Rückenwind für Bremer Paritégesetz: Als notwendig erachtet
Im Gleichstellungsausschuss sprechen sich die Vertreter*innen der Regierungskoalition für ein Paritégesetz für Bremen aus.
![Die Mitglieder der Bremischen Bürgerschaft sitzen im provisorischen Plenarsaal im Rathaus. Die Mitglieder der Bremischen Bürgerschaft sitzen im provisorischen Plenarsaal im Rathaus.](https://taz.de/picture/3875657/14/123639971-1.jpeg)
Noch immer dominieren Männer die deutschen Parlamente. Das ist auch in Bremen nicht anders – obwohl der Stadtstaat mit 37 Prozent im bundesdeutschen Vergleich einen der höchsten Frauenanteile aufweist.
Kritiker*innen des Gesetzes glauben, dass es einen zu großen Eingriff in die Wahl- und Parteienfreiheit darstelle. Das sei eine Verdrehung der Realität, sagte die Juristin Helga Laskowski. „Tatsächlich ist das Volk aufgrund der Aufstellungspraktiken der Parteien dazu gezwungen, überproportional Männer zu wählen. Diese Männerquote verstößt gegen die Wahlfreiheit.“ Deshalb stehe die Verfassungsmäßigkeit eines Paritégesetzes außer Frage – der Artikel 3 des Grundgesetzes schreibt vor, dass sich der Staat für die Beseitigung bestehender Nachteile in der Gleichberechtigung von Frauen und Männern einsetzt.
Die Vertreter*innen der rot-grün-roten Regierungskoalition signalisierten im Ausschuss eindringlich, dass sie einen Vorstoß für notwendig halten. Lediglich im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Bremischen Wahlsystem wurden Zweifel laut. Ein Volksbegehren hatte 2011 erreicht, die starre Listenwahl aufzubrechen. Seitdem haben die Wähler*innen fünf Stimmen zur Verfügung, die gebündelt und einzelnen Personen der Wahlliste zugeteilt werden können.
Silke Laskowski, Universität Kassel
Wilko Zicht war damals entscheidend an der Wahlrechtsänderung beteiligt. Er glaubt, dass sich ein Paritégesetz als kompliziert herausstellen könnte: „Was passiert, wenn erst eine Liste und dann zwei männliche Kandidaten angekreuzt werden – sind dann alle Kreuze ungültig?“ Für Laskowski stellt das kein Hindernis dar: „Die Stimmen müssten von den Wähler*innen paritätisch auf die Geschlechter verteilt werden. Statt den jetzigen fünf Kreuzen würde es dann eben vier oder sechs geben.“
Die konservativen Vertreter*innen im Ausschuss brachten grundsätzlichere Skepsis zum Ausdruck: „Ich möchte nicht als Quotenfrau gelten“, sagte Sina Dertwinkel (CDU). Auch die Umsetzung eines Paritégesetzes sei für ihre Partei schwierig: „Nur 25 Prozent unserer Mitglieder sind Frauen – bei der vergangenen Bürgerschaftswahl haben wir intensiv nach Frauen gesucht, aber wir können auch niemanden zwingen.“
Für Laskowski sind das faule Ausreden: „Die Parteien müssen früh genug nach Frauen suchen und auch für Externe offen sein.“ Der Blick nach Frankreich zeige, dass das Gesetz zu einem Lernprozess und Kulturwandel bei den Parteien geführt habe. „Nur bei den nationalen Wahlen wurde lieber auf Millionen staatlicher Gelder statt auf Männer verzichtet.“ Auf allen anderen Wahlebenen habe das Paritégesetz hingegen schnell zu einem gleichen Anteil von Frauen und Männern in den Parlamenten geführt.
Immer wieder wird jedoch ein weiterer Vorwurf gegen das Gesetz laut: Es schreibe eine binäre Geschlechterordnung fest. Weil Menschen, die weder der männlichen noch der weiblichen Kategorie zugehören, diskriminiert würden, reichte die Piratenpartei in Brandenburg Beschwerde beim Landesverfassungsgericht ein.
Für Maja Tegeler, Ausschussmitglied der Linken, ist das ein Irrtum: „Das Gesetz würde auch diverser aufgestellten Menschen helfen – es ist ein Bruch mit patriarchalen Strukturen, der den Raum für nächste Schritte öffnen wird.“ In Thüringen sei eine gute Lösung gefunden worden. Diverse können sich hier auf jedem beliebigen Listenplatz aufstellen lassen. Wenn davor ein Mann stand, muss danach wieder eine Frau kommen. Nur die Regelung aus Brandenburg dürfe sich in Bremen nicht wiederholen: „Hier wurden Diverse gezwungen, sich einem der beiden Geschlechter zuzuordnen.“
Die Diskussion zeigte, dass ein paritätisches Wahlgesetz nicht alle Probleme lösen kann. Die stellvertretende Ausschussvorsitzende Henrike Müller (Grüne) sagte: „Der Politikbetrieb ist schlicht für Männer gemacht.“
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