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Russland spielt Finanzkrise herunterBeruhigungstropfen für das Volk

In seiner ersten Fernseh-Bürgersprechstunde als russischer Regierungschef spielt Wladimir Putin die Folgen der Finanzkrise für Russland herunter.

Präsident Medwedew lässt Vorgänger Putin fürs Fernsehen den Vortritt. Bild: ap

Auch als russischer Premierminister hält Wladimir Putin an dem Brauch fest, einmal im Jahr über das Fernsehen mit dem Volk in einen Dialog zu treten. Seit 2001 gibt es diese Fragerunde, die mittlerweile zu einem festen Ritual geworden ist. Bislang war dieses Privileg dem Präsidenten vorbehalten. Der neue Kremlchef Dmitri Medwedjew lässt dem Premier den Vortritt und begnügt sich mit der Rolle des Präsidentendarstellers. So war es vor den Präsidentschaftswahlen abgesprochen, die Harmonie der beiden soll darunter nicht gelitten haben. Ohnehin lauscht das Volk lieber Putin, denn niemand zweifelt an den wahren Machtverhältnissen.

Anders als frühere Veranstaltungen kam die gestrige bescheidener daher. Nur ein staatlicher TV-Kanal übertrug das "Gespräch mit Wladimir Putin". Das mag der neuen Rollenverteilung geschuldet sein, aber auch der Wirtschaftskrise, von der die Bürger zum ersten Mal aus dem Fernsehen und dem Munde des "nationalen Liders" erfuhren. Am eigenen Leib spüren sie sie längst. Bislang wurden die Auswirkungen auf Russland geleugnet. Die Krise ist "eine schwierige Periode in der Weltwirtschaft und bei uns", sagte Putin. Darauf müsse man sich moralisch und auch politisch einstellen. "Unabhängig von den negativen Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise auf die russische Wirtschaft sieht das Jahresergebnis im Ganzen gut aus. Wir gingen von 7,5 Prozent Wachstum aus und erreichen etwa 6,9 Prozent", sagte Putin und gab den USA die Schuld an der Malaise.

Der Dialog sollte zwei Aufgaben erfüllen: den Menschen die Ängste vor sozialen Härten nehmen und ihnen das Gefühl vermitteln, in den Händen einer kompetenten Führung aufgehoben zu sein. Der Kreml spürt, dass der Boden nachgibt. Mit der bröckelnden wirtschaftlichen Stabilität gerät auch die politische ins Wanken.

Dreieinhalb Stunden beantwortete der Premier stoisch alle Fragen. Ist unsere Rente sicher? Was passiert mit unseren Arbeitsplätzen? Gibt er strauchelnden Rüstungsbetrieben Kredite? Wird das Arbeitslosengeld aufgestockt? Bis wann reicht der staatliche Stabilitäts- und Reservefonds? Wie lange dauert die Krise, Wladimir Wladimirowitsch, Sie müssen es wissen?

"Was wir im Sozialbereich im Zusammenhang mit Renten und Sozialausgaben geplant haben, werden wir auch erfüllen", beruhigte Putin. Wenn andere Länder die Löhne kürzten, so Putin, "wird Russland dies nicht tun".

Natürlich waren Fragen und Fragesteller in wochenlanger Vorarbeit von den Stäben handverlesen und instruiert worden. Manchen Sprechakten war das Einstudierte anzuhören. Selbst das als Auflockerung gedachte Menscheln der Moderatorinnen blieb klebrig. Das einzige, was echt war, war die Sorge der Menschen um die Zukunft.

Putin versteht es meisterhaft, seine Zuhörer zu beruhigen. In endlosen Zahlenreihen bis hinter die zweite Kommastelle referierte er Produktionsziffern, Weizenpreise und Stahlausstöße. Kompetenz beruhigt, auch wenn sich die Daten auf die Schnelle nicht nachprüfen lassen. Früher hat der Expräsident häufiger mal daneben gelegen, wie sich im Anschluss herausstellte. Gestern unterlief ihm nur ein ad hoc erkennbarer grober Schnitzer: Er erhob die USA zu einem der wichtigsten russischen Handelspartner. Das stimmt nicht nur nicht, die geringe wirtschaftliche Vernetzung erschwert gerade die Lösung politischer Probleme.

Putin war nicht mehr der alte Kämpfer. Er wirkte müde und angeschlagen, ja lustlos. Nicht verwunderlich, denn zum ersten Mal stand nicht mehr der Magier des Aufschwungs vor dem Publikum, sondern ein Premier, der hätte erklären müssen, warum sein Land schlechter als andere auf die Krise vorbereitet ist.

Nur einmal schien er zur alten Form aufzulaufen. Ob er den georgischen Präsidenten tatsächlich "an seinen Eiern aufhängen" wollte, wie eine französische Zeitung berichtet hätte, wollte ein Anrufer wissen. Im Irak hätten die Amerikaner einen Herrscher aufgehängt, der sich geringere Verbrechen habe zuschulden kommen lassen, sagte Putin und meinte wohl Saddam Hussein. "Halten Sie durch, Wladimir Wladimirowitsch, wir sind mit Ihnen", meldete sich dann per Telefon noch einmal das Volk.

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1 Kommentar

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  • PB
    Peter Bitterli

    Das Donath hetzt und hetzt und hetzt. Und hat doch von Russland bis heute kaum etwas begriffen. Von Respekt ganz zu schweigen.

    Eine "Krise" ist zu grossen Teilen ein Problem des Vertrauens und damit der Psychologie. "Beruhigung" ist somit unbestrittenermassen die richtige Strategie. Das sieht man auch anderswo so.

    Donath hätte sein Gastland, an dem er kein gutes Haar lässt, schon mehrere Dutzend mal in den Sand gesetzt.