Rückgabe von NS-Raubkunst wird evaluiert: Ist der Welfenschatz Nazi-Diebesgut?
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gibt nach: Kommission entscheidet darüber, ob die sakrale Kunst 1935 jüdischen Händlern entzogen wurde.
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Eines der zugleich wertvollsten und berühmtesten Kunstwerke Deutschlands wird zu einem Fall von möglicher NS-Raubkunst. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) hat am Montag zugestimmt, dass die Beratende Kommission überprüft, ob der sogenannte Welfenschatz den jüdischen Besitzern im Nationalsozialismus unrechtmäßig entzogen worden ist.
Der Schatz gilt als einer der bedeutendsten Kirchenschätze des Mittelalters und wurde 2014 auf einen Wert von 300 Millionen US-Dollar geschätzt. Es handelt sich um 42 sakrale Goldschmiedearbeiten aus dem Braunschweiger Dom. Weitere Teil befinden sich im Cleveland Museum of Art und dem Art Institute of Chicago.
1929 war der Welfenschatz in den Besitz von vier jüdischen Kunsthändler gekommen, weil die Vorbesitzer, die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, in Geldnot gekommen waren. 1935 kaufte Preußen unter Ministerpräsident Hermann Göring die Kunstgegenstände den Händlern ab. Gestritten wird über die Frage, ob dieser Verkauf rechtmäßig oder unter Zwang erfolgte.
2014 hatte die Beratende Kommission NS-Raubkunst erklärt, es handele sich nicht um einen verfolgungsbedingten Verkauf. Doch inzwischen sind neue Dokumente aufgetaucht. Danach sollte die jüdische Mitbesitzerin Alice Koch vor einer Flucht aus Nazi-Deutschland in die Schweiz 1.155.000 Mark an „Reichsfluchtsteuer“ zahlen – Geld, das sie nur durch den Verkauf ihrer Anteile aufbringen konnte.
Rückgaben voranbringen
Trotzdem weigerte sich sie Preußen-Stiftung zunächst, einer erneuten Überprüfung der Besitzverhältnisse zuzustimmen. Die Rede war von „noch offenen Fragen“ und „nicht ausreichend“ geklärten Ansprüchen. Wegen dieser Blockadehaltung geriet die Stiftung zunehmend unter Druck. Zuletzt hatte der Chef der Beratenden Kommission, der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier, darauf hingewiesen, dass die Stiftung verpflichtet sei, einer Anrufung „unverzüglich“ zuzustimmen. Dem ist die SPK nun nachgekommen.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) begrüßte die Entscheidung: Aus der Geschichte der Verfolgung vor allem jüdischer Menschen im und durch das nationalsozialistische Deutschland ergebe sich eine besondere Verantwortung, Rückgaben voranzubringen, erklärte sie.
Die Erben der vier jüdischen Kunsthändler reagierten ebenfalls positiv. Ihr Rechtsanwalt Markus Stötzel erklärte, man habe Vertrauen in die Kommission und erwarte eine faire und gerechte Lösung.
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