Rückkehr des Libero: Liebe zum freien Mann
Bayern-Trainer Pep Guardiola wiederbelebt den übel beleumundeten Liberoposten. Auf seiner früheren Position soll nun Bastian Schweinsteiger wirken.
MÜNCHEN taz | Die Nervosität bekämpft Pep Guardiola mit Gymnastik. Der Mann, der heute Trainer des FC Bayern München ist, hat sich in den Fitnessraum zurückgezogen, dehnt die Sehnen, kräftigt den Rücken, um nicht mitzubekommen, wie in der Umkleidekabine die Mannschaft für das Spiel am nächsten Tag bekannt gegeben wird.
Es ist der 15. Dezember 1990. Seine Mitspieler platzen schließlich mit der Nachricht in den Fitnessraum: Er darf tags darauf gegen Cádiz tatsächlich wie erträumt zum ersten Mal für die Profis des FC Barcelona spielen. Guardiola ist 19, sein Haar schwarz und dicht. Die Position, die er gegen Cádiz und danach ein Jahrzehnt für Barca besetzen wird, nennt die Sportzeitung Mundo Deportivo „vorgezogener Libero“.
Heute, zwei Jahrzehnte später, wird über den Libero meist nur noch mit einem Lächeln gesprochen, eine untergegangene Figur, in Deutschland gar das Symbol für die taktische Rückständigkeit des Landes während der Neunziger. Doch nun hat ironischerweise der als modernster Lehrmeister gepriesene Katalane Pep Guardiola den Libero effektiv nach Deutschland zurückgebracht.
Seine bemerkenswerteste Neuerung als Trainer von Bayern München besteht darin, Bastian Schweinsteiger in den jungen Guardiola verwandeln zu wollen: Aus der Tiefe der Abwehr heraus steuert der nominelle Mittelfeldspieler das Spiel mit seinen Pässen. Das ist das Spiel des Liberos. Auch wenn der Fußballbetrieb von heute mit seiner verquasten Sprache vielleicht lieber vom „abkippenden Sechser“ spricht.
Aus Liebe zum Aufbauspiel
Pep Guardiola sammelt sich einen Moment, bevor er die Rückkehr des Liberos erklärt. Es ist ein kühler, verregneter Mittag einige Tage vor dem Spiel gegen Moskau, aber er trägt T-Shirt und kurze Hose. Er hat den warmen Bürotrakt des FC Bayern um 13 Uhr offenbar noch nicht verlassen, ein bisschen erinnert es an einen Studenten mittags im Schlafanzug: so vertieft in die Studienarbeit, dass er weder Wetter noch die eigene Kleidung wahrnimmt.
Nahezu alle Teams stellen vor die Abwehr ein oder zwei defensiv orientierte Mittelfeldspieler, Wellenbrecher; warum lässt er bei Bayern dort einen kreativen Fußballer wie Schweinsteiger agieren, und auch noch weit zurückgezogen, oft auf Höhe der Innenverteidiger? „Weil ich das Aufbauspiel zu sehr liebe“, sagt Guardiola.
Er hat sich als Spieler unsterblich verliebt in diese präzisen Pässe aus der Tiefe, die den Rhythmus setzen. Aber weil in Deutschland anders als in Spanien „viele Gegner beim Pressing unsere zwei Innenverteidiger nicht nur mit einem, sondern mit zwei Stürmern attackieren“, fand Guardiola, „passten unsere Verteidiger zu oft zum Torwart zurück“, der dann den Ball auf die Flügel schlug. Deshalb versetzte er Bastian Schweinsteiger als dritten, freien Mann nach hinten, um das eigene Spiel aus der letzten Reihe mit Flachpässen zu eröffnen.
Beeindruckt von der Bundesliga
Auf herrliche Art klingt Guardiola erschüttert, wenn er von seinen ersten Eindrücken in der Bundesliga spricht. „Die Stärke der Liga sind die Konter, in fünf Sekunden hin und in fünf Sekunden her“, ein unausgesprochenes „Madre mia!“ hängt in der Luft. „Ich liebe aber die Kontrolle. Mit Bastian auf Höhe der Abwehr habe ich mehr Kontrolle über die Konter.“ Er lächelt. „Konntest du mich verstehen? Gut! Dann kann ich wohl Deutsch!“
Für die Bayern-Profis bedeutet Guardiolas Idee von der Kontrolle durch ständiges Passen, dass sie den Fußball noch einmal auf neue Art lernen müssen. Nach einer Saison, in der sie alles gewannen, ist dies nicht leicht anzusehen: Bislang ist der FC Bayern so sehr damit beschäftigt, die präzisen Pässe hinzukriegen, dass er selten Tempo ins Spiel bekommt. Der Kontrollfußball bleibt monoton. Die Klasse der Spieler ist so hoch, dass Bayern im Alltag meist auch so siegt.
Ein Lächeln geht im Gesicht von Pep Guardiola auf. Vielleicht, sagt das Lächeln, müsse man gar keine rationale Erklärung für seine Idee suchen, selbst defensive Positionen mit kreativen Mittelfeldspielern zu besetzen. „Ich bin einfach ein Super-Fan von Mittelfeldspielern“, sagt er und macht sein ultimatives Geständnis: „Ich liebe Mittelfeldspieler.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen