„Rote Listen“ bedrohter Arten in Berlin: Adieu, Eintagsfliege
Die aktuellen „Roten Listen“ bedrohter Tier- und Pflanzenarten wurden am Dienstag dem Staatssekretär für Umwelt und Klimaschutz übergeben.
Sieht man Berlin von oben an, fällt auf: Zwischen Straßen und Häusern gibt es auch viel Grün. Und wo Grün ist, ist auch Leben, ob man es wahrnimmt oder nicht. „Wir wissen, dass die Stadt ein Mosaik von Lebensräumen ist“, sagt Ingo Kowarik, Landesbeauftragter für Naturschutz und Landespflege und Professor für Pflanzenökologie an der Technischen Universität (TU), bei der Vorstellung der neuen „Roten Listen“ am Dienstag.
Die Listen geben Auskunft darüber, welche Tier- und Pflanzenarten in Berlin vorkommen – und wie gefährdet sie sind. Seit der Ökologe Herbert Sukopp 1966 mit der Auflistung des Artenbestands begann, werden die Roten Listen alle zehn Jahre aktualisiert. So wird festgehalten, welche Arten wie oft und wo vorkommen und welche in Berlin vielleicht schon ausgestorben sind. Damit ist die Liste auch eine Entscheidungshilfe für die Verwaltung, um Eingriffe in die Natur und deren Schutzbedürftigkeit zu bewerten.
In Berlin gibt es etwa 20.000 verschiedene Tier- und Pflanzenarten. In der neuesten Auswertung wurden 22 Artengruppen, knapp 5.000 verschiedene Arten, bearbeitet. Das Ergebnis: Über ein Drittel davon wurde in die Roten Listen aufgenommen. Fast 2.000 Arten sind bedroht oder bereits ausgestorben – etwa das Rebhuhn. Davon fanden die Experten kein einziges Exemplar mehr.
Der Hirschkäfer ist zwar noch anzutreffen, aber stark gefährdet. Genau wie 75 Prozent der Amphibienarten, die Hälfte aller Brutvögel und Moose – und die Eintagsfliege. Gründe für deren Verschwinden sind die zunehmende Bebauung der Stadt, Gebäudesanierungen und die Absenkung des Grundwassers. Dabei braucht die Stadt biologische Vielfalt. Denn die fördert die Lebensqualität.
Positive Überraschung
Gleichzeitig besagt die Auswertung aber auch, dass zwei Drittel der in Berlin bekannten Tier- und Pflanzenarten nicht gefährdet sind und im Einklang mit den über 3,5 Millionen Bewohnern der Stadt leben können. Kranich und Seeadler sind dauerhaft ansässig, und auch Flechten scheinen sich in der Stadtluft wohl zu fühlen. Es gibt auch positive Überraschungen: Der Gänsesäger, eine Entenart, wurde seit 1945 erstmals wieder im Wedding gesichtet. „In Berlin ist die Artenvielfalt sogar besser als auf dem umliegenden Land“, sagt Stefan Tidow, Staatssekretär für Umwelt und Klimaschutz. Das liege an den großen Grünflächenanteilen in der Stadt: „Rund 40 Prozent der Berliner Landesfläche sind Frei- oder Grünflächen. Das bedeutet eine Vielfalt an biologischem Reichtum.“
Auch wenn die Stadt wächst, bedeutet das nicht, dass die zahlreichen Tier- und Pflanzenarten aus ihrem Lebensraum verdrängt werden müssen. „Wir haben es mit der Stadtentwicklung in der Hand, biologische Vielfalt zu sichern und zu fördern“, sagt Kowarik. Und zum Schutz der biologischen Vielfalt kann und sollte jeder etwas tun: vom Kleingarten zum begrünten Balkon. „Denn Artenvielfalt ist kein ökologischer Schabernack“, so Tidow, „sondern unsere Lebensversicherung.“
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