Robert Adams Retrospektive in Bottrop: Der verlorene Wilde Westen
Ausufernde Vorstädte, vermüllte Brachflächen, Berge in weiter Ferne: In Bottrop ist das Werk des US-Fotografen Robert Adams zu sehen.
Wenn Robert Adams über den rücksichtslosen Umgang des Menschen mit seinen natürlichen Ressourcen nachdenkt, klingt er zuweilen wie ein alttestamentarischer Prophet. Seit fünf Jahrzehnten widmet sich der Fotograf (*1937) den strukturellen Veränderungen und Umweltzerstörungen im amerikanischen Nordwesten, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Wilder Westen bekannt wurde. Wild war aber nur die Eroberungshaltung der Siedler. Deren Nachfahren sind es bis heute geblieben.
Robert Adams dokumentiert die Zerstörungen der einst weiten und stillen Landschaft: die zersiedelten Vorstädte, abgeholzten Waldbestände und von Zivilisationsmüll verschmutze Natur. Die Wut des Amerikaners ist verständlich. Dennoch kennzeichnet seine Bilder ein sachlicher und nüchterner Stil, der einerseits Trauer über den Verlust, andererseits aber auch Hoffnung auf ein ganzheitliches Umdenken ausdrückt.
Mit Robert Adams’ Teilnahme an der Ausstellung „Neue Topographien“ 1975 vollzog sich ein epochaler Umbruch in der fotografischen Darstellung von Landschaft. Die rein auf die erhabene Schönheit der Natur gerichtete Fotografie seines Namensvetters Ansel Adams hatte ausgedient. Damit einher ging ein erweiterter Genrebegriff, der neben der unbebauten Landschaft gleichfalls die urbanen Räume umfasste. Künstler wie Robert Adams, Lewis Baltz und Steven Shore wurden zu Vorbildern für eine jüngere Generation, deren Anliegen der Wandel ihres unmittelbaren Lebensumfeldes ist.
Und dazu zählen oft Zwischenräume, Brachflächen und Randzonen, die ansonsten keine Beachtung finden. Also genau jene Orte, die Inhalt der jüngst abgesagten IBA 2020 in Berlin waren. Vielleicht hätte ein Besuch der aktuell tourenden Retrospektive von Robert Adams die für das Debakel zuständigen Politiker Sehen gelehrt. Vielleicht.
Eine gute Entscheidung
Jetzt ist die großartige und umfassende Schau „The Place We Live“ jedenfalls im Bottroper Josef-Albers-Museum als einziger Station in Deutschland zu sehen. Eine gute Entscheidung. Denn aus der historischen Erfahrung sind die Bewohner des Ruhrgebiets mit vergleichbaren Prozessen vertraut, wie sie Robert Adams in seinen Bildern beschreibt. Oder mit den Worten des Künstlers gesprochen: „Manchmal muss man einen Ort nicht besucht haben, um ihn in sein Herz zu schließen.“ So bedarf es vor allem emotionales Verständnis, um seine Arbeiten zu erschließen.
Im zentralen Oberlichtsaal des Museums stellt Direktor Heinz Liesbrock zwei von Adams’ wichtigsten Werkreihen aus den 1970er Jahren gegenüber. Die Serien zeigen das nahtlose Ineinander von ausufernden Vorstädten mit billigen Einfamilienhäusern, trostlosen Neubaugebieten, überproportionierten Einkaufszentren, gesichtslosen Gewerbegebieten und zugemüllten Brachflächen in Denver und dem weiteren Umland des US-Bundesstaates Colorado.
Hartes Sonnenlicht wirft scharfe Schatten. Nur an den äußersten Zipfeln erstreckt sich das Land, wie es ursprünglich war. Endlose Felder reichen bis zum Horizont, wo sie von den Rocky Mountains begrenzt werden. Lediglich ein paar Landstraßen und einsame Bäume, Buschwerk und Reihen dürrer Telefonmasten unterbrechen die Öde. Doch Werbeschilder von Immobilienhändlern kündigen bereits an, dass die Zivilisation hier keineswegs Halt machen wird.
Zu schön sind die Landschaften
Solange das politische durch das ökonomische System korrumpiert wird, so Adams, wird sich daran vermutlich nichts ändern. Resignieren mag er trotzdem nicht. Zu schön seien die Landschaften, allen menschlichen Eingriffen zum Trotz. Die Serie „Turning back“ beschäftigt sich etwa mit der industriellen Abforstung riesiger Wälder. Wie Schlachtfelder sehen die kahlgeschlagenen Flächen aus.
Nur wenige Stümpfe lassen erahnen, wie mächtig die Bäume waren, die abgeschlagen wurden. Hingegen wirken die Bilder vom Mündungsdelta des Colorado fast schon beschaulich, wenngleich Strandbesucher mit ihren Pkws direkt bis ans Meer fahren. Dumm nur, dass Papiermühlen und ein Atommülllager den Fluss kontaminieren.
Ansonsten tauchen Menschen bei Adams meist nur indirekt auf. Ausnahme ist eine Serie, die auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums entstanden ist und Eltern zeigt, die ihren Kindern mit einer Fürsorge und Liebe begegnen, die sie der Umwelt eher versagen. Statt der üblichen Plattenkamera verwendete Adams dieses Mal wie ein Straßenfotograf einen handlichen Apparat. Jedoch hat er nie erwägt, durch den Einsatz von Farbe mehr Realitätsnähe zu erzielen. Die perfekt austarierten Grauabstufungen verleihen den meist kleinformatigen Abzügen genug wirksame Spannung. Auf dem Fotofestival Rencontres d’Arles 2013 feiert die Schwarzweißfotografie übrigens gerade ein Comeback.
■ „Robert Adams: The Place We Live“. Bis 29. September, Josef Albers Museum Quadrat Bottrop
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