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Ruhig und deep

Nicht ohne weiteres kontemplativ: Frostiger Elektro-Pop und Ambient-Terror von Tarwater und Bohren & der Club of Gore zu Gast im Westwerk  ■ Von Alexander Diehl

Es ist eine gute Paarung, deren Beteiligte mit ihren jüngsten Veröffentlichungen das Interesse an ihrer Live-Erscheinung beträchtlich angefacht haben dürften. Mit Tarwater und Bohren & der Club of Gore teilen sich zwei Bands die Bühne, deren Tun bei allen offensichtlichen Unterschieden sich doch einige Zuschreibungen teilt. Aus unterschiedlichen Richtungen nähern sich beide einem Areal flächiger, vielleicht „filmisch“ zu nennender Musik, die auch den Gedanken an kontemplative Kulisse, vgl. auch Barmusik, durchaus zulässt.

Tarwater, im kunstinspirierten Ostberliner Vor-Wende-Untergrund verwurzelt, hatten sich vielerorts schon als eine jener neueren Pluckerelektronik-Formationen, wie sie in den letzten Jahren eben so zu vernehmen waren, ins Gespräch gebracht und behaglich eingerichtet. In England galten sie gleich als „new Krautrock“, und nicht wenige Rezensenten inspirierten sie zu Formulierungen wie „watteartig breitgefächerte Soundkonstruktionen“ oder „morbides wie elegantes Elektrotröpfeln“.

Da unterliefen die Herren die eingespielten Erwartungen mit einem Ausfallschritt in Richtung frostig-schöner Popsongs. Aus dem Fließen lugte jetzt das Liedhafte hervor, und so manches Melodiesprengsel hätte anderswo eine Singleauskopplung hergegeben. Schließlich, als wollte man auch die letzten „Ihr Knöpfchendreher!“-Rufer besänftigen, erweitern Tarwater sich auf der Konzertbühne – so geschehen beim tollen Konzert kürzlich auf der Popkomm. – um obligate Videoprojektionen zur optischen Reizung für die kürzere Aufmerksamkeitsspanne.

Die wird indes bei der anderen Band des Abends auf eine härtere Probe gestellt werden: Ein Konzert von Bohren & der Club of Gore ist eigentlich für sich schon eine Sensation. Denn die Mülheimer haben in den acht jahren ihres Bestehens nicht mal zehn Auftritte hinter sich gebracht – von denen wiederum die Handvoll Dabeigewesener unaufgefordert zu schwärmen beginnen. Die Chefin ihres Hamburger Labels merkt an, „ein halbes Jahr“ lang Überredung habe es gebraucht, um tatsächlich eine Tour hinzubekommen. Denn Bohren... sind eine Band, deren Mitglieder um die eigene Person beinahe so wenig Aufhebens machen wie vielleicht die Residents, am liebsten würden sie im Dunkeln spielen.

Dabei haben sie gar keinen Grund, sich zu verstecken. Ursprünglich als Metalband in den Proberaum gegangen, besann man sich, „nachdem Hardcore MTV-Musik wurde“, so der inzwischen am Klavier gelandete Morten Gass, auf schummerige Plüschschwere und verhallte Chris-Isaak- oder Twin Peaks-Vibes. Das erste Album wartete im Artwork mit Bruce-Lee- und Ruhrgebiets-Sonnenstudio-Trash auf, der eigentliche Aberwitz waren aber die Titel: „Sabbat schwarzer Highway“, „Dandys lungern durch die Nacht“ oder „Dangerflirt mit der Schlägerbitch“. Das daran abzulesende Humor-Verständnis führte zu manchem Missverständnis, denn Bohren... wollten mit der zeitgleich überbordenden Tarantino-sonstwas-Ironie nicht in Zusammenhang gebracht werden.

Folgerichtig hatte das zweite Album überhaupt keine Stücktitel mehr, gab sich stattdessen hermetisch-gesamtkunstwerkhaft als Doppel-CD mit nur noch numerierten, ellenlangen Tracks. Damals hätten Bohren... beinahe im Hamburger Planetarium gespielt, was für eine Vorstellung.

Kürzlich meldeten sie sich zurück, umbesetzt und in einer Art Jazz-Besetzung reinkarniert. (1996 bereits angekündigt: „Es soll etwas Neues geben, mit Saxophon und mehr Tasten, was auch den Mädchen gefällt.“) Spätestens jetzt verfolgen sie in einer ganz eigenen Liga die Vereinbarkeit von tiefblauem Spelunkenjazz und Doom-Metal (ohne Gitarren!), oder wie es andernorts so schön heißt, Slayer und Sade. Mit nieselregen-adäquatem, Horrorcomic- und -filmgeschultem Ambient-Terror werden sie vielleicht auch das Westwerk in eine ihrer bevorzugten Konzertsituationen versetzen: „Leute trinken, wir spielen Musik dazu.“

Sonnabend, 21 Uhr, Westwerk

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