Rijksmuseum in Amsterdam: Koloniales Erbe wird ausgeblendet
Das glänzend wiedereröffnete Rijksmuseum soll die Niederlande als Kulturnation definieren. Aber die Selbstreflexion umfasst nicht alle Bereiche.
AMSTERDAM taz | Als im Juli 1885 in Amsterdam das Rijksmuseum eröffnete, waren nicht alle Niederländer begeistert. Jahrelang hatte die Nation heftig über den Bau gestritten, den der Architekt Pierre Cuypers damals noch am Rande der Amsterdamer Altstadt hochzog. Angesichts der kathedralenartigen Fenster und gotischen Anklänge des rot-weißen Backsteinbaus witterten viele eine römische Verschwörung. Der katholische Architekt war durch seine Kirchenbauten bekannt geworden.
Prompt boykottierte der protestantische König Wilhelm III. die Eröffnung, weil ihm der voluminöse Bau „wie der Sitz eines Erzbischofs“ vorkam. Was der Neugier seiner Landsleute keinen Abbruch tat. In den ersten drei Monaten nach der Eröffnung hatte bereits eine Viertelmillion Menschen das Haus besucht. Nicht gerade wenig für ein Land mit damals vier Millionen Einwohnern.
Eine katholische Renaissance müssen die Niederlande nicht befürchten, wenn Königin Beatrix diesen Kulturbunker nach zehnjährigem Umbau am 13. April neu eröffnet. Obwohl das Museum das jahrzehntelang protestantisch weiß übertünchte Bildprogramm Cuypers’ in dem von riesigen Buntglasfenstern dämmrig erleuchteten Entrée wieder freigelegt hat: Wandbilder mit Szenen aus der niederländisch-fränkischen Mythologie von König Wilhelm dem Guten bis zum Friesenbekehrer Willibrordus. Der generalüberholte Bau symbolisiert eher den Glauben an die Kunst, die profane Religion unserer Tage.
Denn wer von hier zu der „Ehrengalerie“ ein Stockwerk höher aufsteigt, gelangt nicht in eine niederländische Walhalla, sondern zu einer Kunst, in der der Alltag der einfachen Menschen dominiert. Wie man an Meisterwerken wie Vermeers „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster“ von 1660 eindrucksvoll studieren kann, an Frans Hals’ „Fröhlichem Trinker“ von 1628 oder Pieter de Hoochs „Menschen im Hof hinter dem Haus“ von 1663. Am Ende der Halle mit den Inkunabeln der „Goldenen Epoche“ schreitet der Besucher frontal auf das Prunkstück des Hauses zu, Rembrandt van Rijns „Nachtwache“ von 1642 – das Auftragsbild einer Bürgerwehr. Als einziges der 8.000 Objekte ist dieses Werk an seinen ursprünglichen Platz zurückgekehrt.
Waffen und Militaria
Zwar sind auch jede Menge Waffen und Militaria wie ein Modell des Kriegsschiffes „William Rex“ von 1697 zu sehen. Ins Zentrum ihres kulturellen Herzens rücken die Niederlande aber kein militärisch-dynastisches Display, sondern die Zeugnisse einer Zeit, in der in dem Land mehr als 700 Maler lebten, die um die 70.000 Bilder schufen. Das Moment der „Identitätsstiftung“, das Tacco Dibbits, der eloquente Sammlungsleiter des Hauses, schon Monate zuvor in einer europaweiten Marketingkampagne beschworen hatte, muss also niemand fürchten.
Die Wiedereröffnung des imposanten Kunst- und Geschichtstempels, vis-à-vis des Stedelijk- und des Van-Gogh-Museums, beendet eine Renovierung der Superlative. Die spanischen Architekten Cruz y Ortiz und ihr französischer Kollege Michel Wilmotte haben den durch zahlreiche Umbauten verwinkelten Bunker für 375 Millionen Euro in den Cuyper’schen Originalzustand zurückversetzt. Ihn aber zugleich in ein großzügiges, helles Haus der Superklasse verwandelt. Durch eine unterirdische Plaza kann man den durch einen Radweg in zwei Flügel zerteilten Bau nun endlich problemlos durchqueren.
Sie setzen auch einen neuen Maßstab in der Konzentration auf das authentische Objekt. Statt über Touchscreens zu wischen, stehen die Besucher vor fast fugenlos verglasten Vitrinen. So können sie in den 80 Hallen quasi detailgetreu 800 Jahre niederländischer Kulturgeschichte vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert nachvollziehen. Die Strategen der Berliner Museumsinsel dürften aufmerksam registrieren, wie gut ihren Amsterdamer Kollegen dabei die Arnold Bode nachempfundenen Epochensäle gelungen sind.
Neben Werken van Goghs stehen jetzt Gallé-Vasen und Fotos des „ultraradikalen“ niederländischen Realismus der Haager Schule vom Ende des 19. Jahrhunderts. Neben dem letzten Stuhl des Designers Gerrit Rietveld hängt ein Mondrian-Kleid Yves Saint-Laurents von 1965 und einer der gelben Leuchtkästen des legendären Signalsystems, das Benno Wissing 1967 für den Amsterdamer Flughafen Schiphol entwarf.
Himmlers Geschenk
Nicht mehr strikt nach Sparten und Genres zu trennen, soll nicht nur unterhalten, sondern den Geschmack einer Zeit erfahrbar machen. Und es gehört schon einiger Mut dazu, in der „Schatztruhe der Niederlande“ neben Möbeln der „Amsterdamer Schule“ und der Lagerjacke der von Deutschland nach Rotterdam geflohenen, dann in Auschwitz umgekommenen Isabel Wachenheimer ein Schachspiel aus Keramik aufzustellen, das SS-Führer Heinrich Himmler einst Anton Mussert, dem Chef der holländischen Nationalsozialisten, zum Geschenk gemacht hatte.
Nur bei der Kolonialgeschichte verlässt die Museumsmacher der Glaube an die kritische Selbstreflexion. Denn bei keinem der japanischen Kimonos, Buddhastatuen oder dem chinesischen Porzellan, für die ein eigener Pavillon gebaut wurde, findet sich ein Hinweis auf die Provenienz der kostbaren Objekte. Geschweige denn auf das Wirken der Ostindien-Kompanie, die im Auftrag des Staates die Kolonien in Übersee ausbeutete. Wenigstens mit einer symbolischen Geste Bußbereitschaft für diese Epoche der niederländischen Geschichte zu demonstrieren – so katholisch wollten die Hüter des nationalen Kulturerbes dann doch wieder nicht sein.
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