Russischsprachige Buchmesse in Berlin: Im Netz der Sprache
Bei „Berlin Bebelplatz“ diskutiert die russischsprachige Literaturszene. Das Event will dem Verbot von Büchern im heutigen Russland etwas entgegensetzen.
„Berlin Bebelplatz“ war sie übertitelt – die erste Buchmesse russischsprachiger Literatur ihrer Art in der deutschen Hauptstadt. Das Event ging vom 3. bis 6. April über die Bühne – in bester Lage, Unter den Linden. Der Bebelplatz als Veranstaltungsort, an dem die Nationalsozialisten am 10. Mai 1933 von Studierenden mehr als 20.000 Bücher „undeutschen Geistes“ hatten verbrennen lassen, war bewusst gewählt, wie der Webseite der Organisatoren, der Berliner Online-Buchhandlung Murawei (Ameisen), zu entnehmen ist: Bei der Messe gehe es auch darum, dem Verbot von Büchern im heutigen Russland etwas entgegenzusetzen. Der Satz lässt aufhorchen, scheint sich dahinter der unausgesprochene Versuch zu verbergen, eine Analogie zwischen Nazideutschland und Russland unter Wladimir Putin herzustellen – einem Mann, der sich spätestens seit dem 24. Februar 2022 im Kampf gegen die Faschisten wähnt und das nicht nur in der Ukraine.
Moskaus Angriffskrieg gegen den Nachbarn gab überhaupt den Takt für die Begleitmusik dieses Forums vor, auf dem, folgt man den Veranstaltern, im Exil lebende russischsprachige Autor*innen, Verleger*innen und Literaturkritiker*innen mit ihrem Lesepublikum ins Gespräch kommen sollten: über unzensierte russischsprachige Texte, die als Reaktion auf Aggression, Gewalt und Orientierungslosigkeit entstanden seien sowie die Möglichkeit, die Vergangenheit, die zum Krieg geführt habe, neu zu reflektieren.
Doch offensichtlich sollten die Beteiligten bei dem Gedankenaustausch weitestgehend unter sich bleiben: Die Messe wurde äußerst sparsam beworben, die Räumlichkeiten waren nicht gleich auf Anhieb zu finden. Bis auf wenige Ausnahmen fanden alle Podien und Lesungen auf Russisch ohne Übersetzung statt. Dabei hätte sich vielleicht auch manche/r Sprachunkundige/r für die Debatten interessiert.
So etwa für die Podiumsdiskussion „Kultur und Katastrophe. Russische Kultur im Angesicht des Krieges“. Der Fragen in diesem Zusammenhang, zumindest das wurde eindrucksvoll klar, gibt es viele: Welche Funktion kann russische Kultur angesichts schwerster Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den ukrainischen Städten Butscha und Mariupol überhaupt haben? Wie spiegeln sich dieser „Albtraum“ und diese „Katastrophe“ – Chiffren für Russlands seit über drei Jahren währenden Krieg in der Ukraine – in der russischen Kultur wider? Bietet dieser Krieg die Chance für einen Neuanfang oder erzwingt er ihn geradezu? Bedarf auch die russische Kultur einer Dekolonialisierung? Haben sich die Kulturschaffenden während der Perestroika und den sich anschließenden Jahren unter Boris Jelzin nicht die richtigen Fragen gestellt?
Xenophobie, Imperialismus, Patriarchat als aktuelle Zustandsbeschreibung: Hat auch die Kultur ihren Beitrag dazu geleistet? Trägt sie Mitverantwortung oder sogar Schuld an den Entwicklungen – und das in einem Staat, der sich seit Putins Machtantritt mehr denn je als „Kurator“ in diesem Bereich geriert? Konkrete Antworten, auch das zeigte die Diskussion, gibt es bislang nur wenige, aber vielleicht ist es für abschließende Bewertungen auch noch zu früh. Klar jedoch wurde: Ein Prozess ist in Gang gekommen
Die russische Sprache an und für sich – auch das war ein ständig präsentes Thema. Schon in der Sowjetunion war sie ein Herrschafts- und Unterdrückungsinstrument gegenüber anderen Völkern, daran hat sich bis heute nichts geändert. Nicht zufällig sind nach dem 24. Februar 2022 viele russischsprachige Ukrainer*innen zum Ukrainischen übergegangen – ein politisches Credo im Sinne einer eigenen Selbstvergewisserung. Sprechen in der Sprache der Mörder? Nie wieder.
Der Schriftstellerin Anna Bersenewa, die seit 2020 in Deutschland lebt, ist dieses Problem schmerzhaft bewusst. Aber sie als russische Muttersprachlerin und alle diejenigen, die auf Russisch schrieben, könnten diese Sprache doch nicht einfach Putin überlassen? Sie werde, so Bersenewas Fazit, auch weiter auf Russisch schreiben.
Den gegenseitigen Hass unterschätzt
Neben ihren Büchern am Messestand des Leipziger Verlags ISIA Media waren auch Werke des russischen Investigativjournalisten Oleg Kaschin zu finden. Auch er hätte zur Messe nach Berlin kommen sollen, jedoch luden ihn die Veranstalter kurzfristig wieder aus. Von Veranstalterseite hieß es dazu, diese Entscheidung sei nach einer Intervention ukrainischer und russischer Aktivist*innen gefallen. Das russische oppositionelle Exilmedium Novaya Gazeta Europa zitiert Kaschin mit den Worten, die Organisatoren hätten die Lage falsch beurteilt, indem sie „russische Schriftsteller*innen unter einem Dach versammeln, ohne sich darüber im Klaren zu sein, wie viel gegenseitiger Hass in diesem Umfeld herrscht“.
Die Bücher von Kaschin, in der Russischen Föderation als ausländischer Agent gelabelt, sind dort nur eingeschränkt zu finden. Was hingegen von Autoren wie Sergei Jessenin (1895–1925) nicht überliefert ist. Bücher des Lyrikers waren in Berlin erhältlich. Verlegt werden sie von „AST“ – ein russischer Verlag, der unter staatlicher Kontrolle ist. Wenn man weiß, dass der Kreml auch kulturelle Softpower außerhalb Russlands zur Verbreitung seiner Narrative einsetzt, muss hier misstrauisch werden.
Ein Wissenschaftler und Publizist aus Russland, der ebenfalls im Exil lebt und anonym bleiben wollte, zeigte sich nach dem Besuch der Messe ernüchtert. Auf welche Art emigrierte Autor*innen den Putinismus schwächen könnten, sowohl im Ausland als auch in Russland selbst, sei nicht diskutiert worden: „Wie Worte aus dem Ausland die Säulen des Autoritarismus unterminieren können, war keiner Erwähnung wert. Schade.“
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