Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium: Hamburger CDU kupfert Idee ab
Das Abitur nach neun Jahren soll an Gymnasien wieder möglich sein, fordert der Landesvorstand. Dies Wahlversprechen hatte der CDU in Kiel zum Sieg verholfen.
Etwas Frisches in dem Antragspaket findet sich auch. Ein „Ergänzungsantrag“ des CDU-Landesvorstands schaffte es Freitag früh auf den Titel des Hamburger Abendblatts. „Vorstoß für den Wahlkampf 2020“ stand dort. „CDU: Wieder Abitur nach neun Jahren an Hamburger Gymnasien“.
Man brauche für die Wahlkampagne ein bildungspolitisches Thema, wird ein einflussreicher CDU-Politiker zitiert. In guter Erinnerung ist der Wahlerfolg, den Daniel Günther in Schleswig-Holstein einfuhr, als er dort die Abschaffung des Turbo-Abiturs versprach. Auch die CDU in Bremen setzt auf dieses Pferd. Laut Umfragen sind 83 Prozent der Bremer für „G9“.
„Auch Nachteile“ durch G8
CDU-Hamburg Chef Roland Heintze sagt, man wolle die Sache mal debattieren. Wo auch immer er mit Eltern spreche, äußerten sie, dass ihre Kinder mehr Zeit zum Lernen bräuchten. Die Umstellung auf G8 habe „auch Nachteile gebracht“, heißt es in Heintzes-Antrag. Zum Beispiel in Bezug auf „außerschulisches Engagement, die ausreichende Vertiefung des Lernstoffs und Persönlichkeitsentwicklung“. Auch dass die Uni Abiturienten mit Kursen fit fürs Studium machen müsse, „kann nicht richtig sein“.
Hamburg führte das auf zwölf Jahre verkürzte Abitur im Jahr 2002 unter der damaligen CDU/FDP/Schill-Regierung ein. Der erste Abi-Jahrgang verließ 2010 die Gymnasien.
Es gibt zwei Säulen: Ab der 5. Klasse können die Kinder bzw. die Eltern zwischen 58 Stadtteilschulen und 61 Gymnasien wählen. Auch die zweite Säule bietet das Abitur an – und zwar nach 13 Jahren. Das erreicht jeder Dritte.
2014 versuchte die Volksinitiative „G 9 HH jetzt“ die Rückkehr zum neunjährigen Abitur an Gymnasien durchzusetzen. Die von Eltern und enttäuschten CDU-Mitgliedern getragene Initiative scheiterte an der zweiten Hürde in diesem Verfahren für direkte Demokratie.
Es gelang dem Team aus rund 50 Sammlern nicht, in drei Wochen 63.000 Unterschriften zu sammeln. Es waren es nur 45.000 Unterschriften.
Die CDU unterstützte die Volksinitiative damals nicht bei ihrem Vorhaben.
Konkret schwebt dem Landesvorstand eine Lösung vor, die Rücksicht auf die Hamburger Schullandschaft nehmen soll. Zum Beispiel könnten die 61 Gymnasien einmalig entscheiden, ob sie zum G9 zurück wollen oder nicht. Oder sie könnten zwei Zweige mit G8 und G9 führen oder aber eine „individuelle Lernzeitverlängerung bis zum Abitur“ ermöglichen.
Der Vorstoß löst Aufregung aus. Gehört es doch eigentlich zum zwischen den Parteien verabredeten „Schulfrieden“, dass die zwei Säulen-Struktur aus Stadtteilschule und Gymnasium unangetastet bleibt und man der Stadtteilschule das längere G9 exklusiv überlässt, damit sie auch für bildungsnahe Familien attraktiv ist.
Schluss mit Schulfrieden
„Die CDU beendet den Schulfrieden“, so formuliert es Anna Ammonn von der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule. Sie nehme seit längerer Zeit wahr, dass die CDU die Stadtteilschule gerne als Schulform für die frühere Haupt- und Realschule sähe. Wird der Stadtteilschule ihr Alleinstellungsmerkmal genommen, könne man gern über das längere gemeinsame Lernen diskutieren.
Auch Schulpolitiker von SPD und Grünen zeigten sich alarmiert. „Wir wollen die Schulen lieber in Ruhe arbeiten lassen“, sagt Barbara Duden von der SPD. Zumal Hamburg seinen Leistungen im bundesweiten Vergleich verbessere. Auch der Grüne Olaf Duge sagt, er stehe zum Schulfrieden und zur „erfolgreichen Schulstruktur“. Und Schulsenator Ties Rabe sagt: „Wir haben in Hamburg bereits jetzt G9 flächendeckend, nämlich an den Stadtteilschulen.“ Damit sei Hamburg „besser aufgestellt als alle anderen Bundesländer“.
Die Schulpolitikerin der Linken, Sabine Boeddinghaus, ehemals Begründerin der Volksinitiative „Schule für alle“, sagt indes, dass sie den CDU-Vorstoß für mehr Lernzeit „aus pädagogischer Sicht begrüßt“. Nur müsse man, wenn diese Frage auf den Tisch kommt, auch gleich das Zwei-Säulen-Modell aufbrechen. „Auch das begrüße ich sehr.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Absturz der Kryptowährung $LIBRA
Argentiniens Präsident Milei lässt Kryptowährung crashen
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören