Roger Cicero mit 45 gestorben: Jazzer aus Leidenschaft

Roger Cicero ist nach einem Hirninfarkt gestorben. Immer wieder zeigte der Jazzmusiker, dass er sich für Mainstream nicht zu schade war.

Ein Mann mit Mütze steht vor einem Mikrofon

Jazzgetrieben: Roger Cicero bei einem Auftritt Foto: dpa

Dass er sein Metier beherrschte, singen konnte im Stil alten, coolen Jazz‘, auf der Bühne stehen konnte, gern mit seinem Orchester, später mit seiner Band, war ihm schon familiär mitgegeben: Roger Cicero, Sohn der Tänzerin Lili Cziczeo und des Jazzpianisten Eugen Cicero, hatte freilich immer Lust, das mit Leben zu füllen, was in seinem Westberliner Elternhaus ohnehin die mächtigste Rolle spielte. Eben: der Jazz der vierziger bis sechziger Jahre, das musikalische Transportmittel für erwachsene Gefühle, für Zwiespältigkeiten und immer leicht gebremste Leidenschaft.

Roger Cicero, am 6. Juli 1970 im aufgewühlten Westberlin, in der Stadt der Achtundsechzigerbewegung auf der mauereingehegten Insel im Realsozialismus geboren, wollte vor allem immer dies: Musik machen. Spielen. Singen. Auf der Bühne stehen. Chill-outs? Wollte er nicht. Seine Arbeit, am eigenen Werk, an und mit den Werken anderer muss als berserkerhaft beschrieben werden: Cicero, der Junge, war ein Jazzgetriebener, gleichwohl von größter Freundlichkeit im Umgang.

Cicero trat schon in Kindertagen auf Bühnen auf – mit der Kabarettistin Helen Vita, mit dem Rias-Tanzorchester unter Leitung von Horst Jankowski (“Eine Schwarzwaldfahrt“) und mit dem Bundesjugendjazzorchester unter Leitung von Peter Herbolzheimer. Dieser Junge musste etwas im Musikbereich werden, und Cicero erfüllte alle Erwartungen, die der anderen, gewiss auch die seinen.

Und er war mutig genug, sich dem Eurovision Song Contest zu stellen. Das wäre, so sagte er im Gespräch, eine so große, europäische Bühne, dass er es einfach probieren muss. „Wie könnte man denn sonst, abgesehen von Jazzfestivals, so bekannt werden?“ Er gab nichts auf die Angst der meisten seiner Kollegen und Kolleginnen, die den ESC eher mieden – weil man, abgesehen vom Sieger, immer als Verlierer am Ende da steht.

Cicero aber riskierte es. Gewann mit „Frau‘n regier‘n die Welt“ die deutsche Vorentscheidung – ein Titel, der sich nicht gerade auf der Höhe feministischer Erweckungskunst einpegelte, aber bei sehr vielen Frauen sehr starken Gefallen fand. Ein jazz- und swinggetragenes Stück, das in die Arena des ESC nicht zu passen schien, aber Cicero machte aus seinen drei Minuten eine noble Performance.

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Und das, obendrein, in verblüffender Eleganz: Dieser Musiker hatte mit der Wollmützenästhetik, mit den pompösen Inszenierungen von ESC-Konkurrenten mit Lightshows und Pyroorgien nicht viel zu schaffen. Am Ende waren es nur 49 Punkte, die er einsammeln konnte. Das reichte nur für den 19. Platz.

Ähnlich wie Joy Fleming, die aus einer Platzierung ziemlich weit hinten eine bis heute währende Karriere bauen konnte, war es auch bei Roger Cicero: Der 19. Rang schadete seinem Ruf nicht im Mindesten. Viele Musikerkollegen attestierten ihm, einen tollen, ja, vielleicht den tollsten Job in Helsinki absolviert zu haben. Jedenfalls veröffentlichte er nach dem ESC noch vier weitere Alben – allesamt vorzüglich in den Charts präsent.

„Dem Publikum geben, was es erwartet“

Cicero, dem die Musik andererseits auch Inspiration war, andere Kulturgenres auszuprobieren, spielte 2009 in dem Film „Hilde“ mit, gab im gleichen Jahr die Synchronstimme für den Prinzen Naveen in dem Film „Küss den Frosch“ und war auch Gast in der Arte-Reihe „Durch die Nacht mit ...“. Unvergessen, neben dem ESC-Auftritt, bleibt sein Gastspiel in der „Sesamstraße“ und seine Gesangseinlage mit Ernie & Bert.

Schon im vorigen Herbst litt Roger Cicero an Erschöpfung, die Berufskrankheit von Musikern, die viel zu viel auf allzu vielen Baustellen zu tun haben – und doch sich nicht einschränken wollen, weil es ihnen alles doch auch sehr viel Freude macht. Er sagte alle Konzerttermine ab, wollte sie aber in diesem Jahr nachholen.

Was ihn von den meisten anderen der kanonischen Jazzer in Deutschland – Peter Herbolzheimer, Albert Mangelsdorff u. Ä. – unterschied war, dass Roger Cicero sich für mainstreamtaugliches Entertainment nicht zu schade war: Er wusste, dass das Genre des Jazz in seiner puren Form nicht marktfähig mehr ist. „Ich will dem Publikum geben, was es erwartet und beisteuern, was es überraschen könnte“, sagte er, durchaus vertraut mit dem Gedanken, dass es die Kunst als solche nicht geben kann.

Cicero ist am Donnerstag mit sehr, sehr jungen 45 Jahren nach einem Hirninfarkt gestorben.

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