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Russlands schwimmendes AKW startetTickende Zeitbombe auf dem Meer

Das russische AKW-Schiff „Akademik Lomonossow“ sticht in See. Bei vielen stößt das auf Unverständnis – auch wegen des Atomunfalls zwei Wochen zuvor.

Kritiker nennen die „Akademik Lomonossow“ auch „schwimmendes Tschernobyl“ Foto: dpa

Kiew taz | Russlands erstes schwimmendes Atomkraftwerk, die „Akademik Lomonossow“, ist wieder auf Reisen. Am Wochenende stach es vom russischen Nordmeerhafen Murmansk aus in das 4.700 Kilometer entfernte Pewek im Osten Russlands in See. Drei Wochen wird die Fahrt dauern.

Der Generaldirektor der russischen Atombehörde Rosatom, Alexei Lichatschew, war persönlich nach Murmansk zu den Feierlichkeiten gereist. Dabei wurde dem Konzern Rosenergoatom als Auftragnehmer eine Urkunde vom „Buch der Rekorde Russlands“ für den Bau des nördlichsten Atomkraftwerks Russlands überreicht.

Der 144 Meter lange und 30 Meter breite Schwimmkörper, der zwei Atomreaktoren mit einer Leistung von jeweils 35 Megawatt mit sich führt und 500 Millionen Euro kostet, soll 2020 den ersten Strom für die gut 4.000 Einwohner von Pewek und den Rayon Tschaunski liefern.

Das sechsstöckige Wasserfahrzeug, so Rosatom, habe auch ein Schwimmbad, zwei Saunas und einen Fitness-Club. Experten der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO, so Sergei Iwanow, Sonderbeauftragter des russischen Präsidenten für Umwelt- und Verkehrsfragen, laut der Moscow Times, hätten das Kraftwerk in der Bauphase besichtigt „und nichts angemerkt oder Besorgnis zur ökologischen Sicherheit geäußert“.

Verlorenes Vertrauen

Die russische Sektion von Greenpeace kämpft seit Jahren gegen das „gefährliche Experiment“. Jedes AKW, so Greenpeace, produziere Atommüll, könne explodieren. Aber ein schwimmendes AKW, das auch Atommülllager sei, sei noch viel anfälliger. In zehn Jahren, so Greenpeace, müssten die abgebrannten Brennstäbe und der Atommüll wieder an einen sicheren Hafen gebracht werden. Niemand wisse, wie in dieser Zeit die Stromversorgung im Gebiet um Pewek garantiert werden könne.

Der Start der „Akademik Lomonossow“ kommt für die russische Atomwirtschaft zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Bei einem atomaren Unfall auf dem Testgelände Nyonoska bei Sewerodwinsk im Bezirk Archangelsk waren am 8. August fünf Fachleute von Rosatom ums Leben gekommen. Rosatom, das den Unfall von Anfang an verharmlost hatte, hat durch seine Informationspolitik Vertrauen verloren. Nun kommen langsam immer mehr Details über die Katastrophe ans Licht.

So beschrieb am Freitag die aus Archangelsk stammende Atomphysikerin Irina Schraiber, die für die Europäische Organisation für Kernforschung, CERN, in der Schweiz arbeitet und sich zum Zeitpunkt des Unfalls in Archangelsk aufhielt, gegenüber dem russischen Dienst von BBC die Panik unter den behandelnden Ärzten in Archangelsk.

Niemand habe die Ärzte im Bezirkskrankenhaus über die hohe Verstrahlung der eingelieferten Patienten informiert. Und so hätten die Ärzte erst eine Stunde nach Einlieferung der Patienten entsprechende Maßnahmen eingeleitet. „Die Ärzte mussten sich selbst überlegen, wie sie sich schützen können. So haben sie sich Atemgeräte aus Hubschraubern geholt.“

Auch das Reinigungspersonal, so ein weiterer BBC-Bericht, sei nicht über die Gefahren von Strahlenkranken informiert worden. Das Internetportal Medusa hatte in der vergangenen Woche von einem Archangelsker Arzt berichtet, in dessen Blut man Cäsium-137 gefunden habe. „Da hast du wohl bei deinem letzten Thailand-Urlaub zu viele Fukushima-Krabben gegessen“, habe der untersuchende Arzt das Ergebnis kommentiert.

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12 Kommentare

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  • Auch weniger Atomkraft-kritische Medien als die taz scheinen sich sicher zu sein, dass diese schimmenden Russen-AKWs das nächste Chernobyl sind.

    Was technisch nun hier unsicherer sein soll als bei anderen erschließt sich mir nicht. „Schiffe gehen ja bei Sturm unter“



    oder ähnliches mag mancher vielleicht denken.

    Modulare AKWs sind wesentlich klimafreundlicher als manch andere Energiequelle. Dort im hohen Norden sind Solar und m.E. Wind keine viable Alternative. Wenn Atomenergie auf See so gefährlich ist, warum wird dann nicht auch entsprechendes über die neuen Atom-U-Boote der Nato Staaten geschrieben (USA, UK, Frankreich)?

  • Atomkraft/Kernkraft ist viel zu teuer, für Millionen Jahre viel zu gefährlich, Gewinne und (Kriegs)Macht darüber gehören den Reichen und Mächtigen, die Kosten tragen die Bürger und die Natur.



    Dass das Meer auch nicht außerhalb der Erde liegt, sollte statt einer Verharmlosung (Wegschleppen?) eine Erkenntnis der weltweiten Gefahren der Atomkraft/Kernkraft für jeden denkenden Menschen nach sich ziehen.



    Dass darüber überhaupt noch diskutiert wird, ob und warum und wie brandgefährlich der Scheiß nunmal ist, erschließt|erschloß sich mir noch nie wirklich.



    Die Gesamtkosten von Atomkraft/Kernkraft übertreffen alle anderen Arten von Kraftwerken in Bezug auf die Umweltbelastung und der Kosten für die Gesellschaft bei weitem.



    Die Milchmädchenrechnung der Atomkraft/Kernkraft-Betreiber und deren Aktienbesitzer, sich noch ein bißchen länger die Taschen auf Kosten des Gemeinwohls vollstopfen zu wollen mit dem Scheinargument der CO2-armen Nutzung DARF nicht aufgehen!



    Wie oft darf die Atomkraft/Kernkraft-Lobby diese Sau (dieses Mal als Schiffe) eigentlich noch durch's Dorf treiben…?



    Geht's noch?! Es wird Zeit für gute Politik. Is anybody around?



    Aber vielleicht ist ja Atomkraft/Kernkraft sogar gesund … und nur ich hab's noch nicht gemerkt … ?

    • @Frau Kirschgrün:

      Ich wollte mit dem Wegschleppen nix verharmlosen, nur klarstellen daß es einfacher ist, einen schadhaften Reaktor auf dem Wasser wegzutransportieren anstatt die Umgebung zu evakuieren. Für die ansässige Bevölkerung ist das vlt. schon entscheidend. Kernkraft ist gefährlich, da stimme ich ihnen vollkommen zu. Allerding sollte man auch objektiv gegenüber der Gefahr sein, das vermisse ich hier im Artikel (siehe meine Argumente). Radiaktive Stoffe im Meer verdünnen sich bis sie im Rauschen der natürlichen Strahlung untergehen. Klar ist das immer noch Mist, aber das geringere Übel gegenüber kontaminierten Landstrichen.

  • Ich bin von der Idee schwimmender Kernreaktoren auch nicht begeistert, aber hier mit dem dicken Zeigefinder auf die Akademik Lomonossov zu zeigen, ist auch ein bißchen heuchlerisch, zumal der hier mit eingemischte Störfall nix mit dem Schiff zu tun hatte. Es kreuzen haufenweise atomgetriebenen Kriegsschiffe auf unseren Welmeeren umher, nicht wenige mit Reaktoren höherer Leistung. U-Boote, Flugzeugträger, Kreuzer und nicht zu vergessen die Atomeisbrecher. Selbst Deutschland leistete sich bsi 2009 das Nuklearfrachtschiff Otto Hahn. Explodiert ist bisher keins, aber jeder militärische Konflikt auf dem Wasser birgt hier obendrein noch nukleare Gefahren, sollte man nicht vergessen. Man könnte sogar argumentieren, im Störfall kann ein schwimmender Reaktor weggeschleppt werden, bei einem Bauwerk an Land kann man nur die Bevölkerung wegschaffen. Also vlt die Hyterie hier etwas auf realistisches Niveau zurückschrauben.

  • Stimmen die Zahlen wirklich?

    Ein Kernkraftwerk, das (nur) 4000 Einwohner versorgen soll? 35 Megawatt Leistung für nur ca. 4.000 Einwohner? Ein Kraftwerkstyp, der schlecht zu regeln ist, soll die Versorgung einer kleinen Gemeinde übernehmen? Überseh ich da irgendwas? Steht da irgendwo eine Aluminiumhütte oder wozu brauchen die 4000 Einwohner ein so "großzügig" dimensioniertes Kraftwerk?

    • @Martin74:

      Andere Quellen sagen 200.000 - who knows.

    • @Martin74:

      Da geht es wohl auch um die Versorgung der Gasindustrie. Flüssiggas braucht für die Verflüssigung große Mengen an Energie.

      Ich sehe die Probleme, allerdings gibt es vergleichbare Probleme ja auch mit den Flugzeugträgern und Ubooten mit nuklearem Antrieb.

  • Ich habe mir mal in Google Maps die Lage des „Zielortes“ Pewek angesehen. Ob die Bewohner Alaskas schon wissen, was da reichlich 1000 km westlich entsteht? Jedenfalls ist dieser Abstand nicht sehr viel größer, als der zwischen Tschernobyl und D.!



    Im Fall des Falles wird wohl, außer der ortsansässigen Bevölkerung, auch Alaska einiges von der radioaktiven Wolke abkriegen. Auch jene Bewohner, die gegenwärtig noch gar nicht glauben können, was so gefährlich an der Atomkraft sein soll.



    Noch gefährlicher dürfte der Teil der Radioaktivität sein, der von der Meeresströmung fortgetragen wird. Fische, die damit in Berührung kommen, lagern diese Radioaktivität im Körper ein und tragen sie entlang ihrer Wanderrouten weiter – bis in die Fischernetze und Kochtöpfe irgendwo auf der Welt.



    Guten Appetit!

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Jede Nation bringt ihren eigenen Beitrag zur Zerstörung des Globus.

    Nachdem zuletzt Brasilien in kürzester Zeit zum alleinigen Spitzenreiter des Global-Disturb-Rankings (GDR) wurde, mag auch Russland unter Putin nicht hinten anstehen. Die 'Akademik Lomonossow' besticht schon durch ihre Optik: Funktionalität, Nüchternheit und Farbgebung vom Allerfeinsten. Man darf Großes von ihr erwarten.

    Nachdem Harrisburg bereits 41 (o. G.), Tschernobyl schon 33 und Fukuschima schlappe acht Jahre zurückliegen, besteht aktuell Bedarf an weiteren Dokumenten dieser strahlenden Energietechnik - wie auch des menschlichen Geistes.

    Mutig voran, russische Brüder.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Tschernobyl ist jetzt ein sehr artenreiches Naturreservoir.



      Ist es nicht genau das, was Greenpeace will? Menschenfreie Rückzugsräume für die Natur?

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @marxscheEffizienz:

        Oh, la la, da wird mal wieder mit Scherzkeksen geworfen.

        Wo hat Greenpeace niedergeschrieben, dass sie verseuchte Gebiete als menschenfreie Rückzusgräume möchten? Link zur Hand?

  • „Da hast du wohl bei deinem letzten Thailand-Urlaub zu viele Fukushima-Krabben gegessen“, womit wir beim internationalen Konfliktpotenzial russischen AKW-Schiff „Akademik Lomonossow und überhaupt schwimmender Sonderwirtschaftzonen sind.

    Südkorea hat Militär Geheimdienstbündnis mit Japan suspendiert, weil Japans AKW Betreiber Tepko in der Not, nicht wohin zu wissen mit radioaktiv strahlend kontaminiert deponiertem Wasser aus dem 2011 harvierten AKW Kompelx Fukushima, angekündigt hat, 2021 an 100 Millionen Tonnen kontaminiert deponiertes AKW Wasser im Pazifik zu verklappen, wie es andere Länder in solchen Fällen, ohne Einspruch durch IAEQ Wien, angeblich praktizieren dürfen.

    Erwartungsgemäß lässt das russische AKW-Schiff „Akademik Lomonossow als schwimmend globale Sonderwirtschafzone im AKW Störfall, nach Anfrage bei IAEO nichts fließen, sondern ohne Anfrage unbemerkt alles laufen. Im Fall, dass da was an atomarem Giftmüll im Wasser registriert wird, wird Moskau auf in Pazifik geleitet radioaktiv strahlendes Fuskushima AKW Wasser aus Japan verweisen?

    Die Folge jahrzehntelang vergebliche Gerichtsverfahren vor Internationalem Seegerichtshof Hamburg, ohne Aussicht auf Klärung?