Russische Exilanten in der Ukraine: Traum vom Pass mit dem Dreizack
In der Ukraine wird darüber diskutiert, was Exilrussen erfüllen müssen, um die Staatsbürgerschaft zu erhalten. Maksim Motin weiß: Es ist nicht leicht.
Beides trifft auf Motin zu. Der Moskauer war als Manager für mehrere Fußballklubs tätig, bevor er seine eigene PR-Agentur für Sportevents gründete. In Moskau hatte der 38-Jährige zweimal erfolgreich bei Kommunalwahlen kandidiert – 2012 und 2017. Wiederholt war er offen gegen die Annexion der Krim aufgetreten, bis Freunde ihn warnten, dass ihm nur wenige Stunden blieben, um einer Festnahme zu entgehen.
Angeblich soll Motin Gelder für ein Fußballturnier zwischen verschiedenen Waisenhäusern unterschlagen haben. „Das ist eine weit verbreitete Praxis. Leuten mit liberalen Ansichten werden Zuwendungen gegeben, um sie dann des Diebstahls beschuldigen zu können“, sagt Motin.
2018 ging er in die Ukraine. Bis zum 24. Februar 2022 war er Marketingdirektor bei dem Fußballklub „Ruch“ in Lwiw. Nach dem Kriegsausbruch arbeitete er in der Produktion von Schutzwesten für die ukrainische Armee mit. Deswegen wurde in Russland gegen ihn ein Strafverfahren eingeleitet.
Der „Fall Newzorow“
Motin wähnt sich auf der „richtigen Seite“, doch das alles reicht offensichtlich nicht für einen Pass. Anders als im Fall von Alexander Newzorow. Die Nachricht über den angeblichen Erwerb der ukrainischen Staatsbürgerschaft durch den russischen Journalisten löste in der Ukraine unlängst eine Welle von Diskussionen und Protesten aus. Dass Newzorow im vergangenen Juni Ukrainer geworden war, hatte zunächst niemand mitbekommen. Ukrainische Beamte und der russische Journalist selbst bestätigten den Erhalt eines Reisepasses mit Dreizack zunächst, dementierten es dann aber wieder.
Newzorow spart gegenwärtig nicht mit Kritik an Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Doch vorher hatte er einen anti-litauischen Film über die Ereignisse von Januar 1991 in Vilnius gedreht (damals hatten moskautreue Kräfte mit Unterstützung sowjetischer Militärs und Spezialeinheiten versucht, sich an die Macht zu putschen. Dabei starben 14 Zivilisten, über 1.000 Personen wurden verletzt) und im Umfeld des Kreml gearbeitet.
Der „Fall Newzorow“ erinnerte die Ukrainer*innen daran, wem die jeweiligen Präsidenten die ukrainische Staatsbürgerschaft in den vergangenen acht Kriegsjahren verliehen hatten. So hatte der damalige Staatschef Petro Poroschenko dem georgischen Ex-Präsidenten Michail Saakaschwili im Mai 2015 einen ukrainischen Pass gegeben. Er sollte, als Gouverneur in Odessa, helfen, Reformen umzusetzen. Doch dann kam es zum Streit und Saakaschwili wurde aus dem Land gejagt. Wolodimir Selenski machte die Entscheidung rückgängig und verhalf Saakaschwili wieder zu einem ukrainischen Pass.
In den Genuss dieses Dokuments kamen außer Newzorow auch weitere russische Journalist*Innen – darunter Marija Gaidar, Tochter des russischen Wirtschaftsexperten und liberalen Politikers Jegor Gaidar. Sie wurde Saakaschwilis Beraterin. An seinem letzten Arbeitstag verlieh Poroschenko der Cousine des in Russland inhaftierten und von der Krim stammenden Filmemachers Oleh Sentsow, Natalia Kaplan, die Staatsbürgerschaft. Er wollte das Verfahren zur Erlangung der Staatsbürgerschaft und zur Gewährung von politischem Asyl für in ihrer Heimat verfolgte Bürger vereinfachen. Aber ein entsprechender Erlass wurde erst im August 2019 von Selenski unterzeichnet.
Lange hoffte Maksim Motin auch deswegen auf die ukrainische Staatsbürgerschaft, weil er ukrainische Wurzeln hat. Allerdings ist seine Großmutter in den Dokumenten nicht als Alla, sondern als Anna verzeichnet. Das Protokoll ist unleserlich, die Korrektur muss ein Gericht vornehmen, aber die Dokumente befinden sich im besetzten Luhansk.
Auf diesen Rechtsweg kann sich Motin derzeit nicht berufen – in Kriegszeiten sind in der Ukraine alle Rechtsgeschäfte mit Russ*innen verboten, selbst die Beglaubigung eines Dokuments durch einen Notar. Zudem braucht Motin, um die russische Staatsbürgerschaft abzugeben, eine Bescheinigung, dass keine offenen Geldforderungen des russischen Staates (etwa nach der Verurteilung zu einer Geldstrafe) gegen ihn vorliegen.
„Sehr bald habe ich weitere Strafverfahren und Geldstrafen wegen antirussischer Aktivitäten zu erwarten. Ich werde definitiv keine derartige Bescheinigung erhalten. Trotzdem werde ich alle transparenten Spielregeln akzeptieren. Ich verstehe, dass es unmöglich ist, Pässe in alle Richtungen zu verteilen. Aber ich will unbedingt Ukrainer werden“, sagt Motin.
Er erzählt, dass die Ukrainer*innen sich vor, aber auch nach dem 24. Februar ihm gegenüber normal verhielten. Ein wenig Ukrainisch hat er bereits gelernt, im Gespräch wechselt er hin und wieder in diese Sprache.
Sprachprüfungen gefordert
Noch hat Motin Chancen auf einen Pass mit Dreizack. Derzeit werden entsprechende Gesetzesänderungen vorbereitet. Selenski hat die Regierung angewiesen, einen Bürgervorschlag zur Einführung einer obligatorischen Sprachprüfung für Bewerber*innen auszuarbeiten, die Ukrainer*innen werden wollen.
Damit reagierte der Präsident auf eine Petition, die in kurzer Zeit 25.000 Unterschriften bekommen hatte und als Bedingung für die Zuerkennung der ukrainischen Staatsbürgerschaft „Kenntnisse der Staatssprache oder Kenntnisse in einem für die Verständigung ausreichenden Umfang“ fordert.
Schon jetzt verpflichtet das Gesetz die Bewerber*innen, ein angemessenes Sprachniveau nachzuweisen, aber wie hoch dieses sein soll und wie die Prüfungen ablaufen, ist nicht geregelt. In der Petition werden Tests in ukrainischer Sprache und Geschichte der Ukraine vorgeschlagen, die Kenntnis der Verfassung und der Nationalhymne.
Am 12. Juli hat der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal bekannt gegeben, dass die Regierung Gesetzesvorlagen zur Einführung einer umfassenden Prüfung für diejenigen vorbereite, die die ukrainische Staatsbürgerschaft annehmen möchten. Maksim Motin kann also weiter hoffen.
Aus dem Russischen: Barbara Oertel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag