Riesending Weiberwirtschaft: Frau, Frau, Frau!
Die Genossenschaft „Weiberwirtschaft“ ist das wohl größte Ding der deutschen Frauenbewegung. Hier finden Frauen ideale Bedingungen, um ein Unternehmen zu gründen.
Am Anfang wurden sie belacht, heute gibt es Warteschlangen: Die Genossenschaft „Weiberwirtschaft“ ist längst ein Riesenerfolg mit Vorbildcharakter, allein in Deutschland gibt es mittlerweile zwölf Gründerinnenzentren, in denen gezielt Frauen beim Aufbau einer selbstständigen Existenz geholfen wird – das Original in Berlin ist allerdings das größte seiner Art in ganz Europa.
„Männer dürfen bei uns arbeiten, ja, aber Frauen sind die Chefs“, erklärt Katja von der Bey, Mitglied des Vorstands und Geschäftsführerin. In der Wirtschaftsforschung spricht man bereits von einer Feminisierung der Existenzgründung: „Früher waren es vor allem Frauen, die sich in prekäre Gründungen begaben – im Gesundheits- und Kreativbereich zum Beispiel war noch nie viel Geld zu verdienen. Aber heute arbeiten auch viele Männer am Existenzminimum.“
Als die „Weiberwirtschaft“ im Jahr 1986 von Westberliner Frauen gegründet wurde, ging es vor allem darum, der ungerechten Wirtschaftsförderung der öffentlichen Hand entgegenzuwirken: „Die Gründungsförderung war und ist vor allem technisch orientiert, auf Männer, die bereit sind, mit der Bahn und dem Auto weite Strecken zurückzulegen. Frauen bevorzugen andere Wirtschaftszweige, personennahe Dienstleistungen. Sie sind auf Laufkundschaft angewiesen und wollen in der Nähe ihres Wohnorts arbeiten – ganz einfach, weil sie sich statistisch immer noch häufiger um die Kinder kümmern.
Name: WeiberWirtschaft
Gegründet: 1989
Sitz: Anklamer Straße 38,
10115 Berlin-Mitte
Anliegen: Gründerförderung für Frauen
Umsetzung: Ein Gewerbehof in Berlin, in dem Frauen zu günstigen Konditionen Räume anmieten können. Zugleich können sie auf Beratung zurückgreifen und die Infrastruktur nutzen.
Mitglieder: 1.700
Ein Anteil kostet: 103 Euro!
Kapital: 18,6 Millionen Euro
Kontakt: www.weiberwirtschaft.de
Gründerzentrum im Kiez
So entstand die Idee: Wir brauchen ein Gründerzentrum im Kiez, seinerzeit in Kreuzberg. Der Staat half nicht, also bedurfte es der Selbsthilfe. In der Frauenbewegung der Achtziger wurde ja auch viel gejammert, nun sollte es um Taten gehen.“ Katja von der Bey selbst hatte in den Achtzigern Kunstgeschichte in Westberlin studiert. „Wir dachten damals ja, wir können jetzt alles machen; das war und ist aber nicht so: Die Stellen haben dann doch immer die Männer bekommen, und noch immer verdienen Frauen weniger.“
Aus der Idee ist heute ein recht großes Ensemble in Berlin-Mitte geworden, ein ökologisch sanierter Gewerbehof. 1989 wurde die Genossenschaft gegründet, im Jahr 1992 ging es dann richtig los: „Wir kauften ein Haus von der Treuhand – und wurden prompt als größenwahnsinnig bezeichnet. Aber wenn etwas ’Weiberwirtschaft‘ heißt, dann kann das nicht nur so ein kleines Ding sein. Jetzt ist es ein Riesending der Frauenbewegung, das Vermögen der Genossenschaft beträgt heute 18,6 Millionen Euro – auch wenn wir noch Schulden abbezahlen müssen.“
Die „Weiberwirtschaft“ ist heute ein faszinierendes Konglomerat verschiedener Unternehmen: Modellbau für Messen, eine Papierrestauratorin, Körpertherapie, Anwaltskanzleien, eine Frauenfahrschule – was es nicht alles gibt. Eine der Unternehmerinnen bietet „Trauring-Kurse“ an, Paare können bei der Goldschmiedin unter Anleitung ihre eigenen Ringe anfertigen. Hinzu kommen Non-Profit-Organisationen wie das Lesbenarchiv „Spinnboden“, Cafés und Restaurants und natürlich eine eigene Kita.
All das wird ermöglicht durch die Genossenschaft, die auch kleine Gewerberäume zu erschwinglichen Mieten anbietet: „Wir haben zum Beispiel ’Milchmädchentarife‘, das heißt, es gibt Räume, die im ersten halben Jahr nur 150 Euro brutto warm kosten“, inklusive Nutzung der Infrastruktur, von der Kinderbetreung bis zu den Tagungsräumen. Die Frauen können sich beraten lassen. Und tauschen sich natürlich auch untereinander aus: Wie geht das mit der KSK, der Steuer? Sogar ein Tochterunternehmen ist entstanden, die „Gründerinnenzentrale“, die sich um Beratung, Vernetzung und Mentoring kümmert.
Lila Latzhose
Ob es Ressentiments von jungen Frauen gegenüber der Weiberwirtschaft gibt, Stichwort „lila Latzhose“? „Im Gegenteil habe ich den Eindruck, dass das System Wirtschaft kritisch hinterfragt und die Idee der Selbsthilfe für Jüngere wieder interessant wird. Hier wird auch niemandem eine Corporate Identity aufgezwungen. Es muss auch niemand Genossin werden.“ Es gibt nunmehr 1.700 von ihnen, ein Anteil kostet 103 Euro, „nicht mehr als eine Markenjeans, das war die Idee“, erklärt von der Bey. Hat funktioniert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“