Rollschuhläuferin auf Instagram: Rollt bei ihr

Oumi Jantas Rollschuhvideo war der Sommerhit 2020. Jetzt entwirft sie Sportschuhe und modelt für Autofirmen. Hinter dem Erfolg steckt harte Arbeit.

Jam-Skaterin Oumi Janta Foto: Waldemar Vadim Michel

Am 22. Juni filmt sich Oumi Janta beim Training auf ihren Rollschuhen. Die Neuköllnerin stellt ihre Handykamera auf den Boden und gleitet zu Soul-Musik über das Tempelhofer Feld. Im Hintergrund rauschen Sportler:innen auf Skateboards, Fahrrädern und Rollschuhen an ihr vorbei. Sie stellt das Video anschließend auf Instagram. Das macht sie immer so.

Das Video vom 22. Juni hat inzwischen über zweieinhalb Millionen Klicks, und Oumi Janta ist ein internationaler Star. Warum kam ausgerechnet dieses Video so gut an? Vielleicht sind es ihre Bewegungen, die so geschmeidig sind, dass man meinen könnte, sie schwebe über dem Asphalt. Vielleicht ist es aber auch dieser private Moment am Ende des Videos, als ihr eine Bekannte in den Weg springt und sie kurzerhand umarmt.

Schließlich weiß außer den Programmierer:innen im Silicon Valley niemand so genau, welche Videos der Algorithmus der Plattform bevorzugt und welche nicht. „Ich war baff. Keine Ahnung, warum es dieses Video geschafft hat“, erzählt sie bei einem Treffen in einem Café im Berliner Stadtteil Neukölln.

Zwei Wochen nach dem Upload des Videos schrieb ihr ein Freund: „Oumi, da passiert etwas.“ Erst tausend Klicks, dann hunderttausend, schließlich mehrere Millionen. Emmy-Gewinnerin Viola Davis und die R’n’B-Legende Alicia Keys ­teilen zusammen mit dem Hip-Hop-­Produzenten Timbaland den Clip vom Tempelhofer Feld.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Ab diesem Zeitpunkt vibriert ihr Handy beinahe durchgehend: „Du musst dir vorstellen, du beantwortest fünf E-Mails und in der gleichen Zeit kommen zwanzig neue rein“, erzählt sie. Vor Anfragen kann sie sich kaum retten, ein Medientermin folgt auf den anderen.

Zu unserem Treffen in Neukölln kommt Oumi Janta mit dem Fahrrad. Sie ist in Steglitz und Neukölln aufgewachsen. „Wenn du aus Berlin bist, willst du auch in Berlin bleiben“, sagt sie. Zwischendurch erzählt sie mit großer Begeisterung von ihren neuen Bluetoothkopfhörern, die sich automatisch mit ihrem ebenfalls neuen Handy verbinden können. Nachdem so viel über Oumi Janta berichtet worden war, hat ihr Telefonanbieter ihr die beiden Geräte kommentarlos zuschicken lassen. Das alte Handy hat sie trotzdem immer noch dabei. „Ich muss mich erst noch an die Größe meines neuen Handys gewöhnen.“

Auf die Frage, ob sie schon immer berühmt werden wollte, antwortet sie: „Ich fand die ganzen berühmten Leute cool, aber ich stellte mir das auch anstrengend vor, wenn jeder einen kennt. Ich wollte immer lieber erfolgreich als berühmt sein.“ Mittlerweile ist sie beides, erfolgreich und berühmt. Wie es sich anfühlt? „Ich muss sagen, es ist krass.“

Die Medien lieben die 29-Jährige und erzählen ihre Geschichte als modernes Aschenputtel-Märchen. Doch hinter ihrem Erfolg stecken zwei Dinge: hartes Training und viel Planung.

Sie trainiert täglich, bietet zwei Mal in der Woche Kurse in ihrem Jamskate-Club an und ist in Kontakt mit der Community in Amerika. Janta stand vor sieben Jahren das erste Mal auf Schuhen mit vier Rädern. Durch ein Plakat war sie auf eine Rollschuhparty aufmerksam geworden, sie war sofort begeistert.

Seitdem ist sie so etwas wie der Kopf der Berliner Skatecommunity geworden. Im vergangenen Jahr hat sie ihren Job als Juniordesignerin bei einem Berliner Optiker gekündigt. „Irgendwann hat es sich so aufgestaut, dass ich an einem Tag hingegangen bin und meine Kündigung eingereicht habe. Ich möchte nicht leben, um zu arbeiten, sondern arbeiten, um zu leben.“

Geld verdienen musste die Berlinerin natürlich trotzdem. Dafür wollte sie auf Rollschuhen bei Werbedrehs und Fotoshootings als Model arbeiten. Während ihrer Zeit beim Optiker hatte sie immer wieder Anfragen dafür bekommen. Doch zunächst bedeutete der Sprung vom Angestelltenverhältnis zur selbstständigen Skaterin prekäre Verhältnisse. „Ich bin nicht das klassische Model. Ich bin relativ klein und hab blaue Haare, bin also überhaupt nicht basic“, erzählt sie. Alle drei bis vier Monate konnte sie einen Job an Land ziehen, aber zum Leben reichte es nicht. Um ihre Ziele zu erreichen, entwickelte sie eine Art Businessplan. Als studierte Industriedesignerin war das für sie nichts Neues.

Die Strategie lautete: Die Reichweite auf Instagram zu vergrößern, um bei Modeljobs in die ­engere Auswahl zu gelangen und mit dem verdienten Geld die Rollschuhkurse zu bewerben.

Rollschuhfahren ist visuell sehr eindrucksvoll, vor allem wenn es gefilmt wird. Das macht es extrem instagrammable, also tauglich für soziale Medien. Auf Tiktok haben Rollerskatevideos im Frühling die Plattform überschwemmt, so wie vor einigen Jahren Yogavideos. Mittlerweile ist der Trend von den sozialen Medien ins analoge Leben übergeschwappt. Ein Treffpunkt der Szene ist das Tempelhofer Feld in Berlin, wo Janta ihre Videos aufnimmt. Obwohl es über 350 Hektar groß ist, fahren sich die Roll­schuh­fah­rer:innen hier beinahe gegen­seitig über den Haufen.

Woran das liegt, darüber kann Janta nur mutmaßen. „Durch den Lockdown haben mehr Leute den Drang verspürt, Sport an der frischen Luft zu machen.“ Möglicherweise haben auch die leergefegten Straßen zum Skaten eingeladen. Doch es ist vor ­allem Oumi Jantas Video gewesen, das die Sportart in Deutschland wieder zurück auf die Bildfläche geholt hat.

Comeback des Jam-Skating

In großen Teilen der Schwarzen Community in den USA war das Rollerskaten nie wirklich verschwunden. Als die weiße Tiktokerin Ana Coto Anfang des Jahres mit ihren Skatevideos Aufmerksamkeit erlangte, war die Schwarze Skatecommunity nicht begeistert, erzählt Janta. Möglicherweise ist das ein Grund, warum die Riege der Schwarzen US-Stars dann auf ihr Video angesprungen ist.

Jantas Stil, das Jamskating, entwickelte sich in der neunziger Jahren aus der Rollschuhdiskoszene heraus und übernahm Elemente aus der Hip-Hop-Kultur. Es geht weder um Schnelligkeit noch um exakt ausgeübte Tricks, sondern um einen individuellen Stil, der neben Breakdancemoves auch Bewegungen aus dem Eiskunstlauf, Modern Dance oder Gymnastik beinhalten kann. Bei Jamsessions improvisieren die Tänzer:innen Choreografien aus ihrem eigenen Repertoire.

Dass vergangene Jahrzehnte die zeitgenössische Popkultur als Trends immer wieder einholen, ist ein ungeschriebenes Gesetz. Laut dem Trendforscher Franz Liebl von der Universität der Künste in Berlin gibt es bei einem Retrorevival immer zwei Gruppen: die ältere ­Generation, die den verschwundenen Trend von früher kennt und sich nostalgisch an Rollschuhdiskos, B-Boys und die Zeit, als Hip-Hop noch Rap hieß, erinnert. Für die Jüngeren ist der Trend etwas Neues, exotisch und aufregend.

Oumi Janta holt beide Gruppen ab: Sie sieht so jung aus, dass sich auch die Social-Media-Nutzer:innen um die zwanzig mit ihr identifizieren können. Gleichzeitig kann sie als Kind der Neunziger und langjährige Skaterin das ursprüngliche Lebensgefühl um den Sport authentisch verkörpern. Oder wie Janta sagt: „Und dann kam Video. Das hat zerstört.“ Das heißt so viel wie, dass sich bei ihr alles geändert hat – im Internet und im echten Leben.

Um Jobanfragen muss sich Oumi Janta jetzt keine Gedanken mehr machen: Adidas entwarf einen Schuh mit ihr, die neue Autowerbung für Smart trägt ihr Gesicht, und kürzlich lief sie mit ihren Rollschuhen auf einer Modeschau in Paris. Ihre Rollschuhkurse muss sie aufgrund ihrer Berühmtheit natürlich nicht mehr bewerben. Ihr Businessplan war ziemlich erfolgreich.

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