Roland Kaiser bezieht Stellung: „Hass ist hässlich“
Der Sänger Roland Kaiser zeigt klare Haltung gegen rechts. Ein Gespräch über Helene Fischer, die SPD und den richtigen Umgang mit dem Publikum.
Verabredet sind wir in einem Hotel am Rande des Lützowplatzes in Berlin. Roland Kaiser betrachtet mit einem Lächeln das Zimmer, das selbst nach gründlichster Prüfung nicht anbiedernd wirkt. Fast zehn Jahre ist es her, dass Kaiser infolge seines COPD-Leidens eine Lunge transplantiert wurde. Heute sieht er fresh aus, seine Textilität: makellos, feine Stoffe insgesamt, ein derart glatt gebügeltes Hemd ist selten zu sehen. Auf dem Tisch in der Sitzecke steht Mineralwasser, stubenwarmes, die Gläser halb voll.
taz am wochenende: Herr Kaiser, Sie leben lange schon in Münster – kommen aber aus Berlin, sind aufgewachsen im Stadtteil Wedding. Was empfinden Sie, wenn Sie Ihre Heimatstadt besuchen?
Roland Kaiser: Es ist spannender geworden, klar. Früher, als Berlin eine Art Insel war, wurde eher Solidarität als Rivalität empfunden. Hier passiert gerade extrem viel, allein durch die vielen Menschen, die jedes Jahr neu nach Berlin ziehen.
Sie selbst sind nicht in bürgerlichen Verhältnissen groß geworden, Ihre Mutter war, heißt es, Raumpflegerin.
Raumpflegerin? Putzfrau! So hieß das damals. Sie war in der alten SPD-Landeszentrale in der Müllerstraße und hat, so hat sie das erzählt, auch das Büro von Willy Brandt geputzt, als der Bürgermeister von Berlin war. Da soll sie mich, angeblich, mal mitgenommen haben und ich soll bei Brandt auf dem Schoß gesessen haben. Ob das stimmt, weiß ich nicht – aber die Geschichte hat mir immer gefallen.
Wie war das, als Sie im Wedding wohnten? Sie haben damals zunächst Werbekaufmann gelernt.
Ja. Einzelhandelskaufmann und dann Werbekaufmann in einem Automobilunternehmen.
Sie mussten Autos verkaufen.
Auch. Einkaufen, verkaufen. Ersatzteillager. Alles Mögliche.
Haben Sie so die Wünsche Ihrer Kunden kennengelernt?
Ich habe vor allem meine eigene Dummheit kennengelernt. Ich habe ständig allem widersprochen. Nein, ich habe versucht den Leuten das zu offerieren, was ich selber gerne hätte kaufen wollen. Das ist das, womit ich selbst zufrieden gewesen wäre. Die waren aber auch zufrieden mit dem anderen. Ich wollte da offensichtlich belehrend eingreifen.
Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.
Sie sagen es. In dem Fall hat der Angler versagt.
Das ist doch eine schöne Selbsterkenntnis.
Ich habe ja nicht gelitten. Ich habe meine Lehre daraus gezogen.
Sie sind ein beruflicher Aufsteiger. Sie sind, als Entertainer, inzwischen Kult. Stimmen Sie zu?
Sagen wir mal so: Es ist so, dass mich Menschen mögen, und mittlerweile auch sehr viele junge Leute. Es gibt wirklich extrem viele junge Menschen, die bei meinen Konzerten Liedtexte mitsingen, die entstanden sind, als sie nicht einmal auf der Welt waren. Da muss man sich mal die Frage stellen: Warum können die das?
Und?
Unsere deutsche Sprache ist für sie okay geworden. Am Ende des Kulturlochs des Dritten Reichs gab es ein Missverhältnis zur eigenen Sprache, klar. Jetzt ist es so: Junge Leute hören deutsche Popmusik, Deutschpop, Deutschrock, Rap und HipHop. Aber eben auch dieses Mainstreamige, normale Populärmusik, solche, wie sie von mir kommt. Ich würde mich nicht unbedingt als Erfolgsgeschichte darstellen. Vielleicht bin ich ein Teil davon.
Ist Schlagersänger für Sie eigentlich die richtige Berufsbezeichnung?
Ich bin Unterhaltungskünstler. Die Musik, die ich mache, macht mir Spaß. Wie die Leute, die meine Lieder hören, sie einordnen, ist mir völlig egal. Schlager, Popmusik oder Populärmusik. Man muss ja sagen: Ein Schlager ist etwas, was die Mehrheit der Menschen kennt. So definiert das der Brockhaus. Das soll mir recht sein. Alle, die einen Hit haben, sind auch Schlagersänger.
Schlager wird in meinen Kreisen gern als etwas Konservatives assoziiert, so mit Dieter Thomas Heck, ZDF-Hitparade und Auftritten bei CDU-Veranstaltungen.
Witzig. Ich habe das so nie gesehen. Ich erinnere mich, dass Sigmar Gabriel mich mal zu einem Gespräch eingeladen hat, nachdem er Parteivorsitzender geworden war. Er hatte gehört, ich sei in die SPD eingetreten. Da hat er gesagt: „Es freut mich, dass Sie sich bekannt haben. Normalerweise ordnet man eher andere Musiker unserer Partei zu. Umso wichtiger sind Sie für unsere Partei, weil Sie sich auch an die Mitte wenden können.“
Ehrte Sie das?
Und wie.
Der Mensch
Kaiser wurde 1952 als Ronald Keiler in Westberlin geboren und wuchs bei einer Pflegemutter auf. Er machte zunächst eine Lehre als Einzelhandelskaufmann und wurde Anfang der 70er Jahre als Sänger entdeckt. Er ist Vater von drei Kindern und lebt mit seiner dritten Ehefrau in Münster.
Der Schlagersänger
1974 kam Kaisers erste Single heraus. Zu seinen größten Hits zählen „Santa Maria“, „Dich zu lieben“, „Schach Matt“ und „Sieben Fässer Wein“. Bis heute wurden mehr als 90 Millionen Tonträger von ihm verkauft.
Was hat Sie 2002 dazu bewogen, in die SPD einzutreten?
Die damals ganz furchtbar schlechten Umfrageergebnisse dieser Partei. Die waren so am Boden. Da dachte ich: Du warst ein Leben lang ein großer Sympathisant der Partei, das ist für dich die ideale Form in einem sozialen Land, in einer Demokratie zu leben. Dann mach das jetzt, und zwar so laut wie möglich.
Sommers sind Sie oft in Dresden am Elbufer zu Gast – „Kaisermania“ der Titel des Events. Ausverkauft, Zehntausende Zuschauer. Macht Sie das stolz?
Ich empfinde eher Dankbarkeit. Das ist ja nicht selbstverständlich, dass sich das jedes Jahr wiederholt. Das macht mich demütig.
Sie haben auf der Bühne vor zwei Jahren sehr deutlich gegen Pegida und anderes aus dem rechten Lager Stellung bezogen. Weshalb wollten Sie sagen, was Sie sagten?
Ich habe damals die Anfrage von der Landesregierung bekommen, vom Martin Dulig, SPD-Wirtschaftsminister Sachsens. Der fragte: Hast du das Bedürfnis, an einer Kundgebung gegen rechts teilzunehmen? Und ich antwortete: Klar. Eigentlich für etwas. Für Weltoffenheit, Toleranz, Dialog. Und habe den Leuten erklärt, dass ich stolz bin, in einem Land zu leben, in dem wir eine Verfassung haben, mit der Menschen, die in Not sind und bedroht werden, hier menschenwürdig leben können. Ich dachte sowieso: Wenn die Mehrheit schweigt, bleibt das Bild falsch. Wird schief. Das hat mir gefallen, dass über 30.000 Menschen da waren, die das Bild korrigieren wollten.
Bei einem Konzert haben Sie mal einen Menschen von der Bühne aus zurechtgewiesen.
Das ist lange her. Damals war eine dunkelhäutige Chorsängerin dabei, die bei einem Projekt in Köln mitgewirkt hatte. Sie sang ein Lied, und hinten hat einer geschrien und sie offenbar bewusst stören wollen. Da habe ich gesagt, wenn es Ihnen nicht passt, gehen Sie doch nach Hause. Geld gibt’s an der Kasse wieder, kein Problem.
Bei bestimmten Künstlern gehört es zum Markenprofil, sich entsprechend zu äußern. Bei Ihnen hat man das nicht erwartet.
Ein Vorurteil, sehen Sie. Ich suche mir die Gelegenheiten aus, bei denen ich Stellung beziehe. Nicht bei meinen Shows, denn wenn ich ein Konzert spiele, ist es ein Unterhaltungsabend – nicht mehr und nicht weniger. Aber mein Publikum weiß sowieso, wie ich denke. Ich sage mir außerdem: Was soll mir passieren? Ich muss wie jeder andere in diesem Land dafür sorgen, dass wir weiterhin unsere Meinung sagen können.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs sagte: Hass macht hässlich. Er erntete dafür Kritik.
Ich sage: Es gibt sicherlich auch schöne Menschen, die hassen können. Insofern ist die Aussage falsch, aber Hass ist hässlich.
Wie beurteilen Sie die Vorgänge im Landtag von Thüringen?
Deutschlands politischer Nachkriegskonsens über die Ächtung rechtsextremer Parteien ist mit der Wahl von Thomas Kemmerich zerstört worden.
Auf Fotos von Ihnen aus den siebziger Jahren wirken Sie wie ein Hedonist. Selbstbewusst im Whirlpool sitzend.
Jaja, furchtbar.
Da habe ich gedacht: Mann, der haut echt auf die Tonne!
Das war dumm von mir, mein Gott!
Ach was, sah nett aus.
Nett-naiv, ja.
Mit dem Blick von heute, nach schwerer Erkrankung, mit Lungentransplantation und einem Leben als Nichtraucher: War das nicht auch eine schöne Lebensphase?
Ich nehme an, dass zu einer Menschwerdung auch solche Ausuferungen dazugehören. Wenn ich das heute noch täte, dann hätte ich vergessen, mich zu entwickeln. Aber für die damalige Zeit war es wahrscheinlich richtig.
Ihre Lieder bewegen sich stets auf dem schmalen Grat zur Frivolität. Hat man Ihnen davon abgeraten?
Zu Beginn gibt es Ratschläge von Leuten, die Erfahrung haben. Da hört man mal hin. Man entdeckt plötzlich, dass man das gerne tut – diese gewisse Frivolität zum Ausdruck bringen, die leicht ins Vulgäre kippen kann. Das muss man ja verkörpern können. Ich habe irgendwann festgestellt, dass die Leute das mögen, und habe es dann kultiviert. Nahezu alle meine Hits, wahrscheinlich sogar alle, wandeln auf diesem schmalen Grat.
Wann haben Sie gewusst, dass Sie etwas können?
Das ist noch nicht sehr alt, dieses Gefühl, aus mir heraus sicher zu sein, dass die Bühne mir gehört. Für zweieinhalb Stunden.
Sind Sie vor Konzerten nervös?
Eine irre Vorfreude, aber kein Lampenfieber. Das ist gewichen durch meine Historie. Da kommt ein Publikum zu mir ins Konzert, das für mich ist, nicht gegen mich. Die sind ja nicht gekommen, um mich zu ärgern, sondern um sich mit mir gemeinsam zu freuen. Also liegt es an mir, diesen Abend so gut wie möglich zu gestalten. Wenn etwas schiefgeht, werde ich davon nicht sterben oder ins Unglück geraten.
Hat sich die Professionalisierung im Schlagerbusiness erhöht? Die Konzerte von Helene Fischer erinnern stark an Performances mit Las-Vegas-Qualität.
Junge Menschen, die langfristig im Geschäft bleiben wollen, haben einen hohen Qualitätsanspruch. Sie wollen sich so präsentieren, dass man nicht hinten runterfällt, wenn man den Vergleich anstellt. Bei Frau Fischer geht man in ein Stadion. In das kommen nächste Woche etwa die Rolling Stones, Grönemeyer, U2. Kollegen und Kolleginnen, die auch alle Konkurrenten sind. Da muss sie mithalten können – und das kann sie auch.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Eine Freundin von mir bemerkte neulich, das Auffällige im deutschen Unterhaltungsgewerbe sei, dass sich Schlagersänger nicht bewegen könnten.
Joa. Bewegen. Ich kann es auch nicht sehr gut, wenn Sie das meinen.
Ich wollte das gar nicht auf Sie beziehen.
Ich nehme den Ball gerne an. Ich kann mich nicht bewegen. Ich kann das wirklich nicht. Udo Jürgens war ja immer so ein tapsiger Typ, und ich bin genauso. Ich will eine Geschichte erzählen, die mir wirklich passiert ist. Damals war ich frisch im Beruf und dachte, bewegen ist wichtig, also mach doch mal so einen Jazzdancing-Kurs. Es hatte keinen Zweck, man bat mich, den Kurs zu verlassen. Ich hab dann mein Geld genommen und bin gegangen.
War das nicht kränkend?
Ehrlich? Ja, das war’s. Temporär. Aber als ich nachgedacht habe, wusste ich, ich kann das wirklich nicht. Ich versuche das immer wieder, wenn mich der Teufel reitet auf der Bühne. Das sieht sicher lustig aus, aber nicht elegant. Aber das ist meine Lebensfreude, und dann mache ich es trotzdem.
Sprechen wir weiter über Politisches? Nach den rechtsradikalen Ausschreitungen in Chemnitz 2018 gab es ein Solikonzert, unter anderem mit der Band Feine Sahne Fischfilet, aber ausdrücklich als Projekt ohne Künstler und Künstlerinnen wie Sie oder Helene Fischer.
Wir Bürger im Allgemeinen müssen um Demokratie, Freiheit und Menschenrechte ringen. Gemeinsam, wir alle. Alle gesellschaftlichen Kräfte. Darum geht’s. Man muss von den Toten Hosen bis zu Frau Fischer gehen, alle gemeinsam. Ich wär auch dabei. Erst dann hat es eine Wirkung in der Breite. Wenn die Leute sehen: Na, wenn die sogar mit denen können. Das hat doch eine Signalwirkung. Man kann das keinem befehlen. Die Amerikaner sind viel lockerer mit Konzerten, in denen es um Haltung, um eine gesellschaftliche Botschaft geht. Wir müssen das gemeinsam hinkriegen. Und wir müssen um alle ringen, in jedem Gespräch. Niemand ist unpolitisch.
Da könnten etwa manche Fans beleidigt sein.
Dann sind sie’s halt. Und nu’? Die beruhigen sich auch wieder. Aber vielleicht überlegen sie dann mal ein Stück, was da gerade passiert. Wer an Freiheit und an Menschenrechte appelliert, ist doch gegen niemanden. Er ist für jemanden. Für das Projekt wäre ich sofort Feuer und Flamme.
Sie haben sich politisch über die Jahre tüchtig entwickelt, oder?
Ich habe immer eine klare Einstellung gehabt. Ich habe bewusst den Weg gewählt und bin in die SPD eingetreten. Im Grunde genommen glaube ich, dass unsere Form der gesellschaftlichen Ordnung von einer sozialen Demokratie für mich die ideale ist. Das ist ja gar nicht so weit weg von der CDU. Wenn man an deren früheres Grundsatzprogramm denkt, da standen noch Sachen wie Enteignungen drin, die fällig sein sollten, wenn Eigentum die soziale Grundordnung verletzt.
Sind Sie ein Freund der Großen Koalition?
Jamaika hat mich nach der letzten Bundestagswahl gereizt. Ich fand spannend, dass sich innerhalb unseres Landes etwas Neues bewegt, etwas gegen diese gewisse Lethargie. Aber die Chance wurde leider vertan.
Wobei Jamaika die SPD in die Opposition gebracht hätte.
Ja, als stärkste Oppositionspartei, die jetzt die AfD ist.
Sollte man einem wie Kevin Kühnert eine größere Chance geben?
Viele der Jusovorsitzenden haben sich durchgesetzt. Gerhard Schröder zum Beispiel.
Der hat mit einer ihm nicht oft gewogenen Partei zu tun gehabt.
Ein Pragmatiker, der in der Lage war, auch an Machtgewinn zu denken. Das muss erlaubt sein als Partei, die sich um eine Mehrheit der Stimmen bemüht. Macht an sich ist ja nichts Böses. Man muss wollen – und Gerhard Schröder wollte Kanzler werden.
Herr Kaiser, Sie können sich an sehr viele Jahre in Deutschland erinnern. Was ist für Sie deutsch?
Vor 50 Jahren war ich 18. Was war denn da deutsch? Das war viel Aufbau. Die Achtundsechziger. Da habe ich viel Aufstand erlebt, Chaos. Studentenrevolte. Ich war 1965 bei den Rolling Stones, die wurden von den Leuten zerlegt, weil sie ein zu kurzes Programm vorgelegt haben. Die Waldbühne wurde danach für sieben Jahre gesperrt. Deutschland steht heute für mich für Frieden und Verlässlichkeit innerhalb Europas. Zurzeit zudem für Unruhe und Unsicherheit, die es für uns alle zu beseitigen gilt. Das geht nur gemeinschaftlich. Deutschland steht auch mittlerweile für Weltoffenheit. Wenn man Umfragen liest, erfahren wir: Deutschland ist ein beliebtes Land geworden, auch für Berlin trifft das zu. Meine Heimatstadt ist im Aufbruch, das gefällt mir.
Sehen Sie der Zukunft zuversichtlich entgegen?
Mein Glas ist immer halb voll. Immer.
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