Ruhe: Keine EM auf dem Domshof
Der Innensenator verbietet ein Public Viewing, weil der Bürgerschaftspräsident Christian Weber sich vom Lärm gestört fühlt. Dessen Partei ist verärgert.
BREMEN taz | Fußball gucken auf dem Domshof? Das war einmal. Während in der Vergangenheit bei Europa- und Weltmeisterschaften tausende Fans auf dem zentralen Platz zusammen kamen, lehnte das Stadtamt jetzt zwei Anfragen zum Public Viewing für EM-Finalspiele mit deutscher Beteiligung ab. Aber nicht aus organisatorischen, sondern explizit aus politischen Gründen.
„Generell ist es so, dass größere Veranstaltungen und solche, die zur Belästigung führen, derzeit nicht genehmigt werden“, sagte gestern Rainer Gausepohl, Sprecher des Innensenators Ulrich Mäurer auf Nachfrage der taz. Mäurer habe das Stadtamt darum gebeten, angesichts der laufenden Debatte keine weiteren Veranstaltungen zuzulassen.
Gemeint ist damit eine „Resolution“ der Marktplatz-Anrainer vom 19. Juni, die sich darin über einen „Wildwuchs“ an Veranstaltungen und über laute Musik beschweren. Allerdings nicht auf dem Domshof, sondern auf dem benachbarten Marktplatz. Gestört fühlen sich die Anrainer wie Handelskammer, Gastronomen und Kirchen offenbar schon länger, aber erst das Punk-Festival „Métissage“ am 15. Juni brachte sie dazu, sich öffentlich zu wehren. „Lautstarke Instrumente sowie elektronische Geräte wie Verstärker oder Lautsprecher“ wollen sie auf dem Marktplatz jetzt verboten wissen.
Pikant ist, dass die Resolution ausgerechnet in der Bürgerschaft verabschiedet wurde. Genauer: beim Präsidenten der Bürgerschaft, Christian Weber. Der kämpft seit dem Jahr 2000 für Ordnung und Ruhe vor den Fenstern seines Arbeitsplatzes. 2005 schuf er die „Bannstufe“ und verbot Demonstranten das Betreten der Stufen des Bürgerschaftsgebäudes. Auch Demo-Fotos aus dem Foyer sind selbst für JournalistInnen auf Webers Wunsch nicht mehr erlaubt.
Mit seiner Partei, der SPD, hat der 65-Jährige auch seinen jüngsten Vorstoß nicht abgestimmt. „Wir sind der Auffassung, dass der Marktplatz für alle Bürgerinnen und Bürger offen sein muss“, sagte gestern der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sükrü Senkal. Er wundert sich über die Entscheidung des Innensenators, ebenfalls SPD-Mitglied, die zwei angemeldeten Public Viewings abzulehnen. „Wenn Senator Mäurer mit Hinweis auf die laufende politische Diskussion Veranstaltungen verbietet, dann geht das nicht auf die SPD-Fraktion zurück“, so Senkal. Sowohl er als auch sein Kollege Björn Fecker von den Grünen wollen das Thema in der heutigen Sitzung der Innendeputation ansprechen.
Dabei können sie auf Unterstützung durch die CDU zählen. Denn selbst der gehen die Verbote zu weit. Ihrem innenpolitischen Sprecher, Wilfried Hinners, scheint das alles „sehr restriktiv“. Man könne prüfen, ob wirklich jede Veranstaltung dort stattfinden muss. Dass aber eine gerade erst begonnene Diskussion dazu führt, dass ein Public Viewing abgesagt wird, hält er für problematisch.
Der Veranstalter des EM-Halbfinal-Fernsehens am Donnerstag wollte sich gestern nicht beklagen. Zwar sei der Domshof wesentlich verkehrsgünstiger gelegen – und damit für mehr potenzielle ZuschauerInnen attraktiv – aber die Ausweichfläche in der Überseestadt habe den Vorteil, dass es dort nicht so „beengt“ sei, sagte gestern Tobias Meisner, Geschäftsführer der Veranstaltungsagentur Lite Life.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind