Rituale bei der EM der Frauen: Die heilige Liturgie der Uefa
Das Gedenken an den verstorbenen Profi Diogo Jota gehört zum festen Ritual in den EM-Stadien. Auch ein Bernhardinerwelpe darf nicht fehlen.

F ünf Tage in Folge habe ich mir nun jeden Abend ein EM-Spiel irgendwo in einem Schweizer Stadion angeschaut. Und viermal in Folge bin ich nun schon nach dem obligatorischen Abspielen der Nationalhymnen für eine Gedenkminute aufgestanden. Zu Ehren des bei einem Autounfall verstorbenen portugiesischen Fußballprofis Diogo Jota und seines Bruders, der dabei ebenfalls ums Leben kam.
Eigentlich hätte ich schon laut Stadionansage bei den Nationalhymnen aufstehen müssen, aber weil ich ansonsten auch nicht zu Ehren einer Melodie oder einer Nation mich erhebe und die Hände andächtig zusammenführe, lasse ich das hier lieber bleiben.
Bei Menschen ist das natürlich etwas anderes. Aber selbst die anrührendste Geste des Gedenkens verliert durch Ritualisierung an Kraft. So habe ich nun schon vier Minuten im Stehen an Diogo Jota und seinen Bruder gedacht. Mittlerweile frage ich mich, wie viele Minuten beim Turnier noch dazukommen werden. Ich muss zugeben, die Gedanken schweifen von Mal zu Mal etwas mehr ab – wie früher beim Gottesdienst.
Die heiligen Uefa-Spiele haben ihre eigene Liturgie. Sie ist jedes Turnier leicht verändert, aber die aktuelle ist mir unterdessen in Fleisch und Blut übergegangen. In der Halbzeitpause etwa wird jedes Mal aufs Neue das EM-Maskottchen Maddli vorgestellt. Es tänzelt dann mit leicht ausgebreiteten Armen vor den Zuschauern auf und ab, als könne es fliegen.
Das Herz des Hundes
Es handelt sich aber nicht nur dem Augenschein nach, sondern auch durch Uefa-Dokumente belegt, um einen Bernhardinerwelpen, benannt nach der ersten lizensierten Fußballerin der Schweiz, Madeleine Boll. Und während das Hündchen tänzelt, erklärt die Stadionsprecherin jedes Mal, Maddli sei sehr verspielt und der Ansicht, dass der Fußball für alle da sei, und sie habe ein Herz so groß wie die Schweiz. In den Uefa-Unterlagen kann man nachlesen, dass Maddlis Träume noch größer als ihr Herz wären, womit sie ja dann auch größer als die Schweiz ausfallen würden. Aber darüber sprechen die Stadionsprecherinnen offenbar lieber nicht.
Dafür weisen sie bei allen Spielen regelmäßig auf die im Stadion ausgehängten QR-Codes hin. Wer sich in den Stadien bedroht oder diskriminiert fühlt, kann diese Codes einscannen und so Verbindung mit dem „Awareness-Team“ vor Ort aufnehmen. Bei der Männer-EM 2024 wurde das Verfahren eingeführt und brachte vor allem Beschwerden zu etwa nationalistischen und rechtsgerichtete Aussagen ans Licht. Mal sehen, was die Auswertung bei der Frauen-EM ergeben wird.
Die Uefa ist im modernen Zeitalter angekommen. Auf der Anzeigetafel, auch das gehört zur Stadionliturgie dieser EM dazu, kann man sich zudem den QR-Code einscannen, um an die jeweilige Teamaufstellung zu gelangen. Früher wurden die Aufstellungen einfach nur ständig auf der Anzeigetafel aufgelistet. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei.
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