„Rimini“ im Wettbewerb der Berlinale: Amore Mio
Der Regisseur Ulrich Seidl reist in seinem jüngsten Film an die Adria. „Rimini“ begleitet einen abgehalfterten Schlagerstar.
„Noch nie habe ich im Kino so geradewegs in die Hölle geschaut“, soll Werner Herzog gesagt haben, nachdem er Ulrich Seidls „Tierische Liebe“ (1995) sah. Wer sich an besagten Dokumentarfilm erinnert, wird sich in Herzogs Worten wiederfinden. Menschen, die Tiere (zu sehr) lieben, Keller voll mit Nazidevotionalien oder Sexurlaub in Afrika: Dem Österreicher ist für seine Filme kein menschlicher Abgrund zu tief.
Für sein neuestes Werk wählt Seidl, wie zuvor bei „Hundstage“ (2000) und seiner „Paradies“-Trilogie (2012–2013), das Format Spielfilm, wobei Seidl die Grenzen zwischen Realem und Inszeniertem gern verwischt. So erinnern Sequenzen in „Rimini“ optisch an eine Doku – eine über Feriendomizile außerhalb der Saison. Der Adriaküstenort, den Seidl präsentiert, ist maximal trostlos: leere Strände, Wind wie an der Nordseeküste und leere Hotels, deren Glanzzeit um die fünfzig Jahre zurückliegt.
Ähnlich ist es bei Richie Bravo, Seidls Protagonist: Der ehemalige Schlagerstar ist sichtlich abgehalftert und hält sich mit Gelegenheitsauftritten über Wasser. Die Etablissements, in denen er seine einstigen Hits zum Besten gibt, tragen Namen wie „007 Dancing“ und gleichen einem Albtraum aus verchromtem Gold und Neonlichtern. Seine überwiegend weiblichen Fans sind wie er in die Jahre gekommen, blühen aber sichtlich auf, wenn Bravo Songs wie „Amore Mio“ anstimmt.
Da die Auftritte nicht genug einbringen, lässt sich Richie Bravo – sich selbst stets bei vollem Namen nennend – von einigen seiner treuesten Anhängerinnen für Liebesdienste bezahlen. Dabei bleibt er Kavalier der alten Schule, wirft mit Komplimenten und Liebesbeschwörungen um sich – ein Macho ist er, aber ein lieber.
12. 2., 18 Uhr, Friedrichstadt-Palast
13. 2., 15 Uhr, Cubix 9
18. 2., 18 Uhr, Berlinale Palast
Michael Thomas, der bereits 2007 in „Import Export“ für Seidl vor der Kamera stand, spielt diesen bärenhaften, doch recht einsamen Schnulzensänger so überzeugend, dass man sich, wie oft bei Seidl, an der Grenze zwischen Realität und Schauspiel wähnt. Zwar kratzen die Bravo zugeschriebenen Attribute – Alkoholiker ist er, Raucher natürlich und spielsüchtig – arg am Klischee, das macht die Figur aber nicht weniger einnehmend.
Schadensersatz für verpfuschtes Leben
Man fühlt mit Bravo mit, verzeiht ihm sogar eine Erpressung und dass er den eigenen Vater (gespielt von Hans-Michael Rehberg) zu bestehlen versucht. Dieser sitzt in Österreich im Heim. Alzheimergeplagt existiert die Vergangenheit für ihn nur noch in Fetzen, blitzt in Hans-Baumann-Liedzeilen und anderen NS-Reminiszenzen auf. Auch einen Bruder gibt es; Ewald (Georg Friedrich) tritt allerdings nur anfangs zur Beerdigung der gemeinsamen Mutter auf. Wie das Magazin Variety berichtet, soll Ewalds Geschichte wie auch die des Vaters an anderer Stelle weitererzählt werden.
Möglicherweise klärt Seidl dann auch die Hintergründe um die etwas ominöse Beziehung zwischen Bravo und seiner Tochter (Tessa Göttlicher). Diese taucht in „Rimini“ plötzlich mit Freund und dessen Großfamilie auf und will, was ihr zusteht: Schadensersatz für ihr verpfuschtes Leben. Es ist leider der schwächste Strang des Films, wirkt er doch arg improvisiert. Um wirklich zu berühren, hätte sich Seidl hier vielleicht ausnahmsweise mal für ein Genre entscheiden müssen.
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