht! Aber wenn jeder auf Edelstahlfelgen an seinem Golf oder so verzichtet, dann passt das schon!

  • HS
    Hari Seldon

    Nun, bei der Volksabstimmung geht es um Volksverdummung pur, weil nicht um den Ausstieg aus S21 geht, sondern um den Ausstieg des Landes BaWü aus der Finanzierungsvereinbarung. Land BaWü trägt ca. 17-18% der Kosten (0,26% des Landeshaushaltes 10 Jahre lang), so bei weitem ist nicht der grösste Aktionär, und die Bahn hat den Baurecht. Kündigungsgrund gibt es keine, so wegen Vertragsbruch können die Ausstiegskosten sehr hoch sein. Merkwürdig ist es auch, dass eine---angeblich demokratische---Partei Vertragsbruch favorisiert. Tja, so sieht die "neue Demokratie" á la Grün aus.

     

    @richard: Die andere Alternativen wie K21 würden wesentlich mehr kosten, und weniger Leistung anbieten. Der Bahnknoten Stuttgart muss dringend modernisiert werden: Es gibt Schnienematerialen sogar noch aus den XIX. Jahrhundert, und man will vom dreckigen Gleisvorfeld und grosse Lärmbelästigung loswerden. Die Haltung der Grünen h unverständlich, weil S21 verwirklicht gerade tipysche Zielsetzungen der Grünen verwirklicht. Aber für die Machtergreifung der Grünen war kein Preis zu hoch (inlusive Spaltung der Gesellschaft durch Lügen und Hetzen), und die Grünen unterstützen jetz die bisherigen Immobilienbesitzern in Stuttgart, welche der treibende Kraft hinter den Kulissen ist (sie befürchten den potenziellen Wettbewerb, und die Abwertung des eigenen Immobilienbestandes). Eine sehr interessante Konstellation. Falls jetzt nichts gebaut wird, wird in den nächsten ca. 15 Jahren in BaWü nichts als Ersatzbau kommen. Wir sollten bei den Fakten bleiben. Nur zur Ihrer Info: Wohne in Stuttgarter Raum, und weiss genau, dass S21 grosse Vorteile für die Bevölkerung bringen würde. Ich erinnere mich noch an den erbitterten Wiederstand gegen die Schnellstrecke Stuttgart-Mannheim: Am Ende des Tages waren die stärksten Gegner diejenige, welche als allererste die Buffettische bei der Eröffnungsfeier attackiert haben... Und der erste Zug auf der Schnellstrecke war voll mit denen.

  • R
    Richard

    Auch die 7 Millionen Baden-Württemberger außerhalb von Stuttgart sollen die Geldverschwendung für den neuen Bahnhof ablehnen. Das kann man anders und besser verbauen.