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Russisch-ukrainische VerhandlungenDie Unmöglichkeit von Istanbul

Putin und Selenskyj an einem Tisch? Was toll klang, war von Anfang an ein Trick Moskaus, um Trump zu gefallen und die Ukraine vorzuführen.

Vorgeführt: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kommt am 15. Mai in der türkischen Hauptstadt Ankara an Foto: UkrainianPresidentialPress Service/reuters

Moskau taz | Donnerstag: Warten und sich gegenseitig piesacken. Freitag: Warten und ins Ungewisse blicken. Russland und die Ukraine, gemeinsam an einem Tisch, um über das Ende des Kriegs in der Ukraine zu sprechen, zum ersten Mal seit drei Jahren – die Verheißung der vergangenen Woche klang erst mal toll. Wer kann etwas gegen Verhandlungen haben? Die Welt war aufgeregt, die Welt spekulierte, die Welt wartete. Am Ende passierte wenig. Kein Trump, kein Selenskyj, kein Putin am Verhandlungstisch in Istanbul.

Die vergangenen Tage zeigten geradezu exemplarisch, welcher Graben, welche Sprachlosigkeit zwischen Russland und der Ukraine längst vorherrschen. Es fehlt an Tagesordnungen, an Zeitplänen, es fehlt an allem. Als Russlands Präsident Wladimir Putin in der Nacht zu vergangenen Sonntag mit seinem „Wurf“ kam, direkte Verhandlungen mit der Ukraine führen zu wollen, war bereits klar, dass der Vorschlag für ihn nichts Überraschendes sei und schon gar nichts Neues. Denn er nannte das Ganze eine „Wiederaufnahme der Gespräche von Istanbul vom Frühjahr 2022“.

Moskau sucht nicht nach Kompromissen, Moskau will mit aller Macht seine Interessen durchsetzen

Die seien damals vom Westen, so die russische Sichtweise, „unterbrochen“ worden. Dabei sei ein Abkommen bereits klar und unterschriftsreif gewesen. Auch das ist ein russischer Mythos und längst widerlegt. Klar war im Frühling 2022 in Istanbul nichts, klar ist auch heute nur so viel: Russland ist an einem Frieden, wie er für die Menschen in der Ukrai­ne annehmbar wäre und auch für Europa, nicht interessiert. Moskau sucht nicht nach Kompromissen, Moskau will mit aller Macht seine Interessen durchsetzen. Auch mit Bomben und Raketen, wie es das unmissverständlich zeigt seit mehr als drei Jahren.

Putin spricht gern von Frieden, solange seine Armee weiter angreifen kann. Deshalb letztlich auch seine Absage an eine 30-tägige Waffenruhe, wenn auch ohne ein direktes „Njet“. Russlands Kriegsherr will die Unterwerfung der Ukraine, er will eine Neuordnung der europäi­schen Sicherheit, er will das, was er als „Entnazifizierung“ und „Demilitarisierung“ der Ukraine bezeichnete, bevor er am 24. Februar 2022 seine Panzer gegen das Nachbarland in Bewegung setzen ließ. Daran hat sich seitdem so gut wie nichts geändert.

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Warum sollte Putin nach Istanbul fahren?

Die Menschen aber dürstet es nach Hoffnung. Endlich Frieden, endlich weg mit diesen negativen Nachrichten. Endlich Verhandlungen! „Wir waren schon immer am Frieden interessiert“, wiederholt Putin sein Mantra und untermalt es in seiner nächtlichen Erklärung mit „direkten Gesprächen“. Viele Menschen freuen sich und sind offensichtlich wenig bereit zu sehen, mit welchen Tricks der einstige Geheimdienstmann arbeitet. Moskau versteht unter Verhandlungen etwas anderes als Europa.

Putin fuhr nicht nach Istanbul. Warum auch hätte er das machen sollen? Warum dem „illegitimen Präsidenten eines nicht existierenden Staates“, einem „Nazi und Junkie, der seine Hände im Blut badet“, wie der Kremlherrscher den frei gewählten, jüdischen Präsidenten der Ukraine bezeichnet, die Hand entgegenstrecken? Eine Erniedrigung sondergleichen. Putin lässt sich nicht bitten, er entscheidet selbst. Die „Sprache von Ultimaten“, so erklärte es der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in diesen Tagen, sei inakzeptabel für Russland. „So redet man nicht mit Russland.“

Was für eine Sprache akzeptabel wäre, sagte er nicht. Und was hätten beide Seiten zu verhandeln? Mit „Verhandlungsbereitschaft“ allein ist es nicht getan. Es liegt nichts Ausgearbeitetes vor. Das ist in erster Linie die Arbeit von Di­plo­ma­t*in­nen im Vorfeld, bevor die Staatenlenker irgendwo eine Unterschrift drunter setzen. Etwaige Abkommen müssten gut vorbereitet werden, sie müssten letztlich auch durch die Parlamente der Länder ratifiziert werden – und auch vom UN-Sicherheitsrat, um als völkerrechtlich verbindlicher Vertrag zu gelten. Die Ziele der beiden Länder liegen so weit auseinander, das zunächst überhaupt Worte dafür gefunden werden müssten, worüber genau geredet werden soll. Selbst die Amerikaner haben mittlerweile den Eindruck, die Russen verlangten doch arg viel.

So hat Putin quasi die Leute nach Istanbul geschickt, die auch schon vor drei Jahren dabei waren. Es ist eine „Wiederaufnahme“. Wladimir Medinski, einst Russlands Kulturminister, führt die Russen an. Zudem sind die ­Vizes aus dem Außenministerium und dem Verteidigungsministerium in die Türkei gereist. Diese Positionen waren vor drei Jahren ebenfalls vertreten. Neu ist die Figur von Igor Kostjukow, dem Chef des Militärgeheimdienstes. Beobachter bezeichnen ihn als scharfen Hund.

Letztlich müsste Kyjiw kapitulieren

Medinski gilt als Leichtgewicht, passt aber in seiner Weltsicht bestens zu Putin. Der 54-jährige Autor von geschichtsverdrehenden Bestsellern verehrt den Schlächter Stalin. Mit einem von Medinski mitverfassten Buch lernen Schüler*innen, dass die Ukraine das Land der „Ultra­nazis“ sei und der Westen Russland schon immer habe in die Knie zwingen wollen.

Am Freitagmittag begegneten sich die Delegationen Russlands und der Ukraine. Die Position Russlands sei „allseits bekannt und logisch“, hatte Medinski bereits vor drei Jahren in Istanbul gesagt. Das wird er jetzt wiederholen. Seine Streitkräfte müsste Kyjiw reduzieren, auf die eroberten Gebiete verzichten, der Nato abschwören, die Verfassung zugunsten Russlands ändern. Letztlich müsste Kyjiw seine Kapitulation unterschreiben. Ein unmögliches Unterfangen.

Nachtrag: Um 14.31 Uhr wurden die russisch-ukrainischen Gespräche in Istanbul beendet.

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3 Kommentare

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  • „Die vergangenen Tage zeigten geradezu exemplarisch, welcher Graben, welche Sprachlosigkeit zwischen Russland und der Ukraine längst vorherrschen. Es fehlt an Tagesordnungen, Zeitplänen, es fehlt an allem.“



    Und niemand da, der das hätte moderieren können? Die Koalition der Willigen - das Dreigestirn Macron, Starmer, Merz - ist selbst Partei auf Seiten der Ukrainer. Sie und alle anderen Europäer waren für diese Rolle von vornherein verbrannt.



    Die USA mit ihrem super-professionellen Trumpschen Diplomatentableau - lieber nicht, obwohl Selenskyi hier wahrscheinlich noch gute Miene zum bösen Spiel machen würde. Aber in den Augen Trumps erweisen sich beide - der russische wie der ukrainische Präsident - als zu störrisch, nicht botmässig genug. Kein Interesse mehr an solchem Spielzeug, nachdem das Mineralienabkommen unter Dach und Fach ist.



    Ja, und dann haben wir noch den Gastgeber: Recep Tayyip Erdogan. Der aber hat wohl nur die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt - dabei wäre es DIE Chance gewesen, seinen zuletzt (wegen der Inhaftierung Imamoglus) doch etwas ramponierten internationalen Ruf wieder aufzumöbeln.

    • @Abdurchdiemitte:

      Was sollte Erdogan denn erreichen, bei Sachbearbeitern, die, wenn sie denn schon Vollmachten hätten, diese lieber in den Bosporus werfen, als davon Gebrauch machen würden? Mehr als den Hausmeister aufschließen und den Tisch decken zu lassen, war einfach nicht zu machen.

      • @dtx:

        Daraus folgert aber doch die Notwendigkeit eines „robusten“ Vermittlungsmandats - offensichtlich ist doch, dass es Russland und die Ukraine es alleine nicht schaffen, sich zusammenzuraufen - und das auch beide nicht wollen. Auf ukrainischer Seite will es die Koalition der Willigen übrigens auch nicht, wenn die Modalitäten von Putin und Trump Grundlage von Verhandlungen sein sollten.



        Dann - so die Vorstellung der Starmers, Macrons und Merz‘ - die Ukraine lieber weiterkämpfen lassen, bis man 1. Trump endgültig von der europäischen/ukrainischen Position überzeugt hat, 2. in Washington wieder die Demokraten den Präsidenten stellen oder 3. Russland schon vorher wirtschaftlich schlapp macht und die Waffen streckt.



        Alles Strategien mit ungewissem Ausgang und für die Ukraine und seine europäischen Verbündeten extrem risikobehaftet.



        Wer hingegen „Frieden jetzt!“ will, muss es auf Grundlage der Anerkennung der russischen Gebietsgewinne tun und damit eine eklatante Verletzung des Völkerrechts in Kauf nehmen (die man im Falle Israels möglicherweise nicht so achselzuckend hinnehmen würde).