Rücktrittsforderung in Puerto Rico: Der trotzige Gouverneur
In Puerto Rico protestieren die Menschen gegen Gouverneur Rosselló. Obwohl dieser kaum mehr Unterstützung hat, will er nicht gehen.
Dessen Auftritt vom Vortag, bei dem er trotzig auf der „Kontinuität der Regierungsgeschäfte“ bestand, hatte die Wut noch größer gemacht. Spät in der Nacht zum Dienstag war seine Residenz im Herzen der Inselhauptstadt San Juan immer noch von DemonstrantInnen umlagert. Sie verlangen jetzt, dass er die Insel verlässt.
Letzter Auslöser für die Proteste war die Enthüllung von Textnachrichten, die sich Gouverneur Rosselló und Leute aus seinem engsten Kreis mit dem Messenger-Dienst „Telegram“ gegenseitig zugeschickt hatten.
Die Texte sind gespickt mit homophoben und sexistischen Witzen; mit Gewaltfantasien gegen Frauen, darunter auch gegen die Bürgermeisterin von San Juan, Carmen Yulín Cruz, die ein Berater von Rosselló „abknallen“ möchte. Darauf die Antwort des Gouverneurs: „Damit würdest du mir einen großen Gefallen tun.“
Zudem fallen Bemerkungen des Gouverneurs bezüglich des Hurrikans: „Haben wir keine Leichen, die wir den Krähen vorwerfen können?“ Bei der Naturkatastrophe kamen mehr als 3.000 Menschen ums Leben, fast doppelt so viele wie nach Hurrikan „Katrina“ in New Orleans im Sommer 2005.
Gouverneur „korrupt und inkompetent“
Seit das Zentrum für investigativen Journalismus die 889 Seiten Textnachrichten am 13. Juli veröffentlicht hat, reißen die Proteste gegen Rosselló nicht ab. Neun Tage nach deren Beginn veröffentlichte Rosselló am Sonntag ein Video auf Facebook, in dem er erklärte, er sei bereit, vom Vorsitz seiner Partei zurückzutreten und auf eine neue Kandidatur als Gouverneur Ende nächsten Jahres zu verzichten. Seinen Rücktritt lehnte er jedoch ab.
Während DemonstrantInnen daraufhin den Expreso Las Américas, die Hauptverkehrsader von San Juan, sowie den Hafen der Stadt besetzten, gab Rosselló dem rechten US-amerikanischen Fernsehsender Fox ein Interview. Darin konnte er nur einen einzigen Unterstützer seines Machtverbleibs namentlich nennen: den Bürgermeister von San Sebastián Javier Jiménez. Schon Minuten später dementierte dieser seine Unterstützung für Rosselló.
Auch aus dem Weißen Haus bekam Rosselló am Montag Gegenwind: Donald Trump erklärte, der Gouverneur sei „korrupt und inkompetent“. Der US-Präsident weitete seine Kritik auch auf die Bürgermeisterin von San Juan aus, die ihn nach dem Hurrikan öffentlich kritisiert hatte, weil Hilfsgüter zu spät und zu spärlich auf die Insel kamen.
Am Montag behauptete Trump, Puerto Rico hätte 92 Milliarden US-Dollar an Hilfsgeldern nach der Katastrophe bekommen. Tatsächlich hat die Insel bislang nur 14 Milliarden der geplanten 42,5 Milliarden Dollar als Hilfe erhalten.
Eine bereits geschwächte Insel
Am Montag ging jedeR sechste BewohnerIn von Puerto Rico auf die Straße. Die Breite der Proteste zeugt von Ärger, der tiefer geht und weiter zurückreicht als ein korrupter und herablassender Gouverneur.
Schon 2017 musste sich Puerto Rico angesichts eines Schuldenbergs von 74 Milliarden Dollar für zahlungsunfähig erklären. Anschließend stellte der US-Kongress die Insel unter Zwangsverwaltung. Washington benannte eine Junta, die einen Austeritätsplan für Puerto Rico entwickelte.
Zu den schmerzhaften Maßnahmen, die die Junta anordnete, gehören Schließungen von Krankenhäusern, das Ende von weiten Teilen des öffentlichen Nahverkehrs sowie umfassende Privatisierungen.
Wenig später kam mit Hurrikan „Maria“ im September 2017 die nächste Katastrophe für die bereits geschwächte Insel. Der Tropensturm zerstörte tausende Häuser sowie das Straßennetz und verursachte den Zusammenbruch der Telefon-, Strom- und Trinkwasserversorgung.
Anders als in Texas und Florida, wo gleichzeitig Stürme wüteten, bekam Puerto Rico nur tröpfchenweise Hilfe aus Washington. Als Trump der zerstörten Insel eine mehrstündige Stippvisite abstattete, warf er bei einer Versammlung mit Überlebenden der Katastrophe Küchenpapierrollen in die Menge.
Zwischen Missachtung und Korruption
Nach Hurrikan „Maria“ ging die Privatisierung auf der zerstörten Insel noch rasanter voran. Gouverneur Rossellós Erziehungsministerin Julia Keleher, die mehr als 100 Schulen auf der Insel schließen ließ und stattdessen Charter-Privatschulen förderte, sorgte für besondere Empörung über ihre Privatisiererungen.
Anfang dieses Monats wurde Keleher – nur wenige Tage vor der Enthüllung der Textnachrichten – zusammen mit mehreren anderen ehemaligen Regierungsmitarbeitern in einer spektakulären Aktion des FBI verhaftet. Die frühere Erziehungsministerin ist jetzt wegen Korruption angeklagt. Sie soll öffentliche Gelder an unqualifizierte, aber politisch vernetzte Auftragnehmer gegeben haben.
Zwischen der Missachtung aus Washington und der Korruption in der eigenen Regierung sahen sich viele InselbewohnerInnen zum Exodus gezwungen. Im letzten Jahrzehnt haben bereits mehr als 700.000 Menschen die Insel verlassen. Allein seit „Maria“ flüchteten mehr als 100.000 von Puerto Rico auf das Festland. Von den zurückgebliebenen 3,2 Millionen leben die Hälfte unter der Armutsgrenze.
Verbindende Forderung auf der Straße
Zu ihrer ökonomischen Misere kommt hinzu, dass sie kaum politisches Mitspracherecht haben. Die Insel ist ein sogenanntes Außengebiet der USA, ihre BewohnerInnen sind BürgerInnen zweiter Klasse. Sie können ihren Gouverneur wählen, aber dessen Handlungsspielraum ist durch den von Washington bestimmten Austeritätsplan eingeschränkt. Die Abgeordneten der Insel im US-Kongress haben kein Stimmrecht und bei Präsidentschaftswahlen darf Puerto Rico nicht mitwählen.
Es sieht aus, als würden die Proteste gegen Korruption und für Demokratie auf der zerstörten Karibikinsel weitergehen. Dabei ist sich das ansonsten politisch tief gespaltene Puerto Rico dieses Mal völlig einig. Die gemeinsame Forderung ist Rossellós Rücktritt.
Doch das Ende des Gouverneurs könnte zugleich für den Einbruch des Zweiparteiensystems auf der Insel sorgen. Und auch die Fremdbestimmung aus Washington ist plötzlich ein Thema auf der Straße. Immer häufiger tauchen dort Parolen auf wie: „Rosselló verschwinde. Und nimm die Junta gleich mit“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin