piwik no script img

Rundgang mit Google Street ViewWillkommen auf der Geisterinsel!

15 Kilometer von der japanischen Küste liegt die verlassene Insel Hashima. Google hat sie jetzt mit dem Programm Street View begehbar gemacht.

Mit Street View kann man sich auf Spurensuche durch die verlassene Stadt Hashima begeben. Tabelle: Screenshot Google Street View

In Skyfall bekämpfte James Bond den Bösewicht Raoul Silva auf einer kleinen Insel. Zwischen verfallenen Gebäuden hatte er sich sein Hauptquartier eingerichtet. Als Inspiration für diese Kulisse diente die kleine japanische Insel Hashima, die seit Jahren unbewohnt ist. Google hat einen Mitarbeiter mit Rucksackkamera über die Insel geschickt, so dass sie jetzt mit dem Programm Street View virtuell begehbar ist.

Gibt man „Hashima“ bei Google Maps ein, schwenkt die digitale Weltkugel auf eine kleine Insel im ostchinesischen Meer. In der Kartenansicht wird schnell klar, warum die Insel den Spitznamen Gunkanjima trägt. Übersetzt bedeutet das „Kriegsschiff-Insel“ und von oben betrachtet sieht es tatsächlich so aus, als ob ein klobiges langes Schiff im Wasser liegt.

In die Satellitenansicht gewechselt wird dieses Kriegsschiff zu einem kleinen Gebiet mit vielen grauen Blöcken, die sehr eng aneinander stehen. Es könnten Häuser sein, trotzdem wirkt die Insel unbewohnt, Straßen und Autos erkennt man auf den ersten Blick nicht. Tatsächlich haben die letzten Bewohner Hashima vor fast 40 Jahren verlassen.

Seit kurzen kann man sich online noch näher an die Insel bewegen. Google hat die verlassene Insel mit seinem Programm Street View zugänglich gemacht. Durch Klicken auf das typische orange Google-Maps-Männchen erscheint eine blaue Route, die über die gesamte Insel führt. Dort auf einer beliebigen Stelle markiert, befindet man sich plötzlich zwischen verlassenen Hochhäusern und eingefallenen Gebäuden. Auf der Straße liegt Geröll, Treppengeländer sind abgebrochen, Fenster herausgebrochen.

Musterstadt der japanischen Gesellschaft

Hier wurde auf Hashima im 19. Jahrhundert Kohle entdeckt und regelmäßig abgebaut. Es entwickelte sich die erste moderne Kohlemine. Unter der Leitung des Mitsubishi-Konzerns wurde ab 1916 ein fast 200 Meter langer Förderschacht und das erste Hochhaus aus Stahlbeton gebaut, es hatte sechs Etagen, heute als graue Blöcke auf Google-Maps erkennbar. Hashima galt damit als Musterstadt der japanischen Gesellschaft.

Der zweite Weltkrieg brachte der Insel grausame Jahre. Die japanische Belegschaft wurde gegen chinesische und koreanische Zwangsarbeiter ausgetauscht. Unter unmenschlichen Bedingungen starben hier über 1.000 Menschen in den Arbeitslagern, die Leichen wurden ins Meer geworfen. Wie unerträglich bedrückend die Situation gewesen sein muss, wird vorstellbar, wenn man das Google-Männchen auf einen Aussichtspunkt unweit der Insel platziert. Steile Betonwände riegeln Hashima ab und münden ins Meer. Fluchtmöglichkeiten gab es für die Arbeiter keine.

Nach dem zweiten Weltkrieg erlebte Hashima noch einmal einen Aufschwung. Arbeiter wurden mit überdurchschnittlichen Gehältern gelockt, die Menschen lebten dort besser als im Rest des Landes. Alles was es zum Leben brauchte, war auf der kleinen Insel vorhanden: Restaurants, ein Schwimmbad, Schulen, ein Krankenhaus. Auch heute noch sind die Überreste dieser Institutionen in Street View sichtbar.

Sichtbar ist bei der virtuellen Tour mit Street View über die Insel auch, wie eng der Raum war, auf dem die Menschen sich bewegten. Hier können keine Autos gefahren sein, die Straßen sind viel zu eng. Stattdessen findet man die Reste eines inneren Gangsystems, durch das die Leute sich bewegen konnten. Für Privatsphäre blieb dabei kein Platz mehr. Zu Hochzeiten lebten mehr als 5.000 Familien auf der Insel. Damit war sie zeitweise der Ort mit der höchsten Bevölkerungsdichte. Für jeden Arbeiter standen nur wenige Quadratmeter zur Verfügung.

Stille seit 1974

Im Januar 1974 wurde es sitill auf der Insel. Das Interesse an Kohle ließ nach, stattdessen wurde Öl als Rohstoff interessant. Von heute auf morgen waren alle Bewohner plötzlich arbeitslos und verließen Hashima innerhalb von wenigen Wochen. Kaputte Kinderräder, zerbrochene Flaschen, ein verstaubter Esstisch – wer sich mit Street View über die Insel bewegt, findet immer wieder Überreste der ehemaligen Bewohner. Die meisten Möbel und persönlichen Gegenstände wurden zurückgelassen, weil der Transport über das Meer zu aufwändig und kompliziert war.

Wegen Einsturzgefahr war das Betreten der Insel seitdem lange nicht erlaubt. Heute erinnert Hashima an ein ehemaliges Kriegsgebiet. Was einst ein Symbol des Fortschritts werden sollte, ist heute für viele Japaner ein Mahnmal für die zerstörende Seite der Industrialisierung.

Seit 2009 können Touristen die Stadt mit Booten umrunden, auf der Insel selbst wird eine gesicherte Tour angeboten. Wem eine Reise nach Japan zu weit ist, kann sich mit Street View jetzt auch virtuell und auf eigene Faust auf Entdeckungstour begeben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!